Süddeutsche Zeitung

Ballon d'Or:Messi fordert ein Pardon ein

Der Argentinier räumt in Paris den siebten Ballon d'Or seiner Karriere ab, Bayern-Stürmer Lewandowski wird nach einem atemberaubenden Jahr mit einem Trostpreis abgespeist - immerhin zeigt Messi Größe.

Von Javier Cáceres, Berlin

Jeder Wechsel führt zu Veränderungen der Routinen, und zu den Neuerungen, die nach dem Umzug aus Barcelona nach Paris im Leben des Lionel Messi greift, zählt diese: Interviews gibt er immer noch zwar selten, aber neuerdings in seinem Domizil, in den vergangenen Wochen saßen Abordnungen der Zeitungen Sport aus Barcelona und Marca aus Madrid bei ihm im Wohnzimmer.

Was sie am Rande der Gespräche erfuhren - "off the record", wie man so schön sagt - sickerte in den vergangenen Tagen durch und bewahrheitete sich am Montagabend im Théatre de Châtelet zu Paris. Schon seit Monatsbeginn, seit dem 5. November, um genau zu sein, soll Lionel Messi gewusst haben, dass er zum siebten Mal in seinem Leben den "Ballon d'Or" in Empfang nehmen würde, eine Auszeichnung für den besten Fußballer des Jahres. Und das bedeutete, dass Robert Lewandowski vom FC Bayern leer ausging.

Oder fast leer: Im letzten Augenblick zauberte France Football, also das Medium, das die Wahl organisiert, einen Trostpreis aus dem Hut. Eine Trophäe, die ein wenig so aussah, als sei jemand mit der Dampfwalze über den echten "Ballon d'Or" gefahren. Er sollte dem besten Stürmer des Jahres gelten. "Striker of the Year". Lewandowski brachte einige Anstrengungen auf, sich die Enttäuschung nicht anmerken zu lassen. Was blieb ihm auch anderes übrig.

Wer Messi in den vergangenen Jahren beobachtet hat, der lernte, dass es selten darauf ankommt, was er sagt, sondern vor allem auf das, was er nicht sagt. Und am Montag war beides interessant. Was Messi sagte, als er aus den Händen des ehemaligen Weltklassestürmers Didier Drogba den "Ballon d'Or" entgegennahm? Unter anderem ein paar Worte, die an Lewandowski gerichtet waren, der "jedes Jahr besser" werde und bei einem "herausragenden Klub" spiele.

"Ich finde, Robert, dass France Football dir den "Ballon d'Or" des vergangenen Jahres geben sollte. Wir alle wissen, dass du ihn verdient hattest. Du warst der gerechte Sieger, und es hat nicht sollen sein, wegen der Pandemie. Du solltest ihn auch zu Hause haben." Zur Erinnerung: Lewandowski holte damals mit dem FC Bayern sechs Titel, der Preis wurde ausgesetzt, weil der Ball wegen Corona so lange geruht hatte. Was Messi nun nicht sagte? Dass er, Messi, ihn in diesem Jahr nicht verdient gehabt hätte.

Messi holte die Copa América und damit seinen ersten Titel mit der argentinischen Nationalelf

Es war nicht das beste Jahr seiner atemberaubenden Karriere. Aber: Es begab sich, dass er einen Titel gewann, von dem man in Deutschland so gut wie gar nicht und in Europa kaum Notiz nahm. Messi holte die Copa América und damit seinen ersten Titel mit der argentinischen Nationalelf überhaupt. Im Maracanã-Stadion von Rio de Janeiro, in dem er 2014 das WM-Finale gegen Deutschland verloren hatte. Das Finale, in dem er die Argentinier zum Sieg führte, hatte pandemiebedingt ohne Zuschauer stattgefunden.

Aber der Gegner steckte, immerhin, in den kanariengelben Hemden der brasilianischen Nationalelf, und das sorgte für Bilder, die um den Globus gingen, was nicht ganz unerheblich ist, weil die Abstimmung über den Sieger des "Ballon d'Or" unter den Korrespondenten von France Football durchgeführt wird. Im Théatre de Châtelet bekam man sie gezeigt. Drogba, der 2012 das Siegtor im berühmten "Finale dahoam" des FC Bayern gegen den FC Chelsea schoss und damit die Champions League in München gewann, zeigte ein weiteres Video, mit den aus seiner Sicht zehn schönsten Toren von Lewandowski des Jahres. Wirklich schöne Treffer.

