Medienkritik zu Olympia:US-Fernsehen inszeniert sein eigenes Olympia

Medienkritik zu Olympia: Einer der Helden, die der amerikanische Fernsehsender NBC inszeniert: Weitsprung-Olympiasieger Jeff Henderson.

Einer der Helden, die der amerikanische Fernsehsender NBC inszeniert: Weitsprung-Olympiasieger Jeff Henderson.

(Foto: AP)

Ein Olympia-Abend mit NBC macht einen erst aggressiv, dann depressiv. Nach zwei Stunden ist klar: Der amerikanische Fernsehsender hat es genau so geplant.

Von Jürgen Schmieder, Los Angeles

Diese Stimme, sie hat ja recht. Der Kerl vor dem Fernseher ist tatsächlich nicht mehr so fit wie vor zehn Jahren, beim Gang zum Kühlschrank schmerzen Rücken und linkes Knie, die Motivation zu körperlicher Ertüchtigung war auch schon mal größer. "Du kannst ja nichts dafür", flüstert diese Stimme, die übrigens nicht im eigenen Kopf angesiedelt ist, sondern aus den TV-Lautsprechern kommt und eine Verbesserung von Lebensqualität und Libido durch die Einnahme eines Testosteron-Mittelchens verspricht.

Es ist Werbepause bei den Olympischen Spielen, was auf dem amerikanischen Sender NBC sehr häufig passiert - und neben dem üblichen Dreiklang aus Autos, Bier und Softdrinks werden dort regelmäßig Medikamente und Nahrungsergänzungsmittel angepriesen.

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Nach spätestens zwei Stunden, da wird dem Typen vor dem Fernseher klar: Das hier ist eine langfristig geplante Strategie von NBC, jeden einzelnen Zuschauer erst aggressiv und dann depressiv und somit zu willigen Kunden der Lebensverbesserungsmittel-Industrie werden zu lassen.

Auf Live-Sport verzichtet NBC weitgehend

Es wird kaum Sport gezeigt zur besten Sendezeit - und um gleich keinen Zweifel aufkommen zu lassen: Der Begriff Sport bedeutet in diesem Fall nicht Live-Sport, sondern nur Bilder von Menschen, die irgendwann an diesem Tag mal angetreten sind in Rio. Auf Live-Sport verzichtet der Sender weitgehend. Aus dramaturgischen Gründen, wie es heißt. Was an diesem Tag passiert ist, wird durch die Drehbuch-Maschine bei NBC gejagt und dann als vorgekautes und vorverdautes Gesamtwerk an jene gesendet, die am Abend vor dem Fernseher nur noch Chips kauen und verdauen wollen.

Was statt Sport gezeigt wird: Was diese Menschen, die ihren Wettkampf schon vor ein paar Stunden beendet haben, vor ein paar Wochen oder Jahren gemacht haben. Das ist ein bisschen so wie die tragischen Lebensläufe von Deutschland-sucht-den-Superstar-Kandidaten - nur viel rührseliger. Die eine kümmert sich um die schwer kranke Oma, der andere hat eine lebensbedrohliche Krankheit überwunden. Ein ehemaliger Soldat will nun eine Medaille für sein Land nach Hause bringen.

Weil das alles ohne Ironie erzählt wird, schwingt für den Menschen vor dem Fernseher stets die Botschaft mit: Was hast Du schon erreicht in Deinem Leben? Welche Schwierigkeiten musstest Du schon meistern? Wem hilfst Du eigentlich außer Dir selbst?

Dann: Werbepause. Mit der Aufforderung, sich ein Haarwuchsmittel zu bestellen.

Verlierer existieren bei NBC nicht

Anschließend gibt es tatsächlich Bilder von Sportlern, die vor ein paar Stunden um Medaillen gekämpft haben. Das sind, natürlich nicht zufällig, amerikanische Athleten, die eine Krankheit überwunden oder gedient haben, sich nebenbei um die Oma kümmern oder im Kirchenchor singen und dennoch irgendwie die Zeit gefunden haben, sich derart intensiv auf die Olympischen Spiele vorzubereiten, dass sie nun die Sportler anderer Nationen besiegen.

Auch das geschieht ohne Ironie, die noch nicht einmal subtil übermittelte Nachricht lautet: Dieser Mensch im Fernsehen mit der Medaille um den Hals, der ist besser als als der Kerl auf dem Sofa.

Werbepause mit der Ankündigung, dass es ein wunderbares Mittel gegen Depressionen gibt.

So naiv und unschuldig, so süß und traurig

Natürlich gibt es, das ergaben intensive Recherchen in den Ergebnislisten von Rio, auch amerikanische Sportler, die keine Medaille gewinnen. Die scheitern. Die Erwartungen nicht erfüllen. In Deutschland, da werden solche deutschen Sportler vorgeführt, es gibt dann Enttäuschungs- und Entrüstungs-Momente über zu wenige Medaillen mit den Ausrufen "Ooooooch" oder "Eieieieiei", die so nur deutsche Reporter hinbekommen.

Die Amerikaner ersparen sich das. Gescheiterte US-Sportler existieren im Weltbild der NBC-Primetime-Sendung nicht, die Sieger anderer Nationen nur als Randnotizen, wenn sie nicht den Nachnamen Bolt (als Held) oder Jefimowa (als Bösewicht) tragen. Es ist eine Sendung über Gewinner, ein Feiern von Rekorden und Medaillen, ein Loblied auf grandiose Athleten. Das kommt in seiner Ernsthaftigkeit so naiv und unschuldig daher, dass es gleichzeitig süß und traurig ist.

Der Kerl vor dem Fernseher betrachtet das alles, er kennt die Sieger ja bereits aus Tickern und Livestreams, noch nicht einmal gelangweilt, sondern mit der Erschütterung eines Menschen, dem irgendwann Unschuld und Naivität geraubt worden sind und der deshalb dringend ein Testosteronmittel braucht, um nicht in Tränen auszubrechen. Was er ebenfalls ganz dringend machen will: Jedem Athleten, der keine persönliche Bestleistung oder Medaille geschafft hat, ein zuckerhaltiges Softgetränk kaufen.

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