Mick Schumacher im Interview:"Es hat mich sehr gefreut, so eine Aussage zu hören"

July 16, 2020, Mogyorod, Hungary: MICK SCHUMACHER of Germany and Prema Racing during the 2020 FIA Formula 2 Championshi; Mick Schumacher

Platz drei beim Rennen in Spa am Samstag: Mick Schumacher (rechts).

(Foto: James Gasperotti/imago)

Ein Cockpit bei einem kleineren Formel-1-Team? Mick Schumacher reagiert auf Gedankenspiele des Ferrari-Teamchefs - und spricht über seine Fortschritte als Rennfahrer.

Interview von Philipp Schneider

Es ist drei Jahre her, dass Mick Schumacher in Spa die große Bühne betrat. Er fuhr damals bei einem PR-Termin Proberunden im alten Benetton seines Vaters Michael, 25 Jahre nach dessen erstem Rennsieg. Diese Ähnlichkeit! Die Reporter überschlugen sich, sogar die aus Südamerika.

Nun, am Samstag, fuhr Schumacher in Spa zum fünften Mal in dieser Saison aufs Podest der Nachwuchsserie Formel 2. Er wurde Dritter, im Klassement verbesserte er sich auf Rang vier vor dem Sprint-Rennen an diesem Sonntag. Und es wird weiterhin über ihn gesprochen. "Ich denke, er wird vor dem Saisonende die Möglichkeit haben, ein Formel-1-Auto zu testen", sagte etwa Frederic Vasseur, Teamchef von Alfa Romeo.

Schumacher, 21, gehört der Ferrari-Akademie an, er fährt das zweite Jahr in der Formel 2, das gilt als Reifeprüfung. Für 2021 hofft er auf einen Platz in der Formel 1. Doch: Wer es im zweiten Anlauf nicht nach oben schafft, schafft es eigentlich nie. Sollte sich Schumacher deshalb aber sorgen, so lässt er es sich im Interview, das die SZ vor dem Rennwochenende mit ihm führte, nicht anmerken.

SZ: Herr Schumacher, schön, dass Sie trotz des stressigen Rennkalenders Zeit haben für ein Gespräch. Auch wenn dieses aus bekannten Gründen nur über eine Webcam möglich ist.

Mick Schumacher: Leider ist das so. Aber es hat ja alles seinen Grund.

Wir würden mit Ihnen gerne mal nicht über Ihr riesiges sportliches Erbe reden. Sondern über die Gegenwart und Zukunft des Rennfahrers Mick Schumacher.

Das ist absolut in Ordnung.

Mattia Binotto, der Teamchef der Scuderia Ferrari, hat gerade mit einer ziemlich deutlichen Ansage auf Sie aufmerksam gemacht: Er wolle bald mit Ihnen besprechen, was Ferrari im kommenden Jahr mit Ihnen vorhat: Der nächste logische Schritt sei ein kleineres Formel-1-Team. Frederic Vasseur, Teamchef bei Alfa Romeo, hat Ihnen Testfahrten in Aussicht gestellt. Hat Sie die Ankündigung überrascht?

Es hat mich sehr gefreut, so eine Aussage zu hören von Mattia. Ich betrachte es als Kompliment. Es zeigt, dass ich mich in allen Punkten verbessert habe, in denen ich mich verbessern sollte. Mein großes Ziel ist selbstverständlich die Formel 1. Nichts desto trotz befinde ich mich gerade in der zweiten Saison in der Formel 2 - und dementsprechend ist mein Fokus zu hundert Prozent auf die Formel 2 gerichtet.

Binotto hat Sie für Ihre Entwicklung gelobt: In welchen Bereichen, denken Sie, haben Sie die größten Fortschritte gemacht als Rennfahrer?

In der zweiten Saison ist es ja so, dass man als Rennfahrer das ganze System der Formel 2 besser versteht. Man hat sich in das Team eingelebt. Wenn es einigermaßen gut läuft, bleibt man ja nach dem ersten Jahr mit dem Team zusammen. Das war bei mir der Fall. Ich habe zuvor schon einen neuen Ingenieur bekommen, beim Schritt von der Formel 3 in die Formel 2. Inzwischen läuft die Kommunikation zwischen uns sehr viel besser. Wir verstehen uns blind. Speziell in hektischen Situationen ist das sehr angenehm und positiv. Das ist die eine Seite. Auch fahrerisch habe ich mich verbessert und mich mit den Reifen arrangiert.

