Mercedes nach dem Abschied von Schumacher:Ohne Weltmeister-Bonus

Lesezeit: 3 min

Michael Schumacher hat seinen Abschied von der Formel 1 verkündet. Mit der Reife eines 43-Jährigen stellt er sich noch immer vor seine Mannschaft. Im kommenden Jahr fährt Lewis Hamilton im Cockpit des Rekordweltmeisters. Der Druck auf Mercedes steigt damit.

Elmar Brümmer, Suzuka

Der Tusch kam aus der Dunkelheit. Kurz nach Michael Schumachers Erklärung, seine Formel-1-Karriere zum Saisonende ein zweites Mal ausklingen zu lassen, probten die Veranstalter des Großen Preises von Japan am Donnerstag die Siegerehrung. Dreimal nacheinander erklang die deutsche Nationalhymne. Zapfenstreich für eine Legende: Schumacher geht, Mercedes bleibt - und damit auch die Erwartungshaltung.

Fing bisher viele Fragen ab: Rekordweltmeister Michael Schumacher, 43, stellte sich stets vor das Team. (Foto: dpa)

Der Tag danach, gleicher Ort. "Druck ist etwas Positives, er darf nur nicht erdrückend sein", sagt Mercedes-Sportchef Norbert Haug zu der Annahme, dass der Konzern wegen des Schumacher-Abschieds und der Verpflichtung von Lewis Hamilton nun erst recht unter Anspannung stehe. Dabei hinterlässt Schumacher in Sachen Krisenmanagement eindeutig eine Lücke. Selbst in der Stunde des Abschieds stellte er sich noch vor die Mannschaft: Er wusch keine schmutzige Wäsche, sondern sprach so abstrakt über den persönlichen Gewinn aus Niederlagen, dass der Eindruck aufkam, sein zickiges Gefährt habe mit seinem unglücklichen Comeback gar nichts zu tun gehabt. Wohl zum letzten Mal hat er so den Druck auf die Sternfahrer gelindert.

Nach eigenem Plan und Anspruch hätte Mercedes in diesem Jahr um den Titel fahren sollen, vor dem 15. der 20 Rennen steht das Team aber lediglich auf Platz fünf der Konstrukteurs-Wertung. Auch deshalb hat Niki Lauda den Sonderposten als Aufsichtsratschef des Rennstalls von Daimler-Boss Dieter Zetsche angedient bekommen. Die ersten beiden Amtshandlungen des Österreichers scheinen das Vertrauen zu rechtfertigen. Lauda, 63, auch mit den ungeschriebenen Gesetzen des Motorsports vertraut wie kaum ein anderer, wurde als Unterhändler zu Bernie Ecclestone geschickt - und dann zu Lewis Hamilton. Heraussprangen zwei Langzeitverträge: Mercedes bleibt der Formel 1 bis 2020 treu, Hamilton kommt für drei Jahre ins Team.

Lauda und Schumacher, das wäre aber nicht gut gegangen. Bei Ferrari, wo Lauda einst auch als Berater fungierte, hatten sich die Wege der beiden getrennt - auf Wunsch des Deutschen. Lauda und Haug wiederum - dieses Miteinander muss erst Struktur bekommen. Dass ein Mitglied des Mercedes-Vorstandes den Chefposten im Rennstallgremium für Lauda räumen musste, zeigt die Bedeutung, die dem dreimaligen Weltmeister zugestanden wird. Aber via RTL, wo Lauda weiter den TV-Experten geben soll, kann die Firmenpolitik wohl kaum gemacht werden. Etliche Fragen, die Kompetenzen und Kommunikation betreffen, müssen erst noch beantwortet werden.

Lewis Hamilton, die neue Führungsfigur im Cockpit, verweigert unter dem Hinweis, dass er trotz eines Rückstandes von 52 Punkten in der Fahrerwertung in diesem Jahr mit McLaren immer noch Weltmeister werden könne, in Suzuka jeden Kommentar zu seiner Zukunft mit Mercedes. Bei einem Sponsorentermin in Tokio aber erklärte er den Gesandten der britischen Zeitungen zu dem Wechsel: "Ich weiß nicht, was passieren wird. Ich weiß nur, dass jeder Mal die Erfahrung machen muss, mit neuen Menschen in einer anderen Umgebung zu arbeiten. Es ist Teil des Erwachsenwerdens und für mich der letzte Schritt in die Unabhängigkeit." Zur Erinnerung: Der Mann ist 27 Jahre alt.

Langzeitplan soll sich mit Kurzzeitplan decken

Seit er 2007 in die Formel 1 kam, hatte Hamilton bei McLaren immer ein siegfähiges Auto. Mercedes kommt dagegen mit seinem eigenen Team nur auf einen Grand-Prix-Erfolg. "Mir ist absolut bewusst, dass das aktuelle Auto nicht um den Titel fahren kann", sagt Hamilton, "wir werden alles daran setzen, dass es im kommenden Jahr besser läuft, aber es wird Zeit brauchen." Ähnlich wie Haug will er keine Ansage machen, spricht vom Vorankommen, und der Möglichkeit, "irgendwann" um den Titel zu kämpfen. Für 2013 sei das noch kein Thema. Teamchef Ross Brawn, für den es um den Job geht, widerspricht: "Lewis verfolgt bei uns einen Langzeitplan, das heißt aber nicht, dass sich das mit dem Kurzzeitplan beißen muss."

Eine "erhöhte Treffsicherheit" bei der Entwicklung, die nicht mehr Geld kosten darf, das müsse dem Team gelingen, sagt Sportchef Haug, der die Konsequenz des neuen Formel-1-Grundlagenvertrages so ausdrückt: "Mit mehr Erfolg mehr Einnahmen schaffen." Wie hoch der Anteil an den Gewinnen ausfällt, die Bernie Ecclestone mit der Formel 1 erwirtschaftet - das hängt bei Mercedes offenbar mehr von der eigenen Leistung ab als bei den anderen Top-Teams. Gemessen an Ferrari, McLaren oder Red Bull gibt es bei Mercedes also weniger Verlässlichkeit.

Die Ungewissheit, was von der Marke in der Formel 1 zu erwarten ist, spiegelt sich auch in den Bewertungen der englischen Zeitungen zu Hamiltons Wechsel. "Sieht aus wie sportlicher Selbstmord", schreibt der Independent. Der Guardian dagegen macht "einen Schritt in die Geschichte" aus. Hamilton selbst sagt: "Einige der Großen in der Formel 1 haben einen starken Rennwagen gegen einen nicht so starken getauscht und dann aus einem Team eine Siegermannschaft gemacht. Michael Schumacher, zum Beispiel, als er zu Ferrari ging. Ich hoffe, dass man das eines Tages auch über mich sagt."

© SZ vom 06.10.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: