200 Meter der Frauen:In der Klemme

Olympia Brasilien

Andächtig nach dem Triumph: Elaine Thompson, erste Doppel-Olympiasiegerin im Sprint seit 1988.

(Foto: Regina Schmeken)

Der Jamaikanerin Elaine Thompson gelingt das Sprint-Double: Nach ihrem Triumph über 100 Meter ist sie auch über 200 Meter die Schnellste.

Elaine Thompson kicherte ein wenig verstört. Sie saß im Bauch des Olympiastadions von Rio de Janeiro und fremdelte mit den Reportern, die ihr Leben jetzt aus allen Winkeln ausleuchteten. Aber es half ja nichts. Thompson hatte nach ihrem Olympiasieg über 100 Meter an diesem Mittwoch auch die 200 Meter gewonnen, und dieses sogenannte Double brachte nun mal gewisse Pflichten mit sich. Was ihr durch den Kopf geschossen war im Ziel, wollte ein Reporter wissen, als sie knapp vor der Niederländerin Dafne Schippers eingetroffen war? "Die 200 Meter sind echt hart. 100 und noch mal 100 Meter, das macht 200 Meter", sagte Thompson.

Ob sie jemals ihre Vorgängerin getroffen habe, die Amerikanerin Florence Griffith-Joyner, die als bis dato letzte Sprinterin beide Olympiasiege über die kurzen Sprints aneinandergeknüpft hatte, 1988 in Seoul? "Ich habe sie nie getroffen", sagte Thompson, "aber ich habe Fotos auf Google gesehen." Ob sich jetzt etwas ändern werde, als "Gesicht des Frauensprints?" Thompson kicherte erneut. "Ich glaube nicht", sagte sie: "Ich werde ein bisschen mehr im Rampenlicht stehen, aber ich glaube nicht, dass sich etwas ändern wird."

Ein wenig wird sich wohl schon ändern im Leben von Elaine Thompson, 24, aus Jamaika. Die 100 Meter hatte sie in Rio in 10,71 Sekunden gewonnen, knapp über ihrem eigenen Landesrekord (10,70). Am Mittwoch parierte sie über 200 Meter die Attacken von Schippers und gewann in 21,78 Sekunden. Sie stellte sicher, dass Jamaika das dritte Gold bei den Flachsprints gewann, am Donnerstag sollte ein gewisser Usain Bolt die nächste Medaille hinzufügen (nach Redaktionsschluss, Anm.). Justin Gatlin, sein Widersacher, war überraschend im Halbfinale gestrandet. "Ich habe meine Medaillen", sagte Thompson, "ich kann mich nicht beschweren."

Nein, das konnte sie nicht. Dafür, dass sie vor zwei Jahren Bestzeiten von 11,17 und 23,23 Sekunden in die Wertung getragen hatte, dass ihre Zeiten im Vorjahr dann plötzlich sanken, auf 21,66 Sekunden über 200 Meter - da kann man nicht klagen. Zumal Thompson davor nicht so recht vorangekommen war in ihrem Sport. Sie galt als talentiert, frech, in der High School flog sie aus der Schulmannschaft. Manchen Beobachtern kam ihre Steigerung ein wenig zu märchenhaft vor, Thompson ist ja in eine, nun ja, recht dubiose Gesellschaft vorgedrungen. Nur Weltrekordhalterin Florence Griffith-Joyner (21,34), Marion Jones (21,62) und Schippers (21,63) stehen vor ihr in der ewigen Bestenliste. Griffith-Joyner langte in dem achtziger Jahren, der Hochzeit des Anabolikabetrugs, wohl zu tief in den Dopingtopf. Jones dopte so lange, bis Fahnder das berüchtigte Balco-Labor in Kalifornien enttarnten, von dem Jones ihre Hilfsmittel bezogen hatte.

Als Thompson am Mittwoch von einem Reporter auf ihren Aufstieg angesprochen wurde, drehte sie eingeschnappt ab. "Elaine, was ist euer Geheimnis, wie trainiert ihr?", rief er ihr hinterher. "Es gibt kein Geheimnis", blaffte sie, "nur harte Arbeit."

Man kann Thompson wenig vorwerfen, sie hat nie eine positive Dopingprobe abgegeben. Andererseits hatten die Dopingtests auch bei Jones nie angeschlagen, ehe staatliche Ermittler das Dopingnest hoben, in dem Jones sich gestärkt hatte. Aber Thompsons Aufstieg fällt in die Zeit, als die jamaikanische Anti-Doping-Agentur es mit Trainingskontrollen nicht allzu genau nahm. Sie rutschte in Rio nun in die gleiche Klemme wie die Weltrekordhalter der Tage zuvor, der Südafrikaner Wayde van Niekerk (400 Meter) und die Äthiopierin Almaz Ayana, die über 10 000 Meter einen der verseuchtesten Rekorde des Sports übertroffen hatte. Man kann Thompson nichts unterstellen, aber man kann ihr auch nicht trauen, weil der Anti-Doping-Kampf der Leichtathleten nach wie vor nicht wirklich vorwärtskommt. Schippers hatte das im Vorjahr in Peking zu spüren bekommen, als sie mit ihrer Zeit sofort Verdacht auf sich zog.

Thompson verwies in Rio auf den Moment, als ihr Trainer Stephen Francis sie vor zwei Jahren zur Seite zog. Francis hat sich in Jamaika einen Namen gemacht, unterschätzte Sprinter in die Spitze zu lenken, manche brummten aber auch Dopingsperren ab, Asafa Powell und Shelly-Ann Fraser-Pryce etwa. Francis habe sie jedenfalls zur Rede gestellt, erinnerte sich Thompson. "Ab diesem Zeitpunkt habe ich an mich geglaubt", sagte sie. Ehrlich gesagt, fügte sie an: "Ich habe mich gerade selbst überrascht."

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