McLaren-Report:Russlands Sportler sollten kollektiv gesperrt werden

Feb 23 2014 Sochi RUS Russia s team enters Fisht Stadium during the parade of athletes at the

Russische Athleten während der Abschlussfeier in Sotschi: Das systematische Doping in Russland hat noch größere Ausmaße als angenommen.

(Foto: imago/ZUMA Press)

Der neueste Bericht des Wada-Chefermittlers McLaren lässt keine andere Möglichkeit mehr zu. Für den Sport haben die Doping-Enthüllungen schlimme Folgen.

Kommentar von Johannes Knuth

Die Nachricht war noch nicht lange in der Welt, da waren schon die ersten Superlative zu hören. "Ein Hammer", nannte etwa der DOSB-Vorstandsvorsitzende Michael Vesper den jüngsten Bericht des kanadischen Rechtsprofessors Richard McLaren. Doch wer aus der Welt des organisierten Sports ernsthaft überwältigt ist von all dem Schmutz, den McLaren offenlegt, muss die vergangenen Jahre auf dem Mars verbracht haben. Oder er hat die Indizien schlicht ignoriert.

Dass es in Russland eine "institutionalisierte Verschwörung" gab, dass Sportministerium, Geheimdienst, Anti-Doping-Behörden und Sportler zusammenarbeiteten, um positive Tests verschwinden zu lassen, dass mindestens 1000 russische Spitzensportler sich mit Bessermachern vollsogen, beschützt von einer Rundum-Sorglos-Police der Funktionäre, um bei Winterspielen, Sommerspielen, Weltmeisterschaften und Universiaden unbehelligt Medaillen zu gewinnen - das war im Kern längst bekannt, abgeheftet in diversen Berichten von Journalisten, Staatsanwälten und Ermittlern.

Neu und wichtig sind die noch umfassenderen Belege, die McLaren und seine Mitarbeiter in den vergangenen Monaten zusammengetragen haben und am Freitag präsentierten. Weil sie den bisherigen Erkenntnissen stählerne Festigkeit geben. "Wir haben Beweise", das war McLarens vielleicht wichtigste Botschaft, die sich an viele Zweifler richtete, auch aus der olympischen Familie. Die meisten Daten sind frei zugänglich.

McLarens zweite zentrale Botschaft: "Wir werden das wahre Ausmaß niemals ganz erfahren". Frei übersetzt: Der systemische Betrug wurzelt tief und reicht vermutlich weit in die Vergangenheit hinein. Und das, davon gehen Szenekenner längst aus, nicht nur in Russland.

Für den Sport sind die Folgen jedenfalls gravierend. Über all den bunten, funkelnden Aufnahmen, die das Bilderkino des Sports zuletzt produzierte, liegt spätestens jetzt ein Graufilter. Die gepredigten Werte - verlogen. Die süßen und sauren Emotionen, die durch die Stadien schwappten und die die TV-Sender so gerne in die Wohnzimmer transportierten - geschmacklos, zu Staub zerfallen. Auch, weil das Internationale Olympische Komitee und die Welt-Anti-Doping-Agentur hoffnungslos festgefahren sind bei der Betrugsverfolgung. Die Sporthistoriker dürfen seit diesem Freitag ganz offiziell hinter der jüngeren Sportgeschichte vermerken: vergiftet.

Das IOC und seine Fachverbände haben jetzt gar keine andere Wahl: Russlands Sportler müssen kollektiv verbannt werden. Die Sportgesetzgebung hält dieses scharfe Werkzeug für Nationen parat, die systemisch im Betrug versinken.

Als würden man einen Alkoholiker eine Entzugsklinik leiten lassen

Und der Kulturwandel, den russische Offizielle bereits seit den ersten Enthüllungen vor zwei Jahren versprechen, ist nichts weiter als eine Illusion. Ein Beispiel: Der neue Vorsitzende der russischen Anti-Doping-Kommission ist Wladimir Smirnow, ein langjähriger IOC-Vizepräsident, der vor Kurzem noch behauptete, es habe in Russland nie Staatsdoping gegeben. Das ist in etwa so, als würde man einen Alkoholiker eine Entzugsklinik leiten lassen.

IOC-Chef Thomas Bach? Seine Entscheidung, Russlands Sportler trotz erdrückender Belege nicht von den Sommerspielen in Rio auszusperren, hat sich spätestens jetzt als schwerer Fehler herausgestellt. Und doch hat Bach längst die Weichen dafür gestellt, dass es künftig keinen Kollektivbann geben wird. Er hat zwei hauseigene Ethikkommissionen eingerichtet, die auf Grundlage des McLaren-Berichts ihrer Arbeit nachgehen sollen.

Die restliche Verantwortung, etwa wie es nun um Dopingsanktionen und künftige Großereignisse in Russland steht, wird wohl auf die Fachverbände abgewälzt. Dort wirken viele Funktionäre und Freunde des russischen Sports in wichtigen Positionen, und nicht wenige Verbände sind auf russische Sponsorengelder angewiesen. Der Sport, der viele Hinweise auf den Systembetrug wegmoderierte, wird sich auch diesmal selbst entgiften wollen. Und sich damit noch ein wenig schneller in den Untergang treiben.

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