Aber halt gegen Schweden, Freiburg, Mainz und Mönchengladbach. Tore und Titel gegen einen fünfmaligen Weltmeister vs. Tore gegen die deutsche Fußballmittelklasse, das war der Subtext der von Drogba zusammengestellten Anthologien. Lewandowski gewann die Meisterschale der deutschen Bundesliga? Messi stemmte den spanischen Pokal in die Höhe. Lewandowski übertraf den ewigen Bundesliga-Rekord von Gerd Müller, schoss 41 Tore in der Bundesliga. Messi übertraf Pelé: "O Rei" hatte 77 Tore mit Brasiliens Nationalelf erzielt, Messi hat nun 80 Mal für Argentinien gejubelt.

Und dennoch hinterließ der Montag die Vorahnung, dass France Football dereinst einen Leitartikel veröffentlicht, der den Titel "Pardon, Robert" trägt. So wie 2018, als France Football sich beim Spanier Iniesta entschuldigte ("Pardon, Andrés") , weil man 2010 Messi siegen lassen hatte. Was genau betrachtet ein viel größerer Skandal war.

Dass er ausgerechnet im Jahr seiner Triumphe mit Argentinien den Goldball erhielt, war Messi wichtig. "Ich war schon oft in dieser Situation", sagte Messi mit Blick auf die sechs vorangegangenen Ehrungen, "aber in mir steckte stets ein Dorn: Mein Traum, einen Titel mit der (argentinischen) Auswahl zu holen, ging nicht in Erfüllung. Heute kann ich sagen, dass er in Erfüllung gegangen ist."

Und en passant freute er sich auch darüber, dass er nun der erste Spieler der Geschichte von Paris Saint-Germain sei, der den Preis erhielt. Was nicht völlig irrelevant gewesen sein dürfte. Der Ausrichter France Football mag als Wochenmagazin vom Markt verschwunden sein, aber sein Verlag verfolgt kommerzielle Interessen. Den nun - gemessen an der Zahl gewonnener Goldener Bälle - "besten Spieler der Geschichte" in der französischen Liga zu haben, ist für deren Außenwirkung (und die Profite in Frankreich) nicht so verkehrt. Messi hat nun zwei Trophäen mehr als Cristiano Ronaldo in der Vitrine, was zu den albernen Aspekten der Veranstaltung führte.

Ronaldo geht in die Luft - diesmal vor Wut

Pascal Ferré, Chefredakteur von France Football, hatte der New York Times erzählt, dass Ronaldo "nur eine Ambition" habe, "seine Karriere mit mehr Ballons d'Or zu beenden als Messi", und das wisse er, Ferré, weil Ronaldo ihm das gesagt habe. Da ging Ronaldo in die Luft. "Pascal Ferré hat gelogen, er hat meinen Namen benutzt, um sich selbst und seine Publikation zu promoten." Das sei "nicht hinnehmbar", zeterte der Portugiese, und nannte es "inakzeptabel", dass Ferré am Montag "wieder gelogen habe, als er meine Abwesenheit mit einer Quarantäne erklärte, die keinerlei Daseinsberechtigung hat." Womit er wohl nicht schwurbeln, sondern nur sagen wollte, dass er gar nicht in Quarantäne ist.

Was Ronaldo verpasste? Eine Feier, die so richtig zur neuen Demut des Profifußballs passte: Roter Teppich, Reklametafeln, Fotografen, Fußballer in wahnwitzig teuren Haute-Couture-Smokings, wie Filmstars drapierte Spielerfrauen, Champagner, solche Dinge. Natürlich auch: die Wahl von Alexia Putellas (FC Barcelona) zur Fußballerin des Jahres. Und das grimmige Gesicht von Bayern-Präsident Oliver Kahn, der zusammen mit Trainer Julian Nagelsmann und Manager Hasan Salihamidžić nach Paris gereist war.

Auch sie saßen im Theater, als auf der Leinwand Livebilder gezeigt wurde, wie Messis Gesicht an eine Hauswand projiziert wurde, im Hintergrund der Eiffelturm, der noch stärker funkelte als das Smoking-Jackett von Messi (und seinen drei Söhnen). Messi lächelte. Aber was man auch von denen erfährt, die bei ihm zu Hause waren, ist, dass er Paris zwar mag, aber doch sein altes Domizil in Castelldefels bei Barcelona vermisst; ein Ort, der nicht der schönste der Mittelmeerküste ist, aber doch ein ruhiger Ort, wo man im Restaurant Solraig einen Reis mit Kammmuscheln, Tintenfisch und Erbsen serviert bekommt, der im spanienweiten Wettbewerb unter Risotto-Chefs, wie Lewandowski bei der Wahl zum "Ballon d'Or", nur den zweiten Platz belegte, aber schlicht fantastisch ist.

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