Mercedes in der Formel 1:Silberpfeil mit roter Spitze

Australian F1 Grand Prix - Previews

Lewis Hamilton: der neue Mann bei Mercedes.

(Foto: Getty Images)

Mercedes hat sein Team grundlegend umgebaut: Lewis Hamilton und Niki Lauda sollen die Marke zum lang ersehnten Erfolg führen. Das Projekt ist gewagt - und für die ganzen Branche von wegweisender Bedeutung. Geht der Stern endlich auf, würde das vieles überstrahlen.

Von René Hofmann, Melbourne

Zum Auftakt gibt es einen Film. Lewis Hamilton und Nico Rosberg fahren in ihren neuen Formel-1-Autos vor und erklären, was sie sich für die Saison vorgenommen haben, die am Sonntag in Australien beginnt. Nötig ist das nicht. Mit dem Namen des kurzen Streifens ist eigentlich schon alles gesagt. Das Werk heißt: "Der Neustart der Silberpfeile". Dafür wurde Lewis Hamilton, 28, geholt, der Weltmeister des Jahres 2008. Und Christian - genannt "Toto" - Wolff, der neue Motorsportdirektor.

Nach dem Film steht der 41-Jährige auf der Bühne. Hinter dem Österreicher plätschern die Wellen an den Stadtstrand von Melbourne. Aber Wolff schaut nicht nach hinten. Er schaut nach vorne. "Natürlich gibt es Erwartungen", sagt er, "es geht um Mercedes-Benz. Und der Anspruch von Mercedes-Benz ist, gut und an der Spitze zu sein."

2012 war die Marke das nicht. Beim Auftakt damals kam nur ein Mercedes im Ziel an - als Zwölfter. Im Endklassement reichte es in der Konstrukteurswertung lediglich zu Platz fünf. Michael Schumacher musste gehen; trotz seiner sieben WM-Titel. Sportchef Norbert Haug musste gehen; nach mehr als 20 Jahren. Das ganze Programm wurde umgebaut und bekam ein neues, prominentes Gesicht: Niki Lauda, 64, wurde zum Chef des Aufsichtsrats des Grand-Prix-Teams berufen. Zum Start des Rennjahres ist der Rennstall damit der einzige, bei dem nicht die Fahrer im Mittelpunkt stehen. Bei Mercedes geht es im Moment nicht darum, welche Ziele sich einzelne gesteckt haben. Es geht um alles oder nichts.

Die Konstruktion, die zum lang ersehnten Erfolg führen soll, ist gewagt. "Ich habe ziemlich viele Hüte auf", sagt Toto Wolff selbst. Er ist nicht nur für die Formel 1 zuständig. Auch bei den Tourenwagen hat er das Sagen. Außerdem hält er auch Anteile am Grand-Prix-Team. Doch nicht nur bei dem von Mercedes. Auch bei Williams ist er engagiert. Seine Frau wiederum ist dort Test- und Ersatzfahrerin. Und das ist nicht die einzige unübersichtliche Personalie.

Auch Lauda spielt mehr als eine Rolle. Auch er hat Anteile am Grand-Prix-Team übernommen. Seinen Job als RTL-Experte wird er aber keineswegs aufgegeben. "Wer mich kennt, der weiß, dass ich ein grundsätzlich objektiver Mensch bin. Ich habe einfach kein Problem, das zu sagen, was die Wahrheit ist. Und das wird auch so bleiben": So sieht Lauda das. Seine rote Kappe plant er nicht abzustreifen. Eine "Hubschrauberperspektive" will er einnehmen, sich aus den Entscheidungen bei den Rennen aber heraushalten. Es wird spannend werden, wie das funktionieren soll.

Unterhaltsames Projekt

Anzeichen einer aufziehenden Kakofonie sind schon auszumachen. Paddy Lowe, der langjährige Technische Direktor von McLaren, wurde beurlaubt. Weil er ein Mercedes-Angebot bekam, bei dem die Ziffern in der Gehaltszeile aneinandergereiht waren wie eine lange Telefonnummer. Das zumindest streut McLaren. Wolff hat längst bestätigt, mit Lowe verhandelt zu haben. Lauda aber behauptet: "Die Diskussion ist sinnlos, an den Spekulationen ist überhaupt nichts dran." Ja, was denn nun?

Lowe wäre der fünfte Technische Direktor, den sich das Team leistet. Neben Ross Brawn, der den Job einst bei Ferrari ausfüllte und nun als Teamchef fungiert, gibt es ja noch Aldo Costa (einst Ferrari), der den Bau des diesjährigen Mercedes beaufsichtigte. Und Geoff Willis (einst BAR), der den Mercedes für 2014 entwirft. Und Bob Bell (einst Renault), der den gesamten Technikstab beaufsichtigt. Zu wenige kluge Köpfe sind das tendenziell nicht. Wolff spricht selbst von einem "Overload an Entscheidungsträgern", den es zu vermeiden gilt. Einige Änderungen hat er bereits ins Auge gefasst. Nach den ersten vier Rennen will er beginnen, sie umzusetzen.

Anders als sein Vorgänger hat er sich eine Wohnung in England genommen und ein Büro in der Fabrik in Brackley, wo die Rennwagen gebaut werden. Wie er dort willkommen geheißen wurde? "Die Leute haben gehofft, dass mal einer kommt und ihnen sagt, wer sie sind", sagt Wolff. Es ist nicht die einzige Äußerung, die - für einen Berufseinsteiger - ein wenig forsch gerät. Wenige Wochen nach seinem Amtsantritt hat Wolff erklärt, trotz seiner großen Historie hätte Mercedes nicht so recht verstanden, wie der Rennsport funktioniere. Das soll sich nun ändern.

Mit Michael Schumacher, der der Marke wohl als Botschafter erhalten bleibt, hat Wolff dafür allerdings nicht gesprochen. Schumacher, 44, schickte zum Saisonauftakt aber seinerseits via RTL-Interview relativierende Grüße: Sollte es nun einen Aufschwung geben, sei der keinesfalls ein Verdienst der Neuen, sondern vielmehr der Ingenieure und Strukturen, die er etablieren half. Egal, wie es ausgeht - unterhaltsam wird das Projekt in jedem Fall. Die ganze Branche verfolgt es gespannt. Von seinem Gelingen hängt für alle einiges ab.

Mercedes hat sich zwar verpflichtet, der Formel 1 bis 2020 treu zu bleiben. Aber der Druck steigt. Im Februar forderten Großaktionäre den Ausstieg. Gelingt der U-Turn dieses Jahr nicht, dürfte das Ausstiegsszenario näher rücken. Und anders als bei den Abschieden von Toyota, Honda oder BMW würde der Formel 1 dann nicht einfach nur ein Autokonzern verlorengehen. Verabschiedet sich Mercedes, droht die Kernschmelze. Neben Ferrari gibt es nicht mehr viele Marken, die weltweit ziehen. So glänzend wie einst läuft das Geschäft schon länger nicht mehr. Geht der Stern endlich auf, würde das vieles überstrahlen.

Die letzten Indizien sind vielversprechend. Zum Abschluss der Wintertestfahrten glückte Nico Rosberg eine Bestzeit, die die Konkurrenten staunen ließ. "Das zeigt, wie gefährlich er und Lewis künftig sein werden", glaubt Titelverteidiger Sebastian Vettel.

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