Gleich neben dem Eingang zum Team Haas endet die Formel 1. Nur noch ein Drehkreuz gibt es dort, das Unberechtigten den Zutritt versperrt, und gleich dahinter: die Berge. Wer zu Haas will, der muss den weitesten Weg laufen, es steht an der Rennstrecke in Spielberg sozusagen an der letzten Adresse. Selbst das kaum größere Team von Alfa Romeo hat ein wesentlich wuchtigeres Zuhause, nur bei Haas hat man immer das Gefühl, das ganze Brimborium ließe sich notfalls auch mit ein paar Gabelstaplern wieder wegschaffen.
Die Menschen haben sich inzwischen daran gewöhnt, dass die kleine Haas-Schatulle ein besonderes Exponat der Formel 1 beherbergt, die Reporter strömen nicht mehr in Heerscharen zu ihm wie noch vor Jahren in der Nachwuchsserie Formel 2. Damals, als die Attraktion ganz neu und noch nicht in der Formel 1 war, da kamen Journalisten aus Brasilien, Mexiko und Russland zum winzigen Prema-Team, um sich einer Art Gesichtstourismus hinzugeben: Da schau an, die Augenpartie und das Kinn! Ganz wie der Papa.
Daran muss man denken, als sich nun in Spielberg nach eineinhalb überwiegend kontaktfreien Coronajahren vor den drei schlichten roten Stufen von Haas endlich mal wieder ein ordentlicher Reporterhaufen ballt. Und diesmal ist niemand gekommen, um den Sohn des Rekordweltmeisters anzuglotzen. Sie sind gekommen, um mit dem Rennfahrer Mick Schumacher über das Rennfahren zu reden. Und über das, was einen Rennfahrer in der Leistungsgesellschaft Formel 1 recht eigentlich definiert: Überholmanöver! Und WM-Punkte.
Rennstall-Chef Steiner hat seinen Fahrer mehrmals öffentlich hingehängt, teils auch zurecht
31 Rennen hat Mick Schumacher benötigt, eineinhalb Jahre hat es gedauert, ehe er am Sonntag in Silverstone mit einem achten Platz seine ersten vier Zähler einfahren konnte. Fünf Tage später legte er im Qualifying für das Sprintrennen an diesem Samstag in Spielberg ebenfalls die siebtbeste Zeit vor. Es läuft endlich. Sein Chef, der Südtiroler Günther Steiner, hatte immer wieder Punkte von ihm eingefordert. Ob Schumacher nun also eine Art Erlösung verspürt? Oh nein, sagt er. Er würde überhaupt nicht sagen, "dass mir deshalb Gewicht von den Schultern genommen wurde". Ach, echt nicht? Schumacher lächelt. Er war doch vorher schon mindestens zweimal nah dran an einem Punktgewinn, in Miami rammte er Sebastian Vettel, in Kanada versagte sein Motor.
Er spricht jetzt lieber über Max Verstappen. Mit dem Weltmeister hat er sich tatsächlich in Silverstone duelliert. Zwar saß der in einem lädierten und schwer zu lenkenden Wagen - aber immerhin. Schumacher, der von Platz 19 gestartet war, hat ihn kurz vor Rennende versucht zu überholen, wie es schon die Frechdachse in den Go-Karts machen. Erst hat er es außen rum in einer Kurve versucht, das ist immer gefährlich, weil sich der auf der Innenbahn einfach nach außen treiben lassen kann. Dann hat er es innen probiert, und dabei sogar seine Vorderräder schon vorbeigeschoben an der Hinterachse Verstappens. Ein wichtiges Detail. Denn wäre das Reglement umgesetzt worden, dann hätte ihn Verstappen nicht mehr abdrängen dürfen, argumentiert Schumacher. "Das wären immerhin zwei WM-Punkte mehr für das Team und mich gewesen."
Das Team und er. Das war in dieser Saison eine Geschichte voller Spannungen. Zumindest zwischen dem Teamchef und ihm. Steiner hat seinen Fahrer mehrmals öffentlich hingehängt, und zumindest für eine leise, interne Kritik hatte ihm Schumacher auch Anlass gegeben: Drei Crashs hat er gezeigt, in Saudi-Arabien, Miami und Monaco. Dazu kamen Dreher, einmal zwei in einem Grand Prix. Dabei stand ihm ein Auto zur Verfügung, mit dem sein erfahrener Teamkollege Kevin Magnussen schon vor dem zehnten Rennen weit vorne aufgetaucht war: zweimal war der Däne Neunter geworden, einmal Fünfter. Schumachers beste Platzierung vor Silverstone: Elfter.
