Süddeutsche Zeitung

Miroslav Klose:Leisetreter im Strafraum

Miroslav Klose war stets ein Meister des Understatements: Nun beendet er seine fast einzigartig romantische Karriere. Der Ruf als Kopfballstürmer wurde ihm gar nicht gerecht.

Von Javier Cáceres

Es war still geworden um Miroslav Klose, dann tauchte der Rekordstürmer der deutschen Nationalmannschaft vor wenigen Wochen plötzlich wieder in den Schlagzeilen auf. Unvermutet, so wie neulich erst im Strafraum.

Bis zum Ende der vergangenen Saison hatte Klose bei Lazio Rom gespielt; dann hieß es in italienischen Zeitung, er stehe, mit 38 Jahren, vor einem spektakulären Comeback. Der SSC Neapel war nach dem Kreuzbandriss von Arkadiusz Milik auf der Suche nach einem Ersatzmann und hatte Klose kontaktiert. Aus einer Rückkehr auf den Rasen wird nun aber nichts. Am Dienstag bestätigte der Deutsche Fußball-Bund (DFB), dass Klose im Trainerstab von Joachim Löw ein individuelles Ausbildungsprogramm absolvieren werde - "mit dem klaren Ziel, die Trainerlaufbahn einzuschlagen". Mit anderen Worten: Klose beendet seine atemraubende, fast schon einzigartig romantische Karriere.

Der Nationalmannschaft hatte Klose nach dem WM-Triumph 2014 den Rücken gekehrt. Damals hatte er im Maracanã-Stadion von Rio de Janeiro den WM-Pokal in die Höhe stemmen dürfen. Er glitt in seine Hände, weil er in der 88. Minute dem Helden des Finales gegen Argentinien Platz gemacht hatte, dem Siegtorschützen Mario Götze. Es passte zu Klose, dass er nicht selbst Held wurde: Er war stets ein Meister des Understatements, ein Leisetreter des Strafraums. Er war nicht mal ein richtiges Kopfballungeheuer, obwohl sein Spiel lange auf genau das reduziert worden war - den Kopfball. Rekorde brach er nie krachend oder polternd. Klose hatte 2014 in Belo Horizonte seinen WM-Treffer Nummer 16 erzielt, damit den echten Ronaldo (Brasilien, 15 Tore) und Gerd Müller (14 Tore) übertroffen. Aber wer wollte davon reden im Lichte des 7:1-Sieges der Deutschen gegen Brasilien?

Von allen Verbands-Jugendtrainern übersehen

Als er Gerd Müller übertraf als Rekordtorschützen der Nationalmannschaft, tat er das in einem Freundschaftsspiel ohne Flair, der Gegner hieß Österreich. Am Ende hatte Klose in 137 Länderspielen 71 Tore erzielt. Doch mit dem so unnachahmlichen wie unerreichten "Bomber der Nation" wollte er sich nicht vergleichen. Das stehe niemandem zu, sagte er, als wäre das Blasphemie. Müller hatte das letzte seiner 68 Tore in seinem letzten Länderspiel erzielt, beim 2:1-Sieg im WM-Finale 1974 von München gegen die Niederlande.

Die Geschichte Kloses ist oft erzählt worden: Er wurde in Polen geboren, kam als Achtjähriger nach Deutschland, sein Vater war zuvor unter anderem Profi beim französischen Zweitligisten AJ Auxerre gewesen, seine Mutter war eine erstklassige Handballerin. Miroslav Klose begann in der Jugend beim SG Blaubach-Diedelkopf, wurde von allen Verbands-Jugendtrainern übersehen, feierte im Jahr 2000 im Dress des 1. FC Kaiserslautern sein Bundesligadebüt. Eine besondere Geschichte war das allein schon deshalb, weil Klose damals längst seinen 20. Geburtstag gefeiert hatte - und weil er zuvor den FCK auf den Stehrängen angefeuert hatte. 2004 wechselte er zu Werder Bremen, weil der FCK schon damals klamm war, und entwickelte sich so gut, dass er 2006 mit 25 Toren Bundesliga-Torschützenkönig wurde und der FC Bayern ihn 2007 abwarb. In Bremen hat man ihm das lange nachgetragen.

In München wurde er zwei Mal Double-Sieger (2008/2010), verlor ein Champions-League-Finale, wurde aber nie richtig glücklich. 2011 ging er zu Lazio Rom. In das Land, dessen größtes Sportblatt ein paar Jahre zuvor mal geschrieben hatte: "Er wird nie ein Ronaldo sein und nie etwas mit Totti zu tun haben. Klose ist nicht schön, und sein Fußball ist nicht schön."

Er musste das auch nicht sein, schön: Als er im Sommer bei Lazio aufhörte, hatten sich die Italiener längst in Klose verliebt. In den Klose, der oft bloß als sprunggewaltiger Kopfballstürmer verkannt wurde, obwohl er eine diabolische Schnelligkeit und auch mit dem Fuß einen guten Abschluss hatte und schließlich in 138 Serie-A-Spielen 54 Tore erzielt hatte. Vor allem aber in den Klose, der 2012 auf das mögliche 1:0 Lazios gegen den SSC Neapel verzichtete, als er dem Referee beichtete, er habe den Treffer mit der Hand erzielt. Neapel siegte 3:0. Er habe "kaum einen Spieler erlebt, der mehr für Bodenständigkeit, Bescheidenheit, Fairplay, Professionalität, Verlässlichkeit und Teamgeist steht" als Klose, sagte einmal Joachim Löw.

Nun holt er ihn in den Trainerstab. "Mit seinem Blick und seiner Erfahrung kann ich ihn mir künftig sehr gut als Trainer vorstellen", sagte Löw. Schon in der Vergangenheit hatte Klose gesagt, über eine Zukunft als Coach nachzudenken, die notwendige Lizenz erwirbt er nun beim DFB. "Ein Spiel zu lesen, mich akribisch vorzubereiten, Strategien und Taktiken zu entwickeln - das hat mich schon als Spieler sehr gereizt und beschäftigt", sagte Klose. Er wird erstmals bei den Länderspielen am 11. November in San Marino und am 15. November in Italien Teil des Trainerstabs sein. Es liegt auf der Hand, dass Klose vor allem mit den Stürmern arbeiten dürfte.

Da hat Löws Team so großen Verbesserungsbedarf, dass man sich fragt, ob Löw ihn nicht doch besser reaktiviert hätte.

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SZ vom 02.11.2016/ska
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