In der Formel 2 werden in dieser Saison die 18-Zoll-Gummis erprobt, die auch in der Formel 1 eingeführt werden sollen. Sie gelten als pflegeleichter als jene aus ihrer Debüt-Saison.

Das sind sie. Sie sind allerdings trotzdem völlig anders. Daher weiß kein Team so recht: Was macht der Reifen heute? Er verhält sich auf jeder Strecke anders. Man muss sich jedes Mal auf Neue mit ihm verständigen. An den vergangene sechs Rennwochenenden, die wir hatten, hat sich der Reifen wirklich sechsmal anders verhalten. Das ist etwas, wo wir uns noch weiter reinfuchsen müssen.

Viele Nachwuchsfahrer aus der Formel 2 streben ein freies Cockpit in der Formel 1 an: Sie sind nicht der einzige Fahrer aus der Nachwuchsakademie von Ferrari und stehen mit ihren Mitschülern im Wettbewerb. Auch mit Ihrem Teamkollegen Robert Schwarzmann. Der liegt nach zwölf Rennen in seiner ersten Saison in der Formel 2 in der Gesamtwertung mit 24 Punkten vor Ihnen: Was glauben Sie, worauf schaut Binotto bei der Besetzung der Cockpits? Nur auf die Punkte? Oder auch auf die Geschichten hinter den Punkten?

Es war in dieser Saison nicht immer ganz einfach. Das Glück war nicht immer auf meiner Seite. Worauf Binotto und Ferrari schauen werden bei der Besetzung der Cockpits, das lässt sich schwierig sagen. Ich bin nicht in der Position, dass ich etwas behaupten sollte. Das wäre falsch. Ich versuche einfach, dass ich meine Aufgaben als Rennfahrer richtigmache. Dass ich meine Leidenschaft da einsetze, wo es wichtig ist. Mit dem Team zusammenzuarbeiten, Resultate einzufahren. Zu versuchen, das Beste aus dem Auto rauszuholen.

Reden wir trotzdem mal über Ihr Pech: In Spielberg hatten sie sich, von Platz fünf gestartet, mit zwei Überholmanövern um zwei Positionen nach vorne gekämpft, machten Jagd auf das Führungsduo, als plötzlich der Feuerlöscher in ihrem Cockpit hochging. Das Rennen war für Sie vorbei: Denkt man da nicht auch mal: Verflucht, das läuft jetzt aber gerade alles wirklich gegen mich!?

Nein, aber definitiv ist so etwas extrem ärgerlich. Speziell in der Situation, in der ich mich befand: Ich war sehr schnell im Vergleich zu den zwei Fahrern, die vor mir fuhren. Ich hatte auch die Reifen geschont. Das Potential für einen Rennsieg war definitiv da! Aber was hilft es denn? Man muss immer weiterfahren und versuchen, die Punkte wieder gut zu machen. Erst recht jene, die man durch Fahrfehler selber verschuldet hat. Die sind viel ärgerlicher als Rückschläge, für die man nichts kann.

Sie denken da an das erste Rennen in Spielberg - und Ihren Ausritt ins Kiesbett?

Ja, das war unnötig in dem Fall. Ich hatte bis dahin wirklich alles richtiggemacht. Ich war sehr happy mit der Leistung, die das Team und ich auf die Strecke gebracht hatten.

Den Feuerlöscher ging hoch, weil ein Reifenteil gegen die an der Außenseite befestigte Sicherheitsschlaufe geflogen ist, mit der ein Streckenposten im Not- und Brandfall den Feuerlöscher im Cockpit auslösen kann. Sie kommentierten den Vorfall nach dem Rennen sehr flink mit dem Wissen, dass so ein Malheur statistisch betrachtet alle zehn Jahre vorkommt. Woher hatten Sie so diese Information?

Mein Team hat es mir gesagt, dass so etwas sehr, sehr selten passiert. Gerade in so einer Konstellation. Später habe ich rausgefunden, dass es doch noch vor zwei Jahren so passiert ist. Und dass manche Teams deshalb am Auto etwas geändert, die Schlaufe kleiner gemacht haben. Wir haben das jetzt auch gemacht: So verkleinert, dass kein fliegendes Teil den Feuerlöscher mehr auslösen kann.

Eine alte Weisheit besagt, dass das zweite Jahr in der Formel 2 entscheidend ist für die die Karriere eines Nachwuchspiloten. Das erste Jahr ist zum Lernen, im zweiten müssen die Resultate stimmen. Nun haben Sie sich ausgerechnet das Coronajahr ausgesucht, um die vielleicht wichtigste Saison ihres Lebens zu bestreiten. Wie kommen Sie mit der engen Taktung der Rennen zurecht?

