Rechts von ihm wackeln die Stühle, Rennfahrerbäuche biegen sich vor Lachen, nur sein eigener Sitz steht ganz ruhig wie festgetackert. Wie festgetackert ist auch der Blick von Mick Schumacher. Die Mundwinkel sowieso. Und dieses Bild bleibt nun in Erinnerung, wenn die Zeit des Sohns des Rekordweltmeisters in einem Cockpit der Formel 1 vorerst zu Ende geht. Mit einer letzten Pressekonferenz an dem wie ein Freizeitpark glitzernden Hafen von Abu Dhabi, auf der sich Schumacher anlässlich seines Abschieds regungslos die munteren Erzählungen des nur ein Jahr älteren George Russell darüber anhören muss, wie er jüngst den ersten Sieg seiner Formel-1-Karriere feierte. Für Russell geht's jetzt erst richtig los. Für Schumacher ist es vorbei. Ende einer Dienstreise.
Am Vorabend hat ihn sein Teamchef Günther Steiner darüber in Kenntnis gesetzt, dass sein Vertrag beim Team Haas nicht verlängert wird; nach zwei Jahren und 42 Rennen. Gewusst hat es Schumacher natürlich schon vorher. Genau wie das gesamte Fahrerlager und vermutlich jeder halbwegs gut informierte Allwetterreifen in der Boxengasse. Dass es sich trotzdem bis kurz vor dem letzten Rennen der Saison gezogen hat, ehe ihn Steiner nach einem wochenlangen, fast öffentlichen Casting von Nico Hülkenberg als Schumacher-Ersatz endgültig abservierte, das ist nun Teil dieser nicht ganz sauberen Trennung.
14 zähe Minuten sitzt Schumacher in der lustigen Hafenrunde, ehe die erste Frage an ihn gerichtet wird. Dann blickt er auf und sagt: "Ich bin schon sehr enttäuscht. Ich habe nämlich schon den Eindruck, dass ich einen ganz guten Job gemacht habe."
Der Geschasste gibt sich kämpferisch: Das Thema Formel 1 "ist für mich alles andere als abgeschlossen"
Wer einen guten Job macht in der Formel 1, das ist nicht immer ganz so einfach zu bewerten. Die Fahrer sind abhängig von Mensch und Auto, bei Haas hätten es beide Einflüsse unstrittig verdient, den Vertrag nicht verlängert, respektive die Reifen abmontiert zu bekommen. Auch deshalb gibt sich Schumacher am Donnerstag kämpferisch und selbstgewiss. Es sei "zwar manchmal holprig" gewesen, aber er habe sich stetig verbessert, viel gelernt und wisse daher sicher, dass er einen Platz in der Formel 1 verdiene: "Das Thema ist für mich alles andere als abgeschlossen."
Ein letztes Cockpit für die Saison 2023 ist in der Theorie noch verfügbar. Williams wird Logan Sargeant aus der Formel 2 rekrutieren, es sei denn, der 21-Jährige aus Fort Lauderdale patzt am letzten Rennwochenende und verpasst so die nötige Punktzahl für seine Superlizenz als Voraussetzung für die Formel 1. Das ist unwahrscheinlich.
Wahrscheinlicher ist, dass Schumacher vorübergehend Unterschlupf finden wird als Test- und Reservefahrer bei Mercedes. Teamchef Toto Wolff hat ihm diese Option indirekt unterbreitet und versehen mit dem Hinweis, "dass die Familie Schumacher zu Mercedes gehört und wir Mick sehr schätzen".
In die Punkte fuhr Schumacher nur zweimal. In Silverstone wurde er Achter, in Spielberg Sechster
Sein prominenter Rennfahrerstammbaum ist stets Belastung und Segen zugleich gewesen für Mick Schumacher. Obwohl er sich als Meister der Formel 2 sportlich für die Königsklasse qualifizierte, ist er in dem vor allem im ersten Jahr lahmen Haas permanent gegen das Vorurteil angefahren, er sei nur wegen seines berühmten Vaters in der Formel 1. Und als Chef Steiner ihm nun zum Abschied nachrief, "man muss Ergebnisse liefern, um Marketingwerte zu erzielen", da schlug er nicht zufällig genau in diese Kerbe. Ein Schumacher zu sein, das reicht nicht mal bei Haas, sollte das heißen.
In Deutschland leert sich nun jenes Wohnzimmer, das Michael Schumacher einst alleine füllte. Sebastian Vettel kreist am Sonntag zum letzten Mal, Mick Schumacher ist vorerst raus. Und dass der 35-jährige Hülkenberg - Spitzname "Hülkenback" - mal wieder back ist, das ist ja auch keine Vision 2030 für die verwöhnte Rennfahrernation.
