Ski alpin:Die nächste Rentier-Patenschaft für Shiffrin

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Routinierte Rentierfütterin: Mikaela Shiffrin, 24. (Foto: Getty Images/Christophe Pallot/Agence Zoom)
  • Beim Weltcup in Levi gewinnt, wenig überraschend, Mikaela Shiffrin.
  • Doch im Gegensatz zu den vergangenen Jahren wirkt sie gelassener. Sie scheint die Leidenschaft am Skifahren wiederentdeckt zu haben.
  • Auch die deutschen Frauen zeigen starke Leistungen.

Von Johannes Knuth, Levi/München

Seit ein paar Wochen bekommt man in den digitalen Netzwerken eine neue Mikaela Shiffrin zu sehen. Eine ohne Ski-Overall, Helm und Brille, dafür mit Gitarre, Gesang und rotem Lippenstift ("um von den Abdrücken meiner Skibrille abzulenken", wie sie gewohnt selbstironisch anmerkte). Shiffrins Mini-Konzerte vor ihrem digitalen Fan-Volk fanden jedenfalls großen Anklang, wie sie zuletzt mit einem eher ungewohnten Anflug von Stolz berichtete: "Ich bin nicht Lady Gaga, aber mir hat es auch gefallen. Ich hatte ja immer gedacht, die Leute wollen mich so vielleicht gar nicht sehen." Aber noch mehr als für Skirennfahrerinnen, stellte die 24-Jährige fest, interessieren sich die Menschen offenbar für, nun ja, Menschen.

Der alpine Skibetrieb bricht gerade in eine Saison des Umbruchs auf, in Levi konnte man das am Wochenende wieder besichtigen: Der Norweger Henrik Kristoffersen gewann tatsächlich mal wieder einen Slalom, knapp vor dem Franzosen Clement Noel und Daniel Yule aus der Schweiz; nachdem Kristoffersen zuletzt ständig ein gewisser Marcel Hirscher vor der Nase herumgetanzt war. Linus Straßer, der 27-jährige Münchner, schob sich nach zwei pannenbehafteten Wintern im Schneegestöber sogar noch auf einen hochseriösen achten Platz - sein zweitbester Ertrag im Weltcup überhaupt.

Die deutschen Frauen rückten nach knapp zwei Jahren sogar mal wieder zu viert in den zweiten Durchgang, in Lena Dürr (10.), Christina Ackermann (16.), Marlene Schmotz (22.) und Marina Wallner (27.). Nur ganz vorne wirkte alles sehr vertraut: Shiffrin triumphierte, diesmal mit mächtigen 1,78 Sekunden Guthaben auf die Schweizerin Wendy Holdener. Es war ihr 61. Weltcup-Sieg und ihr 41. im Slalom, womit die Amerikanerin auch die Bestmarke eines gewissen Ingemar Stenmark übertraf. Alles beim Alten also?

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Neulich, beim Saisonauftakt in Sölden, da hatte Shiffrin berichtet, dass sie sich nun endlich davon abschotten könne: dass sie eben längst nicht mehr nur gegen Konkurrentinnen auf der Piste fährt, sondern auch gegen die Geschichtsbücher. "Ich habe es schon in der letzten Saison sehr genossen, dass ich die Rennen bestritten habe, ohne fremde Erwartungen erfüllen zu wollen oder zu müssen." Das war vor gar nicht so lange Zeit noch anders. Damals verfolgten sie die Fragen nach Siegesserien und Rekorden wie eine dunkle Wolke, vor den Rennen übergab sie sich oft, vor Nervosität.

