Süddeutsche Zeitung

Mehrkampf:Federnd am Ziel

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Japans Turner siegen nach zwölf Jahren wieder - die deutsche Mannschaft landet auf Rang sieben.

Von Volker Kreisl

Das Bild kannte man schon von der WM in Glasgow. Die junge japanische Mannschaft jubelte, während ihre chinesischen Rivalen reglos in der Ecke saßen. Und auch nach dem Teamwettkampf, der ersten Entscheidung im Turnen in Rio, starrten die Chinesen, obwohl sie soeben Bronze gewonnen hatten, in die Luft, während die Japaner tanzten. Das Team um Kohei Uchimura (im Bild) hat eine Misere besiegt, die wie ein Fluch über ihm lastete. Es ist jetzt Weltmeister und auch Olympiasieger und endgültig am Ziel.

Der Mannschaftstitel bedeutet einiges in dem Land, das so viel auf die Stärke der Gruppe setzt

Turn-Finals sind immer emotionale Zuspitzungen, zu viel Zeit wird zuvor investiert, zu viele Verletzungen müssen überwunden werden, bis man es erreicht hat. Aber in diesem Finale von Rio steckte besonders viel Leidenschaft. Zu besichtigen war im Parcours durch die sechs Geräte neben dem Duell der führenden Nationen ja auch der Wettstreit um die dritte Medaille, von der jeder anfangs dachte, es wäre Bronze. Zu sehen war also auch die einwandfreie Vorführung der russischen Turner, die Chinas Schwächen nutzten, und nach langer eigener Schwächephase Silber holten. Und beachtlich war schließlich auch der Auftritt der Deutschen, die mit reduzierter Mannschaft und begleitet von einem Kollegen auf Krücken Siebte wurden.

Ziemlich viel hatte sich in den 48 Stunden zuvor um Andreas Toba gedreht. Nachdem er mit frischem Kreuzbandriss noch seine wichtige Übung am Pauschenpferd beigetragen hatte, war die Resonanz gewaltig. "Ich hatte den ganzen Sonntag Interviewanfragen", sagte Toba, und das ist er nicht gewohnt. Der 25-Jährige ist ein stiller Sportler, seine Stärke ist die Konstanz an allen Geräten, Interviews geben die anderen.

Im Mannschaftsfinale stand er dennoch mitten im Lärm und trug selber dazu bei. Toba feuerte an, bis er heiser war, er humpelte beim Gerätewechsel vorneweg, riss Tape zum Abkleben der Hände und Arme seiner Kollegen von der Rolle, reichte Getränkeflaschen und Magnesiabeutel und genoss auf seine Weise den Auftritt. Und er sah höhere Kunst, als Fabian Hambüchen mit einer exzellenten Reckübung seine Rolle als Medaillenfavorit bestätigte.

Toba hatte zwar nur Augen für sein Team, aber zu den Japanern und Chinesen wird er auch geschaut haben. Unsicher und ungenau hatten sie sich ja in der Qualifikation präsentiert. Uchimura hatte nach einem Sturz sogar das Reckfinale verpasst, und schon am ersten Gerät, dem Pauschenpferd, schien es so weiter zu gehen. Koji Yamamuro musste absteigen, das kostete einen ganzen Punkt. Letztlich kam es also auf Uchimura an. Er ist zehnmaliger Weltmeister an so gut wie allen Geräten in allen Wettkampfformen. Doch auch er, der lange wirkte, als würde sein federnder, biegsamer Körper niemals schwächeln, wird älter. Mehrere Verletzungen hatten ihn in den vergangenen zwei Jahren zurückgeworfen. Aber ihn trieb eben immer noch das Ziel, in seinem Heimatland, das so viel auf die Stärke der Gruppe setzt, sein Team zu den großen Titeln zu führen.

In Glasgow war es noch ein knapper Sieg, in Rio nun gab es aber kein Zittern mehr. Uchimura, Ryohei Kato und auch der Schraubenspezialist Kenzo Shirai, der sein Spektakel an Drehungen am Boden wieder mit einer Vierfach-Schraube beendete, hatten früh Gewissheit. 2,6 Punkte lagen sie vor den anderen - es wurde locker der erste Team-Olympiasieg seit zwölf Jahren, diesmal hatte sie niemand mehr eingeholt.

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Quelle:
SZ vom 10.08.2016
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