Michael Schumachers Abschied aus der Formel-1:Was nach dem letzten Rennen bleibt

Michael Schumacher erwarten Geschenke, Feiern und Ehrungen rund um seinen letzten Formel-1-Start in São Paulo. Die Branche nimmt Abschied von einem ihrer größten Rennfahrer, der nach seinem Rücktritt vom Rücktritt vor drei Jahren gelernt hat, als Rekord-Weltmeister mit Anstand zu verlieren.

Michael Neudecker

Michael Schumacher

Das Rennen in Brasilien soll das letzte von Michael Schumacher werden.

(Foto: dpa)

Michael Schumacher sitzt auf einem Stuhl im Fahrerlager, es ist laut, es ist ja immer laut in der Formel 1, weil an einem Rennwochenende ständig irgendein Rennen gefahren wird, GP2, lokale Rennserien, alles mögliche. Michael, fragt einer, Fernando hat sich beschwert, dass du ihn nicht vorbeigelassen hast, wie siehst du das? Schumacher gibt sich Mühe, seine Gefühle zu verbergen, kaum einer kann das so wie er, Schumacher ist ein Vollprofi. Er sagt: Naja, beide seien auf einer Vorbereitungsrunde gewesen, Fernando und er, beide in der selben Situation, kein Grund, sich zu beschweren. Er blickt zur Seite, schaut aus dem Fenster, presst die Lippen zusammen, da ist es dann kurz spürbar: Michael Schumacher ist genervt.

So war das am vergangenen Wochenende in Austin, Texas, es ging da um einen Vorfall im Qualifying, der gar keiner war. Eine Vorbereitungsrunde ist eine Runde vor einer schnellen, in der die Fahrer versuchen, eine Bestzeit aufzustellen, Alonso wollte überholen, kam nicht vorbei, es war banal, eine Situation, wie sie ständig vorkommt. Michael Schumacher ist jetzt 43 Jahre alt, er hat schon alles erlebt, was man in der Formel 1 erleben kann, aber er kann sich immer noch über Banales aufregen.

Sebastian Vettel hat einmal erzählt, dass er sogar im Aufzug der erste sein wollte, der den Knopf drückt, er meinte damit: Rennfahrer sein ist kein Beruf, sondern ein Zwang. Bei Michael Schumacher ist das genau so, mindestens: 43 oder 23, banal oder nicht, für Schumacher spielt das keine Rolle. Er ist so sehr Rennfahrer, wie man überhaupt Rennfahrer sein kann.

Und jetzt also ist es für ihn das letzte Mal, dass er seinen Drang ausleben kann, fünf Tage São Paulo, Mittwoch Anreise, Donnerstag Pressetermine, Freitag Training, Samstag Qualifying, Sonntag Rennen, 305,909 Rennkilometer im besten Fall. Die letzten Rennkilometer des Formel-1-Fahrers Michael Schumacher.

Endgültig diesmal.

Er wird nicht mehr zurückkehren, wie er es 2010 getan hatte, nachdem er vier Jahre zuvor zurückgetreten war. Sein alter Weggefährte Ross Brawn wurde 2010 Teamchef des neuen Mercedes-Teams, er hatte ihn überredet, wobei: Wirklich nötig war das nicht. Schumacher hatte seine Lust am Rennfahren nicht verloren in den Jahren ohne Formel 1, im Gegenteil, und das ist schon die einfache Antwort auf die Frage, warum Michael Schumacher das getan hat, warum er noch mal einen Vertrag unterschrieb. Weil er Lust dazu hatte.

Silberpfeil wird zur Silbergurke

In São Paulo wird es noch ein paar Überraschungen geben für ihn, Geschenke, Feiern, "wir haben uns was überlegt", sagt grinsend Norbert Haug, Motorsportchef von Mercedes. Es heißt, Mercedes würde Schumacher als Abschiedsgeschenk sein Rennauto, nun, überreichen, es wäre ein wirklich wundervolles Geschenk. Michael Schumacher könnte den F1 W03 in seine Garage stellen, zuhause in Gland am Genfer See, er könnte ihn immer wieder anschauen, für den Fall, dass er einmal vergessen sollte, weshalb seine zweite Karriere so verlief, wie sie verlief. In seiner ersten Karriere stellte er fast alle seiner 28 Rekorde auf, die er alleine hält, die meisten WM-Titel (7), die meisten Rennsiege (91), die meisten Podestplätze (155) und so weiter. Michael Schumacher aus Kerpen, wo sie ihn immer noch "Mischaäl" nennen, ist von 1991 bis 2008 zu einem der berühmtesten und bedeutendsten Sportler der Welt geworden, aber danach?

