Missbrauch im US-Wasserspringen:"Du schuldest mir das"

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Missbrauch im Leistungssport hat fast immer dasselbe Schema: Es ist in erster Linie psychische Gewalt, ein Ausnutzen von Vertrauen (Foto: AFP)
  • Zwei Sportlerinnen verklagen den US-Verband der Wasserspringer, weil er den Missbrauch durch einen Trainer nicht rechtzeitig und konsequent verfolgt habe.
  • Es ist ein Fall, von dem noch viele andere Sportlerinnen betroffen sein könnten.
  • Dabei zeichnen sich Parallelen zu anderen Sportarten ab, in denen Missbrauchsskandale schon aufgedeckt wurden - es geht immer um Verhaltensbrüche und Personen, die die mutmaßlichen Täter decken.

Von Saskia Aleythe

Es reicht schon ein Satz, um die Ohnmacht der Opfer zu beschreiben: "Du schuldest mir das." Du schuldest mir das, steht in der Anklageschrift gegen den Verband der US-Wasserspringer; ein ehemaliger Trainer der Ohio State University soll ihn gesagt haben, bevor er seine minderjährigen Athletinnen missbrauchte. Was in diesem Satz steckt, formulierte der Anwalt zweier Frauen, die die Klage einreichten, weiter aus: "Er hat ihr Alter, ihre Verletzlichkeit und ihren olympischen Traum ausgenutzt und seine Macht (...), um sie glauben zu machen, sie müssten ihm sexuelle Dienste als Gegenleistung geben, um Teil des Teams zu sein." Und weil man derlei Vorwürfe schon vom Turnen kennt und vom amerikanischen Schwimmverband, legt der Fall ein weiteres Puzzleteil in ein offenbar von Missbrauch geprägtes Leistungssportsystem der USA. Und das beinhaltet auch stets die Kultur des Wegschauens von Vertrauenspersonen.

John Little ist der Anwalt der Frauen, in einem Interview mit der Zeitung Indianapolis Star deutete er kürzlich an, dass es weitere Opfer gebe, er beschrieb die Situation im US-Wasserspringen als "schlimmer als im Turnen, schlimmer als im Schwimmen". Ein Ausmaß also, das noch mehr Ohnmacht in sich trägt: Im Februar erst war Larry Nassar, der frühere Teamarzt der US-Turnerinnen zu Gefängnisstrafen von bis zu 175 Jahren Haft verurteilt worden, er hatte sich massenhaft an jugendlichen Sportlerinnen vergangen. Im Mai folgte die Anklage der ehemaligen Weltmeisterin Ariana Kukors Smith gegen den US-Schwimmverband, weil sie von ihrem Jugendtrainer missbraucht worden war; auch da waren etliche Personen involviert, die hätten eingreifen können - aber nichts unternahmen. Nun also Wasserspringen.

Missbrauch im Schwimmen
:Wenn der Trainer Nacktfotos verlangt

Ariana Kukors Smith war Schwimm-Weltmeisterin, nun verklagt sie ihren Trainer, der sie als Minderjährige missbraucht haben soll. Und den US-Schwimmverband, der nichts unternommen hätte - über Jahre hinweg.

Von Saskia Aleythe

Konkret konzentriert sich der Fall auf die Ohio State University in Columbus, der Hauptstadt des Bundesstaates; an der war Trainer Will Bohonyi in Teilzeit angestellt, von 2012 bis 2014. Danach wurde er vom Verband in eine Datei aufgenommen, die auch der US-Schwimmverband pflegt: In dieser sind Trainer festgehalten, die bereits mit Missbrauchsvorwürfen konfrontiert wurden, was nicht bedeutet, dass bei allen auch Strafverfahren eingeleitet wurden. In der Anklage wird moniert, dass Bohonyi erst ein halbes Jahr nachdem die Universität von den Vorfällen wusste, in jene Datei aufgenommen wurde. In dieser Zeit habe Bohonyi eine Sportlerin täglich zum Sex aufgefordert, sie war damals 17 Jahre alt und schickte ihm Hunderte Nacktfotos; sie habe sich psychologisch dazu genötigt gefühlt. Was bei dem Satz, "du schuldest mir das", genau das Macht- und Abhängigkeitsverhältnis zwischen Trainern und Sportlerinnen beschreibt, das sich in ähnlichen Fällen immer wieder zeigt. Es ist psychische Gewalt.

Der US-Verband wollte den Fall bisher nicht kommentieren, formulierte stattdessen folgende Mitteilung: "Eine sichere Umgebung für unsere Mitglieder zu bieten, ist für uns von enormer Wichtigkeit, und wir nehmen diese Themen sehr ernst." Bohonyi bestreitet, dass es zum Geschlechtsverkehr gekommen sei. Eindeutig anzügliche Chat-Protokolle zwischen ihm und einer der Sportlerinnen seien "nur Spaß" gewesen. Die Protokolle liegen dem Gericht vor, in einem schrieb die Athletin dem Trainer: "Danke, dass du bei meinem ersten Mal so zärtlich warst."

Aus Spaß? Ein Sprecher der Ohio State University teilte mit, in dem Fall damals ermittelt und den Trainer schließlich entlassen zu haben. Laut Anklage wird den Verantwortlichen vorgeworfen, bereits jahrelang von den Nacktfotos gewusst zu haben. Ohnehin steht die Universität derzeit besonders im Fokus: Anfang Juli hatten vier ehemalige Ringer Klage gegen sie eingereicht - ebenfalls wegen Missbrauchs. Ein Arzt, der unter Sportlern nur "Dr. Jelly Paw" genannt wurde - übersetzt etwa "Doktor Grapschfinger" -, habe sie und Tausende andere Sportler bei Untersuchungen mit "medizinisch unnötigen Berührungen" bis hin zur Penetration missbraucht. Offenbar konnte der Mann über Jahrzehnte hinweg sein System aufrechterhalten, 2005 nahm er sich das Leben.

© SZ vom 19.07.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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