Im zweiten Jahr ging es für Mick Schumacher immer nach oben - in allen Nachwuchsklassen
Schumachers Vertrag bei Haas läuft aus Ende der Saison. Und die in ihrer Heftigkeit irritierende Kritik seines Teamchefs hat bislang nicht darauf hingedeutet, dass er sich große Hoffnung auf eine Anschlussbeschäftigung machen darf. Besonders irritierend war, dass Steiner die Irritationen nicht einmal nachvollziehen konnte, die er mit seinen öffentlich knallenden Peitschenhieben verursachte. Schumacher brauche "jemanden, der ihm hilft und ihn nicht zu viel kritisiert", meinte sogar Bernie Ecclestone und fügte an: "Wenn Michael (Micks Vater, d. Red.) hier wäre, würde er Günther zeigen, wo es langgeht." Dass da der Führungsstil eines Teamchefs von einem Autokraten kritisiert wurde, der neulich Wladimir Putin eine "erstklassige Persönlichkeit" nannte, ist nicht ohne Ironie.
Nach dem Rennen in Monaco, in dem Schumacher verunfallte, hatte Steiner mit dem Satz "Wir müssen schauen, wie wir von hier aus weitermachen" jede Menge Raum für Fantasie gelassen. Immer wieder verwies er nach Schumachers Crashs auf die entstandenen Kosten, dazu hielt er zugleich den Druck hoch, indem er meinte, in der Formel 1 habe ein junger Fahrer nicht ewig Zeit, ehe er endlich mal punktet. Und auf die Frage, wovon eine Verlängerung des Kontrakts abhänge, sagte Steiner: "Das hängt auch von Ferrari ab." Das klang fast so, als sei ein Machtwort aus Maranello die einzige Chance Schumachers auf eine Zukunft in der Formel 1. Die Italiener unterhalten eine Kooperation mit Haas, liefern den Motor und haben ein bedeutendes Mitspracherecht bei der Besetzung eines der zwei Cockpits des Kundenteams.
Auf SZ-Nachfrage, wie die Situation nach Silverstone aussehe, antwortet Steiner in Spielberg weiter ausweichend. "Performance ist alles in unserem Sport", sagt er. Im Moment würde noch niemand über Verträge nachdenken. "Bei Haas fangen wir immer erst nach der Sommerpause an, uns damit zu beschäftigen. Er hat gerade seine ersten Punkte geholt, jetzt lasst uns doch mal sehen, wie es weitergeht." Es gehe darum, die "beste Entscheidung zu treffen, um das Team voranzubringen. Wenn wir also diesmal noch mehr Zeit benötigen, um eine Entscheidung zu treffen, dann werden wir sie uns nehmen. Hoffentlich zeigt Mick eine gute Leistung, dann bleibt er."
Gezeigt hat Schumacher diese Leistung auf seiner bisherigen Reise durch die Nachwuchsklassen stets im zweiten Jahr. Eine Saison brauchte er immer, um sich an die neuen Autos zu gewöhnen. So war es in der Formel 4, der Formel 3, der Formel 2: Und in der Formel 1? Da ist es nun komplizierter. Denn sein Debüt gab er 2021 in einem Haas, der eher ein technischer Witz war als ein Rennwagen. Es war ein Vorjahresmodell, absichtlich nicht weiterentwickelt, um Kosten und Energie zu sparen für das jüngste Modell im ersten Jahr der Regelreform 2022. Auf der Strecke lieferte sich Schumacher ein Privatduell mit Teamkollege Nikita Masepin. Konnte man da überhaupt lernen, sich im Kampf um die Punkte zu behaupten?
"Ich glaube, es gab vieles Neues, das ich dieses Jahr lernen musste, was ich letztes Jahr nicht lernen konnte", erklärt Schumacher nun. Das Neue ist aber das Wesentliche: Zweikämpfe im Rennen, Strategieänderungen oder auch Momente, in den es einfach gelte, ruhig zu bleiben "und seine Arbeit zu machen".
An der Rennstrecke in Spielberg gibt es einen sogenannten "Walk of Legends". Neben Bildern ehemaliger Weltmeister hängt ein Knopf, drückt man drauf, beginnen sie zu sprechen. Michael Schumacher erzählt auf Knopfdruck die Geschichte, wie fleißig er früher auf der Pista di Fiorano getestet hat. "Was ich da alles veranstaltet habe, die Leute aus dem Bett geholt habe, um bis abends spät ins Dunkle rein zu fahren. Ich hatte ja immer dieses Ziel: Wollte noch besser, noch schneller noch mehr entwickeln, weil natürlich auch die anderen nicht stillstehen."
Der Vater hat seine Gegner früher in Grund und Boden getestet. Beim Sohn ist das anders. Testfahrten wurden weitestgehend abgeschafft. Ihm bleiben nur die Rennwochenenden, um an Erfahrung zu gewinnen. Dort wird jeder Fehler auf größtmöglicher Bühne exerziert. Und am Ende entscheiden dann andere, ob beim Team Haas auch Mick Schumachers Zeit in der Formel 1 enden wird - oder er sogar noch umziehen darf in eines der etwas schickeren und besser gelegenen Motorhomes.