Misere im deutschen Biathlon:Neuners Erbe bröckelt

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Andrea Henkel: Abtritt in schwieriger Situation (Foto: imago sportfotodienst)

Magdalena Neuner hat dem deutschen Frauen-Biathlon ein wunderbares Image hinterlassen. Zwei Jahre nach ihrem Rücktritt stecken Athleten und Verantwortliche in der Krise. Noch lässt sich der Sport trotz Misserfolgen, Team-Zerwürfnissen und Dopingfall vermarkten. Doch das könnte sich bald ändern.

Von Saskia Aleythe

Die kleine Biathlon-Familie hatte einen Traum. Emanzipieren wollte sie sich vom Namen Magdalena Neuner, eigene Erfolge holen, das Image des Sports pflegen. Im Dezember 2012, der ersten Saison ohne Neuner, versuchte Miriam Gössner, eines klar zu machen: Es geht weiter im deutschen Biathlon-Team, auch ohne Neuner. "Das immer wieder infrage zu stellen, das ist nicht schön für das Team", sagte Gössner, "da wollen wir nicht mehr drüber reden".

Doch nun, da die zweite Weltcup-Saison ohne die dreimalige Gesamtsiegerin zu Ende geht, muss immer noch über Neuner geredet werden. Unabhängig vom Abschneiden der Deutschen beim Saisonfinale an diesem Wochenende in Oslo ist schon jetzt klar: Um das deutsche Frauen-Team ist es nicht sonderlich gut bestellt. Dass die Erfolge ausbleiben ist das eine. Hinzu kommt ein ramponiertes Image, bedingt durch Querelen zwischen Athleten und Trainern. Und der Dopingfall Sachenbacher-Stehle.

Jahrzehntelang hatte das deutsche Biathlon Siegerathletinnen parat, die in jedem Rennen um die Podestplätze mitliefen: Uschi Disl, Antje Harvey (Misersky), Petra Behle (Schaaf), Simone Greiner-Petter-Memm, Martina Beck (Glagow), Katrin Apel, Martina Zellner, Simone Hauswald, Kati Wilhelm, Andrea Henkel und eben Magdalena Neuner - sie prägten die Biathlon-Nation Deutschland mit ihren Erfolgen.

Sie lockten Sponsoren und Zuschauer. So viele Zuschauer, dass Biathlon zur Premium-Wintersportart der Öffentlich-Rechtlichen aufstieg. "Da hat sich über die Jahre ein grundsätzliches Interesse aufgebaut, von dem der Sport noch heute profitiert, das Niveau ist weiterhin sehr hoch", sagt Veit Wolff vom Sportmarketing-Forschungsunternehmen Repucom. "Im Biathlon ist aufgrund von Rennverläufen und Schießleistungen immer viel möglich, das macht es interessant. Die Sportart ist damit so attraktiv, da wird auch unabhängig vom nationalen Erfolg gerne zugeschaut."

Verfolgten bei der ARD in der Abschiedssaison von Neuner durchschnittlich 3,74 Millionen Menschen die Weltcup-Rennen, beläuft sich die Schätzung für die aktuelle Saison auf 3,2 Millionen. "Sehr zufrieden" ist man beim Sender mit den Zahlen, sagt Sportkoordinator Axel Balkausky auf SZ-Anfrage, Biathlon sei weiterhin die erfolgreichste Wintersportart im Ersten. Dass es im Vergleich zu den Vorjahren leicht bergab ging mit der Quote, stellt laut Experte Wolff für die Sportart noch keinen Grund zur Beunruhigung dar. Doch wie viele Jahre ohne Erfolge verträgt der Sport?

In der Nationenwertung liegen die deutschen Frauen in dieser Saison hinter Russland auf Rang zwei. Das sieht schön aus, übertüncht aber, dass keine Athletin halbwegs konstant gute Ergebnisse liefert. Andrea Henkel hat als beste Deutsche in ihrer Abschiedssaison bisher einen Sieg und einen zweiten Platz erreicht. Vorgenommen hatte sie sich mehr. Viel mehr.

