Mercedes-Gerangel in Spa:Die Fetzen fliegen

Belgium Formula One Grand Prix

Die Szene, die Lewis Hamilton (links) schäumen ließ: Teamkollege Nico Rosberg schlitzt ihm in der zweiten Runde einen Hinterreifen auf.

(Foto: Srdjan Suki/dpa)

Die Teamkollegen Lewis Hamilton und Nico Rosberg kollidieren beim Formel-1-Rennen in Spa. Hamilton fällt weit zurück, gibt auf und ist sauer. Rosberg dagegen kommt hinter Ricciardo als Zweiter ins Ziel - seine Chefs wollen ihn nun aber bestrafen.

Von René Hofmann

Toto Wolff und Niki Lauda hatten sich schnell auf ein Wort geeinigt. "Unakzeptabel", sagte der Mercedes-Sportchef Wolff. "Unakzeptabel", fiel auch Lauda ein, dem Chef des Aufsichtsrats des Formel-1-Teams der Marke mit dem Stern. Der Grand Prix in Spa-Francorchamps ist ein Klassiker im Formel-1-Kalender. Und die Ausgabe 2014 brachte einen Crash hervor, der das Zeug hat, als Klassiker in die Geschichte der Sportart einzugehen. 1. Daniel Ricciardo (Red Bull), 2. Nico Rosberg (Mercedes), 3. Valtteri Bottas (Williams) - so lautete die Reihenfolge nach 44 Runden. Aber über die wurde anschließend wenig diskutiert. Diskutiert wurde nur über eine Szene zwischen den Mercedes-Fahrern Lewis Hamilton und Nico Rosberg in Runde zwei.

Hamilton gegen Rosberg, Rosberg gegen Hamilton - das Duell hat es in diesem Jahr schon in vielen Variationen gegeben. Im zwölften Rennen gab es eine neue Variante, die das Gegeneinander weiter zuspitzen wird. Zum ersten Mal kollidierten die beiden Titelrivalen. Und das kam so: Zum vierten Mal nacheinander parkte Rosberg auf der Pole Position. Die gute Ausgangs- position konnte er aber nicht nutzen. Als die Lichter der Startampel ausgingen, zog Hamilton an die Spitze. Eine Runde weiter wollte Rosberg die ursprüngliche Reihenfolge wieder herstellen.

Im Streckenabschnitt Kemmel schob er seinen Silberpfeil neben Hamiltons. So lange es geradeaus ging, ging das gut. Am Ende von Kemmel aber gibt es die Rechts-links-Kombination Les Combes. Als es nach rechts ging, war Hamilton noch knapp vorne. Rosbergs Frontflügel befand sich auf Höhe seines linken Hinterreifens. Als es nach links ging, geschah das Absehbare: Die Wagen berührten sich. Und Rosbergs Frontflügel schlitzte Hamiltons Hinterreifen auf.

Eine Szene, wie sie in vielen Rennen vorkommt. Eigentlich keine große Sache. Wenn sich aber zwei Teamkollegen so nahe kommen, dann sorgt das für Diskussionen. Und wenn die zwei aus dem gleichen Stall auch noch die aussichtsreichsten Titelkandidaten sind, dann werden diese Diskussionen garantiert hitzig. "Nico hat mich getroffen", gurgelte Hamilton am Funk, kaum dass die Luft aus seinem Reifen gewichen war.

So eindeutig aber beantworteten die Schuldfragen die meisten Experten nicht. "Fifty-fifty" wertete RTL-Fachmann Christian Danner. "Das ist einfach dumm passiert", meinte Sky-Analyst Marc Surer. David Coulthard am BBC-Mikrofon fand: "Für mich war das ein Renn-Vorfall." Genauso hatte es Nick Heidfeld gesehen, der sich per Twitter zu Wort meldete. Lediglich Martin Brundle sprach einen eindeutigen Schuldspruch: "Klar Rosbergs Fehler."

Rosbergs Frontflügel war nach dem Malheur beschädigt. Der 29-Jährige verlor deshalb etliche Sekunden. Bei seinem ersten Boxenstopp ließ er das lädierte Teil tauschen, was noch einmal einige Sekunden kostete und Rosberg um die Siegchance brachte. Weit härter noch aber traf der Schlag Hamilton.