"Aber irgendwie", sagte sie, habe sie wieder zu sich und dem Gefühl gefunden, das sie in ihren Debütjahren im Weltcup getragen hatte: der Leidenschaft fürs schnelle Skifahren. Alles andere komme dann eh von selbst. Dabei schauen mittlerweile ja noch mehr Menschen auf sie, da zuletzt viele Werbegesichter ihres Sports zurücktraten: Hirscher, Aksel Svindal, Felix Neureuther - und Lindsey Vonn natürlich, Shiffrins Landsfrau, die früh begriffen hatte, dass viele Amerikaner sich nur fürs Skifahren interessieren, wenn man ihnen mehr bietet als Siege und Rekorde.

Aber Shiffrin ist auch da mittlerweile eine würdige Nachfolgerin, auf ihre Art: "Ich bin ich", sagte sie zuletzt, was auch heißt: Fotoshootings im Bikini, die Vonn gerne mal wahrnahm, wird es mit ihr eher nicht geben ("Ich will nicht auf mein Aussehen reduziert werden"). Aber sie fühle sich allmählich wohler dabei, Dinge preiszugeben, die sie früher für sich behalten hätte - "weil ich sie für privat halte, und weil ich dachte, dass ich sonst den Fokus aufs Skifahren verliere". Hausbesuche in ihrem Eigenheim in Colorado etwa, das sie zuletzt bauen ließ, oder die Gitarrenstunden, mit denen sie sich im Privaten schon immer abgelenkt hatte: "Wenn die Erwartungen immer höher werden", findet Shiffrin, "ist es umso wichtiger, dass du dich von all dem auch mal abnabelst."

Das kommt ihr wiederum verstärkt in ihrem Hauptgewerbe zugute: "Ich bin mittlerweile sehr gut darin, auf meinen Körper zu hören", sagt sie - anders noch als bei den Winterspielen 2018 etwa, als Shiffrin sich mit ihrem Rennprogramm übernahm. Sie ist ja längst in allen fünf alpinen Disziplinen siegbefähigt, vom Slalom über die Abfahrt bis zu den Parallelrennen, im vergangenen Frühjahr gewann sie erstmals die Weltcup-Wertungen im Riesenslalom und Super-G.

Der Slalom, sagte Shiffrin zuletzt, sei noch immer ihr "bester Freund, der mit mir durch dick und dünn gegangen ist", da wolle sie im neuen Winter auch nicht untreu werden. Aber sie wolle auch weiter in die Speed-Disziplinen expandieren, was ihr in dieser Saison einfacher fallen dürfte, da weder Weltmeisterschaften noch Winterspiele anstehen. Alles in allem wolle sie den neuen Winter so beenden wie den alten: "Ich wollte damals gar nicht aufhören, ich hatte so viel Spaß."

Für die Konkurrenz muss das in etwa so erbaulich klingen wie schlechte Schneeprognosen vor dem Winterurlaub. In Levi, wo Shiffrin bereits zum vierten Mal gewann (und damit die vierte Patenschaft für ein Rentier übernahm, das sie "Ingemar" taufte), hatte sie zwar Glück, da die führende Slowakin Petra Vlhova im zweiten Lauf ausschied. Andererseits: Die Klasse, die die Konkurrenz ein paar Tore oder Durchgänge lang abruft, führt Shiffrin eben vom ersten bis zum letzten Tor auf, Rennen für Rennen.

Der Gesamtweltcup wird ihr in diesem Winter wohl zum vierten Mal zufallen, Stenmarks 86 Weltcup-Erfolge schimmern auch immer klarer am Horizont. Wobei Shiffrin zuletzt zugab, dass sie sich zumindest schon mal kurz mit ihrem Berufsausstand beschäftigt habe; sie tourt ja seit ihrem 16. Lebensjahr durch den Weltcup wie eine Rockband, die seit Jahren die Hallen füllt. "Ich kann mir nicht vorstellen, dass ich noch weit nach meinem 30. Geburtstag fahre", sagte sie. "Aber wenn ich dann noch immer Spaß habe und die Erwartungen erfüllen kann, mache ich weiter."

Die eigenen Erwartungen, wohlgemerkt. Die sind ja meist schon gewaltig genug.

© SZ vom 25.11.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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