Süddeutsche Zeitung

Missglückter Özil-Besuch:Der größte aller Fettnäpfe

Was immer hinter der missglückten Özil-Visite von Bundestrainer Löw und Manager Bierhoff in London steckte: So kurz vor der EM-Vergabe gibt der DFB erneut ein schlechtes Bild ab.

Kommentar von Thomas Kistner

Alles lief reibungslos, der EM-Zuschlag 2024 für Deutschland bei der Wahl durch den Uefa-Vorstand an diesem Donnerstag in Nyon ist in Reichweite. Aber nun kommt ausgerechnet das Thema auf den Tisch, das stets die größte Bürde der deutschen Bewerbung war. Ein Thema, das die türkischen Rivalen - bewusst oder unbewusst - kreiert hatten, indem sich Staatschef Recep Tayyip Erdoğan mit den deutschen Nationalspielern Mesut Özil und İlkay Gündoğan kameradschaftlich ins Bild gesetzt hatte. Diese Fotos begleiteten fortan die Politkampagnen des Autokraten; insbesondere die um den EM-Zuschlag 2024.

Weil es der DFB nicht schaffte, die Unbedarftheit zweier Profikicker zu moderieren, war daraus ein gesellschaftspolitischer Brandherd entstanden, der hierzulande erst dank Sommerpause und Comedy in der großen Koalition halbwegs abgelöscht werden konnte. Nicht zu verhindern war, dass die Türken das Thema "Rassismus im deutschen Fußball" auf ihre Agenda hoben und bearbeiteten.

Das allein wäre Grund genug gewesen, die Causa vor der EM-Kür auszublenden. Deshalb gilt: Was immer hinter der missglückten Özil-Mission von Joachim Löw und Oliver Bierhoff auf dem Arsenal-Gelände steckt, jedes Szenario ist schlecht. Denn jede Variante zeugt von der Unfähigkeit, mit dem Thema umzugehen. Wieder mal kann der DFB nicht darlegen, wie diese Sache zustande kam. Klar erscheint aber das Wesentliche: Ein abgestimmter Gesprächstermin mit Özil lag nicht vor.

War es doch eine Art Masterplan?

Die schlichteste, allerdings peinliche Erklärung ist, dass die EM-Repräsentanten Löw und Bierhoff wirklich glaubten, es wäre nett, einfach mal an Özils Arbeitsplatz vorbeizuschauen, wenn man mal in der Gegend ist. War es so, wäre der Auftritt zu diesem heiklen Zeitpunkt nicht nur bodenlos naiv, sondern töricht: Nach allem, was vorliegt in der Causa Özil/ Löw/DFB, wäre die Arsenal-Klubkantine kein geeigneter Ort für diese Aussprache.

Und falls keine Naivität vorliegt? Dann bliebe der Verdacht, in London sei etwas besonders Cleveres für die Bewerbung versucht worden. So eine Art Masterplan: Die spektakuläre Versöhnung, die Umkehrung des Erdoğan-Effekts kurz vor der EM-Kür. Özil und Löw Arm in Arm, das wäre ein PR-Coup gewesen, der den türkischen Rivalen auf der Ziellinie den Wind aus den Segeln genommen hätte.

Nur wäre so eine Strategie äußerst riskant. Wer auf dem Hochseil tanzt, benötigt ein sicherndes Netz, um bei einem Fehltritt nicht ins Bodenlose zu fallen. Genau das wäre nun passiert, falls Löw, Bierhoff und Co. tatsächlich eine demonstrative Versöhnungsaktion im Sinne hatten, mit der sich im Kreuzverhör auf der Uefa-Bühne am Donnerstag jede Rassismus-Frage hätte abschmettern lassen. Eine Frage, die nun wohl erst recht kommt.

Ob sich die Bewerber verpokert haben oder nur naiv waren, als sie mit dem fast erloschenen Feuer spielten, bleibt offen. Sicher ist, dass sie kurz vor der Kür den größten aller Fettnäpfe gefunden haben.

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SZ vom 27.09.2018/tbr/ebc
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