Meine Erfahrungen sind bislang sehr positiv. Wir sind ja jetzt zwei Triple-Header gefahren: Es gab zweimal drei Rennen nacheinander, mit nur einer Woche Pause dazwischen. Das gefällt mir ehrlich gesagt ganz gut.

Wieso?

Die Konstanz ist sehr interessant! Es ist ein bisschen wie in den alten Zeiten in der Formel 1, als noch jede Woche getestet werden durfte. Mit dem Unterschied, dass wir Rennen fahren, in denen es um wesentliche Punkte für die Gesamtwertung geht. Mich persönlich ärgern die vielen Einschränkungen wegen Corona kaum. Ich freue mich einfach, dass wir auch in der Formel 2 die Saison zum Laufen gebracht haben. Und jetzt müssen wir schauen, wie sich die nächsten Wochen entwickeln: Ob sich die Dinge normalisieren.

Die Formel 1 muss schauen, ob sie diese Krise auch finanziell überlebt. Die Frage, ob kleinere Teams wie Alfa Romeo oder Haas im nächsten Jahr noch da sind, ist auch für Ihre persönliche Zukunft relevant: Dort könnten Sie schließlich unterkommen.

In diesem Jahr ist alles anders. Speziell auch die finanzielle Situation. Ich glaube, dass die Situation mit so vielen Rennen nacheinander für viele Teams grundsätzlich sehr kräftezehrend ist. Es geht vielen an die Substanz. Zumindest unsere Jungs beim Team Prema schlafen nur vier, fünf Stunden pro Nacht. Dann stehen sie auf und arbeiten sofort wieder am Auto. Allein die Reifenwechsel! In der Formel 2 ist für jeden Reifen nur ein Mann zuständig. Und der wiegt locker 20 Kilo.

Am Wochenende kreist die Formel 2 in Spa. Auf dem anspruchsvollen Kurs gelang Ihnen vor zwei Jahren Ihr erster Sieg in der Formel 3. Er scheint Ihnen zu liegen wie Ihrem Vater, der Spa als sein "Wohnzimmer" bezeichnete: Dort debütierte er in der Formel 1, gewann sein erstes Rennen, holte sich seine siebte Weltmeisterschaft.

Es macht mir einfach sehr, sehr viel Spaß, in Spa zu fahren. Und wenn ich viel Spaß habe auf der Strecke, fällt es mir leicht, dort Dinge auszuprobieren, Dinge besser zu machen. Herauszufinden, wo das Limit von meinem Auto liegt. Budapest ist ebenfalls eine Strecke, die mir sehr viel Spaß macht. Und wo es ebenfalls oft sehr gut für mich läuft. Auf beiden Strecken fühle ich mich auf Anhieb sehr wohl, auch wenn ich dort ein Jahr lang nicht gefahren bin.

"Sehr offene Unterhaltung darüber, was ich brauche"

Spa und Budapest sind fahrerisch vergleichsweise anspruchsvoll. Sind sie deshalb Ihre Lieblinge?

Jeder Fahrer hat Lieblingsstrecken. Und meistens sind es deshalb seine Lieblingsstrecken, weil er auf ihnen schneller in den Rhythmus findet, den er benötigt. Bei mir geschieht das in Spa und Budapest. Wer schnell im Rhythmus ist, dem fällt es leichter, auf das Auto zu hören. Zu fühlen, was passiert. Und was er braucht, um schneller zu fahren. Dadurch, dass wir in der Formel 2 nur ein freies Training haben, in dem wir ein paar Runden fahren können, ist es extrem wichtig, so schnell wie möglich auf 100 Prozent und im Rhythmus zu sein. Eine Einheit zu bilden mit dem Auto. Um so schnell wie möglich zu fühlen: Was macht das Auto, wo kann ich noch Zeit gut machen? Und was brauche ich, um noch schneller zu werden? Die Herausforderung in der Formel 2 ist es, in der kurzen Zeit des freien Trainings alle Erkenntnisse zu sammeln, um mit dem Team das Auto für das Qualifying abzustimmen.

Es heißt, Sie besäßen großes Verständnis für die Technik Ihres Autos. Sind die präzisen Rückmeldungen an Ihre Ingenieure eine Stärke von Ihnen?

Ich würde sagen: ja. Ich vertraue meinen Ingenieuren zu hundert Prozent. Und sie mir. Wir haben eine sehr offene Unterhaltung darüber, was ich brauche. Das ist für jeden Fahrer anders. Jeder Fahrer hat einen anderen Fahrstil. Jeder Fahrer braucht Unterstützung in unterschiedlichen Momenten: in der Kurve, in der Runde, auf der Strecke. Ich denke, ich kann das, was dem Auto fehlt, recht präzise in Worte fassen.

