Copa América:"Dramatisch wie ein Tango"

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Auch der Auftritt von Lionel Messi bei der Copa América wirft Fragen auf. (Foto: REUTERS)
  • Argentiniens Fußball-Nationalelf zählt nicht einmal mehr auf kontinentaler Ebene zu den Teams der ersten Reihe.
  • Bei der Copa América spielt das Team um Lionel Messi gegen Paraguay nur 1:1.
  • Es ist ein Auftritt, der Fragen aufwirft.

Von Javier Cáceres, Belo Horizonte

Die Zeiten der Gewissheiten rund um Argentiniens Nationalmannschaft sind vorbei. Dachte man eigentlich. Doch seit dem Mittwochabend, als Argentinien in seinem zweiten Gruppenspiel der Copa América gegen Paraguay nur 1:1 spielte, gibt es sie doch wieder. Erstens: Es ist alles schlimmer als vermutet. Zweitens: Der Weltmeister von 1978 und 1986 ist nicht nur weit davon entfernt, zu den besten Teams der Welt zu gehören. Argentinien zählt nicht einmal mehr auf kontinentaler Ebene zu den Teams der ersten Reihe und flirtet fast schon interessiert mit dem Turnier-Aus.

"Es wäre ein Wahnsinn, nicht weiterzukommen", sagte der fünfmalige Weltfußballer Lionel Messi, Kapitän der Argentinier. Vor dem abschließenden Gruppenspiel ist dieser Wahnsinn freilich mit Händen zu greifen. Obwohl, oder besser: Weil der Gegner Katar heißt. Denn im Gegensatz zu Argentinien hat der aktuelle Asienmeister eine klare Vorstellung von dem Sport, den er betreibt.

Außerstande, sich eine Chance zu erspielen

"Dramatisch wie ein Tango", titelte O Estado das Minas in Belo Horizonte, und es war nicht klar, ob die Zeitung sich damit auf die Lage insgesamt oder das Duell gegen Paraguay bezog. Es passte auf beides. 45 Minuten erinnerten nur die Schmähgesänge der argentinischen Fans im Mineirão gegen die Brasilianer ("Maradona ist größer als Pelé") an die einstige Größe.

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Zwei Spiele und noch immer kein Sieg: Die argentinische Nationalmannschaft liegt bei der Copa América auf dem letzten Tabellenplatz ihrer Gruppe. Ein Weiterkommen wird schwierig.

Auf dem Feld war Argentinien außerstande, sich auch nur eine Chance zu erspielen, ein harmloser Freistoß von Messi war alles, was an Torgefahr erinnerte. Und Paraguay ist zurzeit nur ein Schatten jener Teams, die unlängst noch Stammgäste bei Weltmeisterschaften waren. Doch sie trafen: Miguel Almirón durfte von der Mittel- bis zur Grundlinie stürmen, ohne dass die argentinische Defensive seiner habhaft werden konnte; Almiróns Pass in den Rücken der Abwehr verwertete Richard Sánchez zum 1:0 (37.). Danach profitierte Argentinien vom Auge des Videoschiedsrichters. Ein Torschuss von Argentiniens Stürmer Lautaro Martínez war von der Hand eines Paraguayers an den Querbalken gelenkt worden, den nachträglichen, begründeten Strafstoß verwandelte Messi sicher (57.).

Ehe aber so etwas wie Hoffnung aufkeimen, die zerstreuten Ideen sich ordnen konnten, wechselte Argentiniens Trainerlehrling Lionel Scaloni so wild herum, dass Paraguay zurück ins Spiel fand. Bei einem Konter trat Nicolás Otamendi dann die paraguayische Offensivkraft Derlis González bizarr um: "Ich habe sein Bein nicht gesehen", sagte der Innenverteidiger von Manchester City hinterher. Torwart Franco Armani lenkte den Ball zur Ecke - wobei er gar nicht mehr auf dem Platz hätte stehen dürfen. Vor der Halbzeit hatte er vor dem Strafraum einen Ball verstolpert und danach den heranstürzenden González im Stile eines Wrestling-Kämpfers umgetreten. Statt Rot gab es nur Gelb. "Armani hat mich gerettet", sagte Otamendi.

Maradona lästert mit schwerer Zunge

Das änderte freilich nichts daran, dass Argentinien bei der Copa América nun einen Zähler von sechs möglichen geholt hat. Kolumbien steht nach seinem Sieg gegen Katar vom Donnerstag als Gruppensieger fest, Trainer Carlos Queiroz dürfte also geneigt sein, Schlüsselspielern wie James oder Falcao gegen Paraguay (zwei Punkte) eine Pause zu gönnen. Argentinien wiederum muss in Porto Alegre "alles oder nichts" spielen, wie Trainer Scaloni sagte, um zumindest als einer von zwei der drei besten Gruppendritten durchzurutschen - mit Spielern, die kaum mehr Erfahrung haben als er. "Wir haben viele junge Leute, die durch solche Situationen noch nicht gegangen sind", sagte Messi und strich sich in der Mixed Zone des Mineirão über den rötlich schimmernden Bart. Sie müssen nun in einem Ambiente reifen, das von Nervosität, Chaos und dem Verruf der handelnden Personen geprägt ist.

Auch Messi warf Fragen auf. Sein Tor feierte er, anders als üblich, in dem er die Hände demonstrativ zu einem Herzen formte - wie es sein Freund Ángel Di María zu tun pflegt. War das eine Solidaritätsgeste? Am Tag vor der Partie hatte es Diskussionen gegeben, weil Di María und Sergio Agüero über die Medien erfuhren, dass Trainer Scaloni sie auf die Bank setzen würde. Beim Abschlusstraining, das eigentlich geheim war, kam es zu einer 40-minütigen Aussprache, die von den argentinischen Medien gefilmt wurde, und wohl auch zu einem verbalen Gefecht zwischen Messi und dem Coach. Als Scaloni im Mannschaftskreis die Ausbootung von Agüero und Di María erklären wollte, richtete er sich an Messi. Doch dieser meinte, Scaloni täte besser daran, die Betroffenen selbst ansprechen, zumal sie ja zugegen seien.

Scalonis Kredit ist auch wegen solcher Fehler in der Personalführung komplett abgelaufen. Der 41-Jährige, der vor seiner Zeit als Nationalcoach nie ein Erwachsenenteam geleitet hatte, wird sein Amt nach der Copa América abgeben müssen, nach kaum mehr als einem Jahr. Er war geholt worden, um dem Verband nach der enttäuschenden Russland-WM 2018 Zeit für einen ruhigen Übergang zu verschaffen. Stattdessen steht die einstige Fußballgroßmacht jetzt vor der x-ten Katharsis der vergangenen Jahre, und vor einem Duell gegen Katar, das Angst macht.

"Gegen uns würde sogar Conga gewinnen", sagte dieser Tage der frühere Weltmeister Diego Maradona in einem Telefonat, das ein TV-Sender verbreitete. Dass Argentiniens Mythos mit schwerer Zunge sprach und Tonga meinte, nicht Conga, sorgte die Argentinier weniger als dies: Es ist ihm kaum zu widersprechen.

© SZ vom 21.06.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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