Gewiss, Mick Schumacher gingen die rational greifbaren Argumente für eine Weiterbeschäftigung aus. In die Punkte fuhr er lediglich zweimal. In Silverstone wurde er Achter, in Spielberg Sechster. Nach 21 Rennen hat sein sieben Jahre älterer Teamkollege Kevin Magnussen 25 Zähler gesammelt, Schumacher nur zwölf. Und auch in der Qualifikation, also jener Disziplin, in der es auf die rohe Schnelligkeit eines Fahrers ankommt, unterlag er dem Dänen mit 5:16.
"Zwischendurch sah es sehr gut aus", gibt sogar sein kritischer Boss Günther Steiner zu, "darum hat die Entscheidung so lang gedauert."
Was Schumacher blieb, das war einzig der Verweis auf seine stete Entwicklung zum besseren Fahrer. Die wollte am Donnerstag nicht einmal Steiner in Abrede stellen. Mick habe sich während der Saison stark verbessert, jeder habe das sehen können, erkannte er an: "Zwischendurch sah es sehr gut aus. Darum hat die Entscheidung so lang gedauert."
Dass jenseits der Ergebnisse Schumachers noch etwas anderes zwischen Fahrer und Chef gestanden haben muss, das war spätestens seit dem Sommer immer deutlicher zu spüren. Steiner hat seinen jungen Fahrer mehrmals öffentlich hingehängt, immer dann, wenn ihm Schumacher ein Trümmerfeld als Steilvorlage anbot: Vier Crashs leistete er sich, in Saudi-Arabien, Miami, Monaco und Suzuka. Nach der Kollision im Fürstentum ließ Steiner mit dem Satz "Wir müssen schauen, wie wir von hier aus weitermachen" jede Menge Raum für Verunsicherung. Immer wieder verwies er auf die hohen Kosten, die Schumacher mit seinen Unfällen verursachte.
Spätestens als er diese Kritik mit der Forderung garnierte, dass ein junger Fahrer in der Formel 1 nicht ewig Zeit habe, ehe er endlich mal punktet, hätte Steiner, Sohn eines Südtiroler Metzgers, wohl keine Chance mehr gehabt auf eine zweite Karriere als Pädagoge an einer Montessori-Schule. "Mick kostet ein Vermögen und hat viele Autos zerstört, die uns viel Geld gekostet haben", klagte er schon Mitte Oktober. "Geld, das wir nicht haben."
Der 35-jährige Hülkenberg mag kein Mann der Zukunft sein, aber so einen wollen sie gar nicht mehr haben bei Haas
Dafür hat er bald Hülkenberg, eine Art Friedhelm Funkel der Formel 1. Also im positiven Sinn. Wer Hülkenberg holt, weiß genau, was er haben möchte - und exakt das bekommt er auch geliefert: verlässlich Punkte, keine Sensationen. Drei Jahre lang war der Rheinländer zuletzt Reservist in der Formel 1. Wenn Fahrer an Corona erkrankten oder kurzfristig unpässlich waren, ließ er den Kaffeelöffel fallen, sprang erst ins Flugzeug, dann in seine angepasste Sitzschale - und lieferte ohne Vorwärmzeit oft mindestens dieselben Rundenzeiten wie der jeweilige Teamkollege. Das muss man erstmal hinbekommen.
Der 35-Jährige mag kein Mann der Zukunft sein, aber so einen wollen sie gar nicht mehr haben bei Haas. "Kurzfristig gesehen geht es darum, das Team zumindest wieder ins Mittelfeld zu bringen", erklärte Steiner - und dabei helfe Erfahrung. Die bringt Hülkenberg nach 181 Rennen und null Podiumsbesuchen zweifelsfrei mit.
Steiners mutiges Konzept von vor zwei Jahren, als er neben Schumacher einen zweiten Neuling ins Auto steckte, den völlig überforderten Russen Nikita Masepin, darf damit als gescheitert betrachtet werden. Wobei Steiner das selbstverständlich nie so nennen würde. Er spricht von einem Strategieschwenk. "Vor zwei Jahren waren wir in einer anderen Position als jetzt. Ich denke, wir stehen heute viel besser da." Und wer besser dasteht, der setzt offenbar nicht länger auf Talente und die Zukunft - er genießt die Gegenwart mit erfahrenen Fahrkräften.
Langfristig sollte der Karriereplan Schumachers auf ein Cockpit in dem ab 2026 startenden Audi-Werksteam abzielen. Bis dahin muss er sich irgendwie im Umfeld der Formel 1 halten. Hülkenbergs Comeback in seinem Cockpit dürfte ihm paradoxerweise Trost spenden. Er hab das Gefühl, teilte Hülkenberg mit, er sei nie so richtig aus der Formel 1 weg gewesen.