Zlatan Ibrahimovic beim AC Mailand:Der alte Löwe ist hungrig

Photo LaPresse - Spada October 17 , 2020 Milan ( Italy ) Soccer A.C. Milan- Season 2020-2021 - Serie A Inter Vs Ac Mila

Unwiderstehlich: Zlatan Ibrahimovic hat den AC Mailand zum besten Ligastart seit einem Vierteljahrhundert geführt.

(Foto: imago images/LaPresse)

Zlatan Ibrahimovic ist noch immer ein exzentrisches Großmaul und ein fußballerisches Spektakel. Der 39-Jährige hat Milan an die Spitze der Serie A geführt - und aus einer langen Lethargie geweckt.

Von Oliver Meiler, Rom

Bei Zlatan Ibrahimovic weiß man ja nie so genau, wie ernst er es meint mit seiner Großmaulerei, mit dieser quasimessianischen Selbstverklärung. Vielleicht ist sie nur eine Marotte, eine Rolle, und er ist tragisch in ihr gefangen - etwa so wie Schauspieler, die eine Karriere lang nur ein Repertoire zu beherrschen scheinen: die des Klamaukaffen oder die des Bösewichts. Doch zieht man bei dem Schweden den selbstgefälligen Klamauk ab, bleibt eine ganze Menge fußballerisches Spektakel übrig, auch mit 39 noch, was ihn selbst kein bisschen erstaunt. Er hält sich jetzt für Benjamin Button, den Romanhelden von F. Scott Fitzgerald, der rückwärts altert. Okay, er ist nicht mehr ganz so fit wie mit 20 oder 30. "Doch mich stoppt keiner."

"Ibra" hat das erste Mailänder Derby der Saison, das erste überhaupt ohne Publikum in 111 Jahren Geschichte, mit zwei Toren und einer fast diktatorischen Herrschaft über das Geschehen allein entschieden: 2:1 für den AC Mailand. Die Zeitungen nennen ihn nun wahlweise "Padrone", "König" und "absoluter Kaiser". "Monumental" sei er gewesen, findet die Mailänder Zeitung Corriere della Sera, mehr geht wohl nicht. Inter Mailand hatte seit 2016 kein Derby mehr verloren, nun verlor es gegen den ältesten Torschützen, den der Klassiker jemals erlebt hat. Für die Statistiker: 39 Jahre und 14 Tage. Ibrahimovic spielte 95 Minuten durch, obschon er vor einer Woche noch zuhause in Quarantäne war, Corona-positiv. Die schnelle Rückkehr hatte ihm vorab bei vielen Bewunderung eingetragen, Lob für den Kampfgeist.

Er muss immer noch einen draufgeben

Aber das reicht ihm eben nicht, er muss immer noch einen draufgeben. Kaum war das Spiel vorbei, postete Ibrahimovic auf Instagram das Bild eines Löwen mit blutverschmiertem Mund, zerzaust vom Kampf mit seiner Beute, dazu ein italienisches Wort: "fame", Hunger. Die Ästhetik des Posts ist unbedingt debattierwürdig, gerade in diesen Zeiten. Aber tatsächlich, man sieht Ibrahimovic den Hunger an. Er elektrisiert damit auch die vielen jungen Spieler im Ensemble von Milan, die er zur Reife führen soll - als väterlicher Leader.

In einer schnelleren Liga wäre er wahrscheinlich nicht mehr ganz so wirkungsvoll wie in der oftmals beschaulich geruhsamen Serie A. Hier ist für die "giocata", die trickreiche Nummer, noch immer eine Sekunde mehr Zeit als anderswo. Manchmal steht er nach einer Offensivaktion so lange im Abseits, um Luft zu holen, dass sie hinten mit dem Aufbau warten müssen. Aber diese Pausen braucht er.

"Bei uns könnte er bis 45 weiterspielen"

Doch dann ist er wieder ganz da, zur Not auch als Turm im Nebel, für lange Zuspiele. Das Leder klebt dann jeweils förmlich an Ibrahimovic' Füßen, an seiner Brust, auf den Oberschenkeln, und wer es sich zurückholen will, muss schon seine imposante Ganzkörperparade durchbrechen. "Ibra" ist 1,95 Meter groß, die langen Arme sperren eine Zone von gefühlt drei Metern Radius um ihn herum. So herrscht er. Und mit kurzen, lässig aus dem Fußgelenk gespielten Pässchen, mit Hackentricks im Gewühl, mit weiten Umschaltflanken bei Kontern und Verrenkungsfinten, wie man sie von einem Skorpion zu kennen glaubt. Mit Vista natürlich. Der frühere Verteidiger Beppe Bergomi, heute Fernsehkommentator bei Sky, sagte nach den zwei frühen Toren von Ibrahimovic: "Bei uns könnte er bis 45 weiterspielen."

Ibrahimovic hat Milan aus einer langen Lethargie geweckt, und das war so nicht zu erwarten gewesen. Als er im vergangen Winter aus Los Angeles nach Mailand zurückkehrte, wo er einst für beide Stadtvereine gespielt hatte, war die Skepsis groß. Milans Geschäftsführer, der Südafrikaner Ivan Gazidis, hatte sich schon im Jahr zuvor gegen ein Repatriierung der verflossenen Vereinsglorie gesträubt, weil sie ihm als zu alt erschien. Ein Jahr später ließ er sich überzeugen, aus Verzweiflung. Gazidis hätte viel lieber eine Revolution gestartet, mit dem deutschen Fußballlehrer Ralf Rangnick als Manager über allem, und mit vielen jungen Talenten. Das war der Masterplan, alle Gewissheit stand zur Disposition. Dann aber kamen die Seuche, der Lockdown, die Pause für den Calcio.

Milan steht an der Spitze der Tabelle

Nach dem Re-Start der Serie A war Milan gar nicht mehr wiederzuerkennen. Dem belächelten Trainer Stefano Pioli war es gelungen, das Team um Ibrahimovic und Hakan Calhanoglu, den Regisseur im Mittelfeld, zu einer selbstbewussten, unterhaltsamen Elf zu bauen, die fast nur noch gewinnt. Der Masterplan? Weggeblasen.

Nun steht Milan nach vier Spieltagen als einziges Team mit voller Punktzahl und nur einem einzigen Gegentor an der Spitze der Tabelle. So gut war man seit einem Vierteljahrhundert nicht mehr in eine Saison gestiegen, seit Zeiten des "Grande Milan" von Silvio Berlusconi also. Ibrahimovic konnte wegen Corona zwar nur bei zwei Spielen mitwirken, erzielte aber schon vier Tore. Ob er denn überrascht sei von seiner Form, fragte ein italienischer Reporter nach dem Derby. Nun ja, was kann "Ibra" an "Ibra" schon überraschen? "Nein, ich weiß, was ich kann", sagte er. Und dann, fast schon wieder biblisch: "Wer glaubt, kann alles erreichen."

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