Süddeutsche Zeitung

Mensch gegen Maschine:Kuss des Todes

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Ein unbegreiflicher Fehler von Schachweltmeister Kramnik führt zur ersten Niederlage gegen den Computer Deep Fritz

Martin Breutigam

Wer die ,,Guggenheim Collection'' in der Bonner Bundeskunsthalle betritt, sieht sogleich ,,Entscheidendes Rosa'', ein Bild von Wassily Kandinsky. Der Meister hatte im Jahr 1932 unter anderem ein dreieckiges Schachbrettmotiv auf die Leinwand gepinselt. Wladimir Kramnik, der Schachweltmeister, ist ein Kunstliebhaber, er wird sich die Ausstellung aber erst nächste Woche ansehen können, weil er zurzeit noch mit dem Supercomputer ,,Deep Fritz'' beschäftigt ist, genau eine Etage unter Guggenheims Meisterwerken.

Am Montagabend muss jedoch auch Kramnik das Schachbrett einen Moment lang nur als Dreieck wahrgenommen haben, eine Ecke hatte er im Duell mit ,,Deep Fritz'' völlig außer Acht gelassen - unglücklicherweise jene, in der sein König stand. Nach einer bis dahin stark vorgetragenen Partie zog Kramnik im 34. Zug seine Dame nach e3. Offenbar träumte er von einem entscheidenden, ja rosaroten Gewinnzug. In Wirklichkeit war es ein unbegreiflicher, schachhistorisch einmaliger Fehler: Der Weltmeister hatte ein einzügiges Matt übersehen!

,,Keine Erklärung''

Als daraufhin Mathias Feist, der Bediener von Deep Fritz, die Dame nach h7 schwang, wo sie Kramniks König einen sogenannten Kuss des Todes verpasste, durchzuckte es den Weltmeister. Von den Zuschauerrängen waren Laute des Entsetzens zu vernehmen und auch Gelächter. Das geschlagene Genie gratulierte seinem Gegenüber, unterschrieb das Partieformular, fasste sich noch einmal an die Stirn und verschwand. ,,So etwas ist mir noch nie passiert, ich habe überhaupt keine Erklärung dafür'', sagte Kramnik. Er habe sich gut gefühlt und die Variante mit dem scheinbar krönenden Abschluss lange zuvor berechnet und immer wieder geprüft gehabt. ,,Das sah alles so gut für mich aus, und dann bin ich matt in einem.'' Auch Fritz' Bediener hatte es nicht gleich gesehen. ,,Auf dem Monitor leuchtete plötzlich 'Matt' und ich dachte, ist jetzt der Computer kaputt oder was?'', sagte Feist.

Die Schachgeschichte hat zwar immer wieder gezeigt, dass selbst den größten Denkern hin und wieder schlimme Fehler unterlaufen, aber einen solch krassen wie diesen hat es zumindest in einer Turnierpartie eines Weltmeisters noch nie gegeben. Man muss lange zurückdenken, um überhaupt einen nur annähernd vergleichbaren Fall heranzuziehen: Im Jahre 1892 ließ sich der russische Meister Michail Tschigorin, der in der entscheidenden 23. WM-Partie den Sieg vor Augen hatte, von Wilhelm Steinitz plump mattsetzen - allerdings in zwei Zügen, nicht in einem. Steinitz, der erste Weltmeister der Schachgeschichte, behielt dank des glücklichen Sieges seinen Titel.

Müdigkeit oder Druck hat Kramnik selber als Erklärung ausgeschlossen. Auch mit Zeitnot ist das Unbegreifliche nicht zu erklären, schließlich stand ihm für die nächsten sechs Züge mit 32 Minuten noch ausreichend Bedenkzeit zur Verfügung. Für den deutschen Großmeister Artur Jussupow liegt die Ursache für Kramniks menschliches Versagen sowieso weniger im Psychologischen als im Schachtaktischen begründet, nämlich im Mattmotiv selber.

Deep Fritz führt

Einerseits sei es ein banales Angriffsmotiv gewesen, andererseits kein alltägliches: Deep Fritz' Dame konnte auf dem Feld h7 mattsetzen, weil sie dort von einem auf f8 stehenden Springer gedeckt war. Und dass ein weißer Springer auf der gegnerischen Grundreihe steht, sei kein gewöhnlicher Fall, meint Jussupow. ,,Wenn dieser Springer wie üblich über g5 oder f6 gekommen wäre, hätte jeder sofort erkannt, dass auf h7 Matt droht'', sagt Jussupow, ,,aber einen Springer auf f8, den sieht man nicht so oft.'' Diese Erklärung erscheint im Falle eines Hobbyspieler völlig einleuchtend. Aber bei einem Genie wie Kramnik? Wie der Maler Kandinsky dank seiner synästhetischen Wahrnehmung die Farben nicht nur sehen, sondern auch hören konnte, scheint doch gerade der 31-jährige Russe wie kaum ein anderer zu fühlen, wo Gefahren lauern und wo seine Figuren hingehören, damit sie perfekt zu harmonieren.

Es bleibt abzuwarten, ob der geknickt wirkende Weltmeister zu seiner Spielkunst und Präzision zurückfindet. Vor der heutigen dritten Partie führt Deep Fritz mit 1,5:0,5 Punkten. Kaum wahrscheinlich, dass Kramnik den Rückstand in den verbleibenden vier Partien noch in einen Vorsprung verwandelt, was neben einer halben Million Dollar Antrittsprämie mit einer weiteren halben Million vergütet würde. Am Montagabend machte er sich selber Mut und wies darauf hin, dass der Spielstand keinesfalls den Spielverlauf widerspiegele. ,,Ich habe in der ersten Partie Druck gemacht, und ich habe heute wieder Druck gemacht, man kann wirklich nicht behaupten, dass mir Fritz überlegen ist'', sagte Kramnik. ,,Ja, es stimmt, ich hätte ein Remis erzwingen können, aber ich sah keinen Sinn darin, ich konnte doch ohne Risiko auf Gewinn spielen.''

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Quelle:
SZ vom 29.11.2006
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