Ein Podestplatz in drei Jahren, in Valencia diese Saison, kein Sieg, 14 Ausfälle, Platz 15 in der WM-Wertung, hinter Fahrern wie Pastor Maldonado, Paul di Resta, Kamui Kobayashi. Silberpfeil, so heißt sein Rennauto im Marketingdeutsch, ein Wort, das historische Dimension hat im Rennsport: Der Silberpfeil ist das Auto, mit dem Fangio in den Fünfzigern Weltmeister wurde. Aber der Silberpfeil ist Geschichte, das aktuelle Auto von Mercedes heißt im Fahrerlagerdeutsch, tja: Silbergurke.

Natürlich würde Norbert Haug das so nie formulieren, aber er weiß schon, dass das Auto Schwächen hat. Er sagt: "Michael hätte besser sein können, wenn wir ihm ein besseres Auto zur Verfügung gestellt hätten." Die Momente, in denen zu sehen war, wie gut Schumacher immer noch ist, gab es oft in den vergangenen Jahren, aber solche Momente kann man nicht in Statistiken ausdrücken, und deshalb bleibt von dieser Zeit vor allem dieses Bild: Michael Schumacher, wie er hinterherfährt.

Unwürdiger Pressetext

Die Lust ist bei Michael Schumacher wahrscheinlich immer noch da, aber sie ist durch Zweifel gebremst worden, Zweifel daran, wie es weiterginge. Es gab wohl kurz die Überlegung, noch einmal zu Ferrari zu wechseln, aber Ferrari behielt dann doch Felipe Massa, und alle anderen erstrebenswerten Cockpits sind längerfristig besetzt. Und was Mercedes angeht: Man darf ruhig annehmen, dass Schumacher nicht glaubt, dass es besser wird. Aber nichts ist gewiss in einem rasanten Sport wie der Formel 1, und das hat auch damit zu tun, dass Schumacher so lange gezögert hat mit seiner Entscheidung. Monatelang war das ja die meist gestellte Frage in der Formel 1: Was macht Schumacher? Er hatte die Fragesteller immer wieder vertröstet, die Reporter wie auch seine Arbeitgeber, er wog Lust gegen Zweifel auf, immer wieder, aber die Waage fand die Balance nicht.

Bis der Arbeitgeber ihm die Entscheidung einfach abnahm. Am 28. September verkündete Mercedes, dass das Team Lewis Hamilton für die kommende Saison verpflichtet habe, im dritten Absatz stand: Hamilton werde Michael Schumacher ersetzen. Dazu ein paar Zitate von Schumacher, er wünsche Hamilton und Mercedes alles Gute, und so weiter. Der siebenmalige Weltmeister wurde im dritten Absatz eines Pressetextes ganz nebenbei in Pension geschickt. Es war schlichtweg unwürdig.

Es sei "vielleicht nicht so elegant" gewesen, sagt Haug, aber dafür ehrlich: "Wir können uns in die Augen gucken." Dass sie das wirklich können, liegt auch daran, dass Schumacher sich in den vergangenen drei Jahren voller Demut und Geduld eine Grundsouveränität angeeignet hat, die ihn oft über den Dingen stehen lässt. Er habe "gelernt zu verlieren", das hat Schumacher neulich gesagt. Der frühere Schumacher, der, der wie eine Maschine von Sieg zu Sieg fuhr, der David Coulthard einmal im Fahrerlager an die Gurgel griff, der von seinen Kollegen mehr gehasst wurde als respektiert, dieser Schumacher hätte so etwas nie gesagt. "Ich bin erwachsener geworden", sagt Michael Schumacher.

In São Paulo wirkt Schumacher entspannt, gelassen, er sehe seinem Abschied ohne Wehmut entgegen, sagt er. Er ist vorbereitet, er ist niemand, vom dem zu erwarten wäre, dass er nach dem Sportlerleben in dieses Loch fallen könnte, in das viele Sportler fallen, wenn die Karriere vorbei ist. Er hat noch Sponsorenverträge, wird vielleicht Markenbotschafter bei Mercedes, er springt gerne Fallschirm, fährt Motorrad. Langeweile ist nicht Teil von Schumachers Wortschatz. Vor ein paar Jahren haben er und Frau Corinna außerdem rund 200 Hektar Land in Texas gekauft, inzwischen ist dort eine Ranch entstanden mit Stallungen für 36 Pferde; Corinna Schumacher ist begeisterte Westernreiterin, Reining ist ihr Sport. Sie werden jetzt öfter dort sein, sagt Schumacher, er findet Reining irgendwie interessant.

Für die Zeit, wenn die Familie zuhause ist in der Schweiz, hat Michael Schumacher, der ewige Rennfahrer, einen Verwalter eingestellt, aber nicht irgendeinen: Der Verwalter von Schumachers Ranch ist zweimaliger Weltmeister im Reining.

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