Süddeutsche Zeitung

Meldonium:Wenn sich Doper selbst entlarven

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Von Thomas Kistner, München

Auch Boris Becker mischt jetzt mit. Der Coach von Novak Djokovic verwahrt sich in britischen Medien gegen Dopingverdächtigungen im Tennis, die der Weltranglisten-Zweite Andy Murray formuliert hatte. Wie es guter Brauch ist in diesem Themenbereich, übernimmt der Altmeister den Part des Systemverteidigers, indem er auf das untaugliche Argument pocht, es werde doch so viel getestet, und es gebe keine Positivfälle. Zweifler Murray hingegen trägt, auch das ist typisch für die Debatte, Substanzielles vor. Häufiger habe er Gegner gehabt, die "niemals müde" wurden: "War ich jemals misstrauisch gegen jemanden? Ja. Denn man hört Dinge."

Es ist das übliche Bild. Hier der rituelle Hinweis auf Kontrollen, die jeder Fachdoper von Lance Armstrong über Jan Ullrich bis zu Marion Jones mit kaltblütigem Lächeln überstand; fast alle Großen wurden über staatliche Ermittlungen geschnappt, nicht mit Dopingtests. Und dort der Skeptiker aus der Praxis, der konkrete Aussagen trifft. "Verbesserungen in unserem Sport sind schwer zu beurteilen, jemand kann zum Beispiel seinen Aufschlag umgestellt haben", sagte Murray der Mail on Sunday. "Aber wenn es rein physisch ist, wenn jemand ein Sechs-Stunden-Match nach dem anderen spielt ohne Anzeichen von Erschöpfung, sollte man darauf schauen."

Murray hatte seine Zweifel im Hinblick auf den Fall Maria Scharapowa geäußert. Er begrüßt, dass die Russin wegen ihres Meldonium-Befundes suspendiert wurde. Der Schotte sieht darin das "positive Zeichen", dass der Sport seine Stars nicht schone. In Hinblick auf die Bekanntgabe der Sperre legt Murray dar, was Szenekenner seit Jahren berichten: Dass Dopingverdächtigungen und -sanktionen mutmaßlich unter den Tisch gekehrt werden. Er hofft, es werde "keine stillen Sperren mehr geben oder so getan, als sei jemand verletzt. Wie der Kroate Marin Cilic, der angeblich verletzt von Wimbledon zurückzog." Es wurde viel gemunkelt, dann flog sein Positivtest auf. Murray: "Das sieht miserabel aus."

Rund 180 Fälle mit dem seit Jahresanfang verbotenen Wirkstoff Meldonium gab es jüngst, speziell in russischen Gefilden, darunter Scharapowa. Nun könnte sich an ihrer Causa weisen, wie ernst der Sport die Betrugsbekämpfung nimmt. In der vergangenen Woche entrüstete sich sogar Russlands Präsident Wladimir Putin, nachdem die Welt-Anti-Doping-Agentur Wada neue Erkenntnisse zur Abbaudauer von Meldonium kundgetan hatte: Weil der Wirkstoff über Wochen im Körper gespeichert werde, könne das Strafmaß gelockert werden - für Sportler, die vor dem 1. März 2016 mit weniger als einem Mikrogramm erwischt wurden.

Gerät nun alles ins Rutschen? Korrekturbedarf mag es im Einzelfall geben. Doch der Positivbefund bleibt ja auch, wenn die Substanz im Jahr 2015 genommen wurde. Das Gros der Suspendierungen erscheint regelkonform, und wer nachweisen kann, dass er die Substanz 2015 appliziert hat, braucht keine Sperre zu fürchten. Aber hier wird es knifflig. Zumal die Wada schon im Herbst 2015 offiziell und via Website verkündet hatte, dass Meldonium auf die Liste rückt.

Niemand kann auf Nichtwissen plädieren: Wer nicht reagierte, hat mit dem Feuer gespielt. Zudem fahndet auch die Wissenschaft noch nach jenem Bereich im menschlichen Körper, der den Wirkstoff so lange speichern kann: Sind es Organe, Muskeln, die roten Blutzellen? Letztere nimmt nun der Pharmakologe Fritz Sörgel ins Visier, am Montag traf in seinem Labor Vergleichsmaterial von Meldonium ein, ohne das ein sicherer Nachweis des Stoffes nicht möglich ist. "Uns ist klar, dass jetzt jeder Schritt im Labor sehr kritisch hinterfragt werden muss", sagt Sörgel.

Abseits solcher Fragen haben sich viele Athleten durch ihre Reaktion auf den Meldonium-Befund selbst entlarvt. Wie Scharapowa. Die beichtete gar vor der Presse jahrelangen Meldonium-Gebrauch, angeblich wegen Diabetes-Problemen. Nicht gesagt hat die Tennisheldin aber: "Mein Befund ist mir unerklärlich. Seit 1. Januar nehme ich kein Meldonium, weil das Mittel jetzt auf der Verbotsliste steht." Das wäre ja die passende Erklärung für einen Langzeitbefund, es wäre zudem die logische Protestreaktion jedes Athleten, der explizit darauf geachtet hat, dass Meldonium ab dem 1.1.2016 aus seiner Hausapotheke verbannt wurde.

Scharapowa hingegen legte detailliert dar, wie sie beim Durchklicken der Links zur Verbotsliste auf der Wada-Seite gescheitert sei. Abgesehen von der Frage, warum ein Superstar, der sogar einen eigenen Mineralwasser-Experten hat, just in der zentralen Frage der Dopingverhütung auf sich allein gestellt ist: Indirekt räumte die Russin ja ein, das Mittel nach dem Stichtag angewendet zu haben.

Weil aber auch die Wada mit ihrer zu späten Erkenntnis ein Problem hat, wird hier die übliche diskrete Sportpolitik ansetzen. Denn der russische Sport, der mit allen Mitteln um die Olympiateilnahme in Rio ringt, wird diese Schwäche für sich nutzen wollen. Am Ende könnte mal wieder ein Deal stehen. Wie so oft.

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Quelle:
SZ vom 19.04.2016
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