Süddeutsche Zeitung

Alexander Megos:Der zweite Kletterer, der eine 9c bewältigt

2009 wurde die Route der höchsten Schwierigkeitsstufe in den französischen Alpen eingebohrt - erst jetzt hat sie jemand durchklettert: Alexander Megos aus Erlangen.

Von Nadine Regel

Der Pizzabäcker überbrachte die Botschaft an die Kletter-Gemeinschaft. Alexander Megos hatte mit der Route "Bibliographie" die zweite so genannte 9c der Welt geklettert, eine Route der höchsten Schwierigkeitsstufe. Seinen Unterstützern auf dem Campingplatz gab der 27 Jahre alte Franke zur Feier des Tages zwölf Pizzen aus. Die Nachricht verbreitete dann der Koch via Facebook mit Fotos, auf denen ein sehr glücklicher Megos mit einem sehr hohen Stapel Pizzen zu sehen ist. Zwölf Stück, die für drei Jahre Arbeit und eine der schwierigsten Routen der Welt stehen.

Ursprünglich hätte Megos in diesem Sommer in Tokio sein wollen, wo er bei den Olympischen Spielen um eine Medaille klettern wollte. Der Erlanger hatte sich aus dem deutschen Team neben Jan Hojer für das Debüt des Sportkletterns bei Olympia qualifiziert. Nun hat er anderweitig für Aufsehen gesorgt; dass ihm ausgerechnet in dieser Zeit die Erstbegehung der 9c gelang, wird ihn über die verlegten Spiele trösten.

Die 35 Meter lange Route "Bibliographie" befindet sich im Klettergebiet Céüse La Falais in den französischen Alpen, in der Nähe von Gap. Der Amerikaner Ethan Pringle hat sie 2009 eingebohrt, seitdem hatte sie niemand geschafft. Megos bewerte die Route auf der französischen Kletterskala als 9c, schrieb er in einer Mitteilung auf Instagram. Für ihn sei es ein persönlicher Meilenstein in seiner Kletterkarriere gewesen. Megos hat in den vergangenen drei Jahren insgesamt etwa 60 Tage an der Route gearbeitet. Wie schwierig sie ist, zeigt der Vergleich mit einem seiner vorherigen Projekte. Für Perfecto Mundo (9b+) in Margalef, Spanien, hatte Megos nur 16 Tage gebraucht.

Schwierigkeitsgrade

Fast jedes Land hat eine eigene Skala, um die Schwierigkeit einer Kletterroute zu bestimmen. Die in Deutschland gängige Skala ist die der Internationalen Union der Alpinismusvereinigungen (UIAA). Diese wird in römischen Ziffern angegeben (zum Beispiel V+). Die französische Skala (in arabischen Ziffern und Buchstaben z.B.: 9a) kommt zudem auch in Sportkletterrouten zum Einsatz, wobei im Alpinklettern die UIAA-Skala angewandt wird. Eine Tabelle hilft, die einzelnen Schwierigkeitsgrade zu vergleichen. Merkmale zur Einschätzung einer Route sind die Komplexität der Bewegungen, die Qualität der Griffe und Tritte und die Neigung der Wand. Die Route "Bibliographie" (9c) von Alexander Megos entspricht einer XII auf der UIAA-Skala - also der höchsten bisher erreichten Schwierigkeitsstufe.

Nun hat Megos also Klettergeschichte geschrieben. Einzig dem Tschechen Adam Ondra ist es bisher gelungen, eine Route in diesem Schwierigkeitsgrad zu klettern. Mit seiner Route "Silence" in Flatanger, Norwegen, hatte der 27-Jährige die Kletterskala nach oben verschoben. Ondra hatte damals schon angedeutet, dass aktuell nur Megos in Frage komme, mit ihm gleichzuziehen. Ondra gratulierte seinem Kollegen nun auf Instagram: "Glückwunsch und vor allem - ich bin froh, dass du eine 9c vorgeschlagen hast!" Das facht den Ehrgeiz in der Szene aufs Neue an. Nur eine Wiederholung der Route durch andere Kletterer mit neuen Einschätzungen kann den Schwierigkeitsgrad bestätigen.

In einem Interview mit dem Magazin Rock and Ice beschrieb Megos die Tour als sehr kraftraubend. Besonders herausfordernd seien die kleinen Leisten und Löcher, die extrem viel Fingerkraft verlangten. Der schwierigste Abschnitt, die Schlüsselstelle, befindet sich in der Mitte der Route und besteht aus vier Zügen. Eine Route in diesem Schwierigkeitsgrad zu klettern, erfordert extrem viel Training und Konzentration. Der Kletterer muss sich die Route ganz genau einprägen, die Bewegungen einstudieren, jede Schwierigkeit der Strecke einzeln erarbeiten. Erst wenn man alle Einzelteile beherrscht, kann man das Gesamtwerk wie ein Puzzle zusammenfügen.

Im vergangenen Jahr schaffte es Megos aufgrund vieler Wettkämpfe und Verletzungspausen nicht nach Frankreich. Erst 2020 sollte es wieder klappen. Zuletzt verschlug es ihn im Juli nach Céüse La Falais. Die Bedingungen waren allerdings nicht jeden Tag ideal. An manchen Tagen war es schlicht zu heiß zum Klettern. Erst einen Tag vor der geplanten Heimreise gelang ihm, was schon verloren geglaubt war. Die Route ist körperlich so anstrengend, dass er pro Tag nur einen Versuch hatte. Am letzten Tag war er wütend, weil ihm der vermeintlich letzte Versuch misslang. Er probierte es ein zweites Mal - was folgte, waren zwölf Pizzen.

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Quelle:
SZ vom 21.08.2020/chge
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