Dass es keine Identifikationsfigur im deutschen Team mehr gibt, schmerzt den Sport. Die 36-jährige Henkel ist nicht der Typ charmantes Strahlemädchen, das Neuner darstellte. Miriam Gössner schon eher, doch sie musste ihre Saison wegen einer Rückenverletzung vor Olympia beenden. Die jungen Laura Dahlmeier und Franziska Preuß, beide 20 Jahre alt, sind hochtalentiert, aber mit dem großen (Sport-)Geschäft noch nicht vertraut. Dabei sehnt sich der Verband mehr denn je nach einer jungen Identifikationsfigur - und trifft dabei überstürzte Entscheidungen.

In Sotschi wollte sich Preuß beim Einzel schonen. Die Trainer hätten sie dann aber zum Start "mehr oder weniger genötigt", berichtete Neuner aus einem persönlichen Gespräch mit der Athletin. Preuß trat an, wurde nach fünf Fehlern bei zwei Schießeinlagen aus dem Rennen genommen und brach noch neben der Strecke in Tränen aus.

"Der Verband kann die Voraussetzungen dafür schaffen, dass Nachwuchsathleten an die Weltspitze herangeführt werden", sagt Marketing-Experte Wolff, "aber Persönlichkeit und Ausstrahlung muss der Athlet gewissermaßen selbst mitbringen, das lässt sich nicht erzwingen." Ein zweites Neuner-Image zu erschaffen, sei auch gar nicht nötig. "Auch ein kritischer oder zurückhaltender Athlet kann Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Am wichtigsten ist der sportliche Erfolg, dann kommt die Persönlichkeit."

Und so bestimmt eine Person wieder einmal den öffentlichen Diskurs: Magdalena Neuner. "Ich glaube, da ist momentan ein riesengroße Kluft zwischen Sportlern und Trainern", sagte sie dem Bayerischen Rundfunk und forderte einen Neuanfang im deutschen Frauen-Biathlon: Das Menschliche passe nicht mehr, "irgendetwas stimmt da definitiv nicht an der Einschätzung der Trainer". Kathrin Lang, die um einen Einsatz im Weltcup kämpfte, fühlte sich wegen undurchsichtiger Nominierungskriterien "verarscht", "teilweise auch gemobbt. Man hat das Gefühl, das wird bewusst so gemacht, um die Sportler mürbe zu machen".

Gerald Hönig und Ricco Groß, verantwortlich für das Training der Frauen, werden am Saisonende wohl ihre Posten räumen müssen. "Trainingsmethodische Fehler" hatte ihnen Thomas Pfüller, Sportdirektor des Deutschen Skiverbandes (DSV), vorgeworfen. Eine Jobgarantie wollte er den Trainern nach den medaillenfreien Spielen nicht ausstellen.

Die Biathlon-Familie ist auseinandergerückt. Sotschi war für sie ein Desaster. Am meisten enttäuscht hatte eine, auf die viele gehofft hatten, weil sie auch so schön lächeln kann wie Neuner: Evi Sachenbacher-Stehle. Wie eine Schockwelle traf der positive Dopingbefund der 33-Jährigen die Szene. "Ein Generalverdacht gegen den Sport und Sponsoren ist aber nicht zu erwarten", sagt Wolff, "das fokussiert sich in diesem Fall sehr stark auf die betroffene Person." So hätten sich auch nach den Dopingfällen im Radsport die Sichtweisen auf einen Sponsor nicht verschlechtert. "Da konnte der Fan schon differenzieren, dass es mit dem Sponsor nichts zu tun hat."

2012 hatte das deutsche Biathlon noch eine international gefeierte Persönlichkeit als Zugpferd. 2014 einen Dopingfall, Trainer-Streit und Misserfolge. Magdalena Neuner wird noch lange Gesprächsthema bleiben.

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