In Silverstone sind Sie mit Ihrem Teamkollegen Schwarzmann aneinandergeraten, der sich auch Hoffnung macht auf einen Einstieg in die Formel 1. Alles sah nach einem Doppelsieg für Ihr Team aus, doch mit Platz zwei wollten Sie sich nicht begnügen. Auf der Wellington-Gerade setzten Sie zum Überholmanöver an, waren schon fast vorbei, beim Einlenken in die Kurve berührte Ihr linkes Hinterrad Schwarzmanns Frontflügel: Er fiel zurück auf Platz 13, Sie wurden noch Zweiter. Bereuen Sie das Manöver?

Nein, auf keinen Fall. Ich hatte ein gutes Auto. Ich war sehr schnell. Die Reifen haben mir auch geholfen, weil der Verschleiß etwas höher war als an den Wochenenden zuvor. Weil ich so schnell war, schneller als Robert, musste ich dieses Überholmanöver starten. Weil es einfach logisch war. Je länger man wartet, desto mehr Druck hat man auch von hinten.

Wer trug aus Ihrer Sicht die Schuld an dem Crash?

Wir haben das intern alles besprochen. In Barcelona haben wir uns schon wieder gut auf uns konzentrieren können und dann das Auto und das ganze Team vorangebracht. Wenn man eine offene Kommunikation hat im Team, ist das etwas, das einen auch in solchen Situationen hilft.

Das vieldiskutierte Engagement von Sebastian Vettel bei Racing Point ist noch immer nicht beschlossen. 2021 könnten Sie also der einzige deutsche Fahrer in der Formel 1 sein. Spüren Sie die Last der Erwartungen in der Rennfahrernation Deutschland auf Ihren Schultern?

Das kann ich so nicht sagen. Sebastian und ich haben ein sehr gutes Verhältnis. Wir haben immer sehr gute Unterhaltungen und tauschen uns generell gerne aus. Wie es 2021 sein wird, muss man sehen. Es ist noch zu früh, um darauf eine konkrete Antwort zu geben. Dadurch, dass Corona ist, haben sich die Planungen alle etwas nach hinten verschoben. Also warte ich nun ab. Ich denke, dass ich in den nächsten Wochen mehr erfahren werde. Alle Entscheidungen werden später getroffen als gewöhnlich.

Vor zwei Jahren reisten sie nach gerade einmal zwei dritten Plätzen in 14 Rennen nach Spa und gewannen wie aus dem Nichts ihren ersten Formel 3-Grand Prix. Danach fuhren Sie wie im Rausch, siegten in sieben der 15 restlichen Wettfahrten. Haben Sie 2018 in Spa zum ersten Mal ihr Auto vollumfänglich verstanden?

Es wäre unfair zu sagen, dass ich in der Saison nichts gerissen habe vor dem Rennen in Spa.

Sagt ja niemand.

Wenn man sich die Saison anschaut: Bei den Testfahrten waren wir extrem schnell. In jeder Session waren wir Erster oder Zweiter. Und immer vorne. Als wir schließlich nach Spa gekommen sind, war ich hundertprozentig davon überzeugt, dass ich diese Meisterschaft noch gewinnen würde. Ich wusste es. Ich habe nie daran gezweifelt. Auch nicht, als ich in der Gesamtwertung noch weiter hinten lag.

Woher kam diese Gewissheit?

Ich wusste es einfach. Ich wusste, dass es noch möglich war, von den Punkten her. Dementsprechend habe ich nie aufgehört, daran zu glauben. Solang es mathematisch möglich ist, glaube ich immer an die Meisterschaft. Nachdem ich in Spa die Pole Position erobert hatte, lief es wie geschmiert. Es lief so gut, dass ich mental immer stärker wurde. Mit jeder Runde, jedem Rennen. Wenn ich an eine neue Strecke gekommen bin, dann stellte sich für mich gar nicht die Frage, ob ich das Rennen gewinnen würde oder nicht. Es war einfach selbstverständlich. Ich habe den Lauf dann bis Hockenheim durchgezogen. Und dort bin ich schließlich angekommen mit 57 Punkten Vorsprung.

Glauben Sie in dieser Saison auch noch an die Meisterschaft?

Diesmal verbleiben sehr viel weniger Rennen als damals. Aber mein Glaube ist da. Und er ist das, was für mich zählt!

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