Mesut Özil:"Feigheit"

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In der Politik wächst die Kritik an der DFB-Spitze in der Erdoğan-Affäre. Sogar Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble beklagt eine "Eskalation".

Die Fußball-Weltmeisterschaft in Russland endet aus deutscher Sicht so, wie sie vor nahezu vier Wochen begonnen hat: mit der Debatte um die Erdoğan-Fotos, die an Schärfe in den letzten Tagen sogar noch zugenommen hat. Bundestrainer Joachim Löw schweigt weiter in der Angelegenheit: Seine Analyse der drei WM-Spiele in Russland wird wohl erst am 24. August, pünktlich zum Bundesliga-Start, vorliegen, wie die Sport-Bild berichtet. In den Fokus der Kritik rückt unterdessen das Führungspersonal des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) mit Präsident Reinhard Grindel und Direktor Oliver Bierhoff an der Spitze, denen nun auch aus der Politik Versäumnisse vorgeworfen werden. Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble gehört zu jenen, die dem DFB Fehler im Krisenmanagement bescheinigen.

Schäuble geht nicht so weit, einen kausalen Zusammenhang zwischen dem frühen Scheitern der DFB-Elf und den Fotos der deutschen Nationalspieler Mesut Özil und Ilkay Gündogan mit dem türkischen Staatspräsidenten zu ziehen. "Ein solches Foto mit Erdoğan zu machen, war wahrscheinlich nicht klug", sagte er in der Zeit. Er verstehe nicht, "warum die sogenannten Experten sagen, das sei einer der Gründe für das Ausscheiden der deutschen Mannschaft in der Vorrunde gewesen". Allerdings fügte Schäuble hinzu: "Irgendjemand beim DFB, in dem lauter kluge und hoch bezahlte Leute sind, hätte dafür sorgen müssen, dass das nicht so eskaliert."

Der Grünen-Politiker Cem Özdemir geht einen Schritt weiter und hat die Ablösung der Verbandsverantwortlichen ins Gespräch gebracht. "Wir brauchen dringend einen sportpolitischen Neustart beim DFB, gerne mit neuen Gesichtern", schreibt Özdemir in einem Gastbeitrag für das Wochenblatt Zeit. Grindel und Bierhoff lastet er "verbandsinterne Feigheit" an. "Dieser Verband irrlichtert in der Causa Özil von Anfang an", führt Özdemir aus: Özil werde seit Wochen zu einem Sündenbock gemacht: "Gegen diese Anwürfe muss man ihn genauso verteidigen wie gegen Angriffe von rechts." Zwar hält auch der Grünen-Politiker die Fotos und das anhaltende Schweigen des Spielers des FC Arsenal für einen schweren Fehler. "Aber Özils unmögliches Agieren entschuldigt in keiner Weise das Verhalten des DFB."

Ähnlich argumentiert der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime in Deutschland, Aiman Mazyek, der Konsequenzen aus den umstrittenen Äußerungen Bierhoffs und Grindels zu Özil fordert. "Nachtreten wird im Sport mit einer roten Karte bestraft", schrieb Mazyek auf seiner Facebookseite: Bierhoff und Grindel sollten "zurücktreten, wenn sie in ihrer langen Karriere nichts anderes gelernt haben als: Man verliert als Özil, anstatt: Man verliert als Mannschaft". Die Debatte, so fürchtet Mazyek, schade der Integrationspolitik.

Das Bundeskanzleramt wollte die Vorgänge um Özil nicht kommentieren. Das sei Angelegenheit des DFB, sagte die stellvertretende Regierungssprecherin Martina Fietz am Mittwoch in der Bundespressekonferenz; für Kanzlerin Angela Merkel gelte, dass man als Mannschaft gemeinsam gewinne und gemeinsam verliere. Auch der Sprecher von Innen- und Sportminister Horst Seehofer sagte, man glaube nicht, dass eine einzelne Person Verantwortung für das WM-Aus trage.

Aus dem Umfeld des Fußballs hat sogar Philipp Lahm, DFB-Botschafter für die EM 2024, Zweifel an der Taktik des Verbands geäußert: "Die Frage ist: Hat man allen Spielern immer genau aufgezeigt, wofür man steht? In Zukunft muss das jedenfalls so sein", forderte der frühere Kapitän der Nationalelf. Die Vermittlung der Werte des DFB "hätte man sicher besser machen können". Lahm ließ in der Zeit durchblicken, dass ihm Bierhoffs Äußerungen zu Özil missfielen. "Jetzt ist die Zeit zu analysieren: die Leistungen auf dem Platz, den Umgang mit dieser Affäre. Und danach muss man mit seiner Haltung an die Öffentlichkeit gehen. Das wäre die richtige Aufarbeitung", sagte er.

© SZ vom 12.07.2018 / SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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