Süddeutsche Zeitung

FC Barcelona:Messis Abrechnung

Lionel Messi bleibt beim FC Barcelona - auch, weil er gegen seinen Herzensklub nicht vor Gericht ziehen will. Doch seine Kritik an der Klubführung ist so heftig, dass eine neue Normalität schwierig werden könnte.

Von Javier Cáceres

Am Tag nach der spektakulären Volte in seinem Scheidungsdrama blieb dem sechsmaligen Weltfußballer Lionel Messi etwas erspart: die Fahrt durch ein Spalier von Fotografen und Kameraleuten, das sich am Tor zum Trainingszentrum des FC Barcelona in Sant Joan Despí postiert hatte. Sie warteten darauf, dass Messi, 33, den Coronatest absolviert, um wieder am Training des FC Barcelona teilnehmen zu können. Doch der Klub schickte ihm die Mitglieder des medizinischen Staffs in sein Domizil in Castelldefels, um potenzielle Ansteckungsgefahren auszuschließen. Da der neue Trainer, der Niederländer Ronald Koeman, der Mannschaft für den Sonntag freigegeben hat, wird Messi frühestens am Montag wieder mit den Kollegen trainieren, unter ihnen der zuletzt an den Champions-League-Sieger FC Bayern verliehene Philippe Coutinho.

"Ich bleibe." Das war die Botschaft, die Lionel Messi am Freitag in einem Interview mit dem Internetportal Goal.com übermittelt hatte, und die am Samstag alle Sportblätter der Stadt und des Landes zierte. Zehn Tage zuvor hatte er noch schriftlich wissen lassen, dass er den FC Barcelona verlassen wolle - per "burofax", einer Art Einschreiben mit Rückschein. Danach gab es geheime und halböffentliche Verhandlungen unter Einschluss renommierter Anwaltskanzleien; eine Propagandaschlacht ohnegleichen, in der die Partei Messi und Barcelona versuchten, die Diskurshoheit zu gewinnen; und ganz offenkundig auch sehr vertrauliche Kontakte zu den wirtschaftlich potentesten Klubs Europas. Vor allem mit Manchester City.

Am Ende aber wog das Risiko, die Trennungsumstände von einem Gericht in Barcelona zu klären, zu schwer. Der FC Barcelona hatte Messi aufgezeigt, dass er entweder die vertraglich festgeschriebene Ablösesumme von 700 Millionen hinterlegt - oder eben prozessiert. Messi sagte nun, er würde "niemals" gegen Barcelona "vor Gericht ziehen, weil es der Club ist, den ich liebe, der mir alles gegeben hat, seit ich hierherkam. Es ist der Club meines Lebens", sagte Messi. Dass er dennoch per "burofax" gehen wollte, habe nur daran gelegen, dass der Präsident Josep Maria Bartomeu ihn seit Monaten hingehalten habe.

Für Spannung sorgt nun, wie sich die neue Normalität rund um Messi entwickelt. Dass Trainer Koeman vor einigen Tagen gesagt hatte, nur mit Spielern zusammenarbeiten zu wollen, die wirklich beim FC Barcelona spielen möchten, wird bald in Vergessenheit geraten - auch wenn Messi nun überdeutlich zu erkennen gegeben hat, dass er gegen seinen Willen bleibt. Aber: Koeman hat auch betont, Messi zum Grundpfeiler seiner neuen Mannschaft machen zu wollen. Wie die aussehen wird, ist freilich offen. Es gibt Gerüchte um die Verpflichtung von Spielern wie den argentinischen Stürmer Lautaro Martínez (Inter Mailand) sowie den Niederländern Memphis Depay (Olympique Lyon) und Georginio Wijnaldum (FC Liverpool).