Von Les Combes bis in die Box ist es weit. Voller Wut fuhr Hamilton so schnell er konnte dorthin. Das aber war mit dem sich auflösenden Reifen im Heck keine gute Idee: Die Gummifetzen schlugen viel am Auto kaputt. Selbst mit neuen Pneus konnte der Brite deshalb anschließend bei weitem nicht mehr die Rundenzeiten erreichen, die mit einem intakten Mercedes möglich gewesen wären. Nach einer guten Stunde hätte Hamilton am liebsten aufgegeben, um seinen Motor zu schonen, doch das Team ließ ihn nicht - mit dem Hinweis, es könnte ja noch eine Safety-Car-Phase kommen. Eine solche aber kam nicht.

Erst vier Runden vor der Zielflagge wurde Hamiltons Flehen nach der Aufgabe erhört. Es war sein dritter Ausfall in diesem Jahr. Rosberg kam lediglich einmal nicht ins Ziel. In der WM-Wertung liegt Hamilton vor dem Großen Preis von Italien in Monza am 7. September nun 29 Punkte hinter Rosberg. Kein Wunder, dass er die Ardennen wenig erbaut verließ.

Pfiffe für Rosberg

In der Box versuchte ein prominentes Spalier, den tief Enttäuschten zu trösten: Wolff, Lauda und Entwicklungsvorstand Thomas Weber scharten sich um Hamilton. Der aber nahm noch nicht einmal den Helm ab, als er dem Trio gegenübertrat. Doch auch Nico Rosberg tat sich schwer, Freude zu zeigen. Eher griesgrämig bestieg er das Siegerpodest, wo ihn eine wenig freundliche Stimmung erwartete. Rosberg wurde ausgebuht.

Der einstige Teamchef Eddie Jordan, der die drei Erstplatzierten auf dem Podium interviewte, mühte sich, mäßigend auf die Menge einzuwirken, hatte damit aber nur wenig Erfolg. Rosbergs Ausführungen ("Dummerweise haben wir uns berührt, das hat auch mein Rennen beeinträchtigt. Ich kann zu der Szene nichts sagen, weil ich sie mir erst im Fernsehen noch einmal anschauen muss.") wollten nur wenige hören.

Auch das obligatorische Treffen mit den Team-Granden zum Abschluss des Rennwochenendes fiel wenig erfreulich für ihn aus. "Unakzeptabel - fürs Team, für Mercedes, für alle Mitarbeiter", fand Oberaufseher Lauda Rosbergs Verhalten, "in der letzten Runde kann man über so was reden, aber nicht in der zweiten". "Absolut inakzeptabel. Du versuchst nicht, in der zweiten Runde deinen Teamkollegen mit dem Messer zwischen den Zähnen zu überholen und beschädigst dabei beide Autos", formulierte auch Wolff einen eindeutigen Vorwurf an Rosberg: Dieser sei "von der Rolle gewesen" und habe "einen Fehler gemacht, der dramatische Folgen hatte".

Womöglich werden die Spielregeln im Team nun geändert.

Wie angespannt die Stimmung ist, ließ sich an den Worten erkennen, die Hamilton einfielen, als er seinen Helm doch irgendwann abgestreift hatte. Er habe "dem Kerl" - also Rosberg - genug Platz gelassen: "Ich verstehe nicht, was da passiert ist. Aber er wird zufrieden sein."

Am Abend teilte Hamilton den britischen Reportern dann noch mit: Rosberg habe in der Teambesprechung zugegeben, er habe die Kollision absichtlich nicht verhindert, "um etwas zu beweisen". Nach dem Rennen in Ungarn sei Rosberg immer noch wütend gewesen. In Budapest hatte Hamilton vier Wochen zuvor eine Funkaufforderung ignoriert und den in dem Moment schnelleren Rosberg nicht vorbeigelassen - was das Resultat des Teams ebenfalls getrübt hatte. Bei Ricciardos Sieg dort war Rosberg Vierter geworden, Hamilton Dritter. "Das ist ein hartes Jahr", fasste Hamilton seinen Gemütszustand zusammen.

Ähnlich angefressen wie er zeigte sich sonst nur einer: Titelverteidiger Sebastian Vettel. Am Samstag war er als Dritter zum fünften Mal in diesem Jahr in der Qualifikation schneller gewesen als sein Teamkollege Ricciardo. Im Rennen aber wurde er durchgereicht und nur Fünfter. Die Schuld daran gab Vettel seinem unterlegenen Material: "Ich werde an die Front geschickt. Es wird scharf geschossen. Und ich stehe mit einem Holzknüppel in der Hand da."

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