Was nicht mehr zu kitten sein wird, ist das Verhältnis Messis zu Vereinsboss Josep Maria Bartomeu. Denn mit ihm rechnete er ab. Gnadenlos. Er wolle "ein Siegerprojekt", sagte Messi, und ärgerte sich, dass es genau das seit Jahren nicht mehr beim FC Barcelona gebe. Die Vereinsführung habe bloß "Löcher gestopft" und "jongliert", unter anderem mit Trainernamen. Koeman ist nach Ernesto Valverde und Quique Setién der dritte Coach in einem Jahr. Vor allem aber sagte Messi, dass der Präsident mit gespaltener Zunge spreche. Bartomeu habe ihm immer gesagt, dass er am Ende der Saison entscheiden könne, ob er gehen oder bleiben wolle, "aber er am Ende hat sein Wort nicht gehalten", sagte Messi. Das hätte er dann umgehen können, wenn er dem Wortlaut des Vertrages gefolgt und zum 10. Juni erklärt hätte, dass er gehen wolle. Dann wäre er garantiert ablösefrei gewesen, so bestand eben ein Restrisiko, dass er am Ende doch eine hohe Millionensumme an Barcelona zahlen muss.

"Aber am 10. Juni kämpften wir noch um die Meisterschaft (die am Ende Real Madrid gewann, Anm. d. Red.), und wir standen mitten (in der Krise) rund um diesen Scheißvirus und der Krankheit die alle Daten durcheinandergeworfen hat." Nun blieb Messi. "Es ist seine persönliche Entscheidung", sagte (Noch-)Bayern-Profi Thiago Alcántara am Samstag über seinen Ex-Kollegen beim FC Barcelona: "Jede Entscheidung, die gut ist für den Klub, ist wunderbar."

Was Bartomeu denkt? Gute Frage, der Präsident flüchtete sich ins Silentium. Seitens des Klubs hieß es, man werde die Entscheidung Messis nicht kommentieren. Klar ist; Bartomeu befand sich schon vorher in einer prekären Lage, die Opposition hat ein Misstrauensvotum eingeleitet; nun ist sie noch schwieriger geworden. Sein Mandat läuft aus, die Präsidentschaftswahlen wurden auf das Frühjahr vorgezogen, doch nach der Abrechnung durch Messi stellt sich die Frage, ob er bis dahin durchhalten kann.

Schon ab Januar kann Messi, weil sein Vertrag ausläuft, mit jedem Klub der Welt frei verhandeln (und also satte Handgeldzahlungen aufrufen, er ist ja im kommenden Sommer ablösefrei). Zuletzt hieß es, Barcelona würde seinen mit mehr als 50 Millionen Euro netto dotierten Vertrag gern verlängern. Aber an Verhandlungen Messis mit Bartomeu (oder jemandem aus seiner Führungsriege) ist zurzeit nicht einmal ansatzweise zu denken. Im Grunde müssten also die Wahlen nochmals vorgezogen werden. Im Interview wurde Messi nicht gefragt, was er im kommenden Sommer zu tun gedenkt. Er wird dann schon 34 Jahre alt sein. Und ein Jahr vor der möglicherweise letzten Chance stehen, mit Argentinien eine Weltmeisterschaft zu gewinnen.

Ob er dann verlängert oder geht, dürfte auch davon abhängen, wie sich das neue Barcelona-Projekt entwickelt. Einige der besten Freunde Messis - Luis Suárez und Arturo Vidal - sind auf dem Weg nach Italien. Suárez steht vor einem Engagement bei Juventus Turin, für Vidal interessiert sich vor allem Inter Mailand. Die beiden trainierten am Samstag nicht mehr mit der Mannschaft, sondern individuell. Ihre Abgänge haben ohne Zweifel Folgen für den Wohlfühlfaktor Messis. Kurioserweise hatte sich bis Samstagmittag kein Spieler Barcelonas in den sozialen Netzwerken zu Messis Entscheidung geäußert. Offen ist, wie die Fans reagieren - und das wird für lange Zeit eine Unbekannte bleiben, auch in Spanien gibt es lediglich Geisterspiele. "Ich hätte es besser gefunden, wenn sie sich geeinigt hätten", sagte Spaniens Nationaltrainer Luis Enrique, der mit Messi und dem FC Barcelona 2015 das Triple holte, am Samstag.

Messi selbst versicherte, dass er sich nicht hängen lassen werde. "Ich werde alles geben."

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