McLaren-Report:Russischer Doping-Betrug unter staatlicher Regie

McLaren-Report: Alexander Zubkov führt das russische Team 2014 zu den Olympischen Spielen in Sotschi.

Alexander Zubkov führt das russische Team 2014 zu den Olympischen Spielen in Sotschi.

(Foto: AP)
  • Russland soll bei den Olympischen Winterspielen 2014 Dopingproben manipuliert haben. Das steht im Bericht des Rechtsprofessoren Richard McLaren.
  • Demnach fand der Betrug "jenseits jeden vernünftigen Zweifels" unter staatlicher Regie statt und war ziemlich allumfassend.
  • Das IOC steht nun unter größtem Zugzwang. Es geht um die Frage, ob Russland von den Olympischen Spielen in Rio de Janeiro ausgeschlossen wird.

Von Thomas Kistner

Wirklich überraschen konnte es nicht mehr, was der kanadische Rechtsprofessor Richard McLaren am Montag an Substanz in seinem Ermittlungsreports zum Doping in Russland ausbreitete. Das russische Sportministerium soll weitestreichende Manipulationen während der Olympischen Winterspiele in Sotschi 2014 und auch bei anderen Veranstaltungen mit Hilfe des Geheimdienstes FSB "gelenkt, kontrolliert und überwacht" haben.

Erstaunlich ist aber die kriminelle Chuzpe, mit der dem Bericht zufolge vorgegangen worden sei. Stellenweise wirkte McLarens Präsentation wie eine Vorlesung für Krimi-Drehbuchautoren; insbesondere bei der Beschreibung eigener Experimente, mit denen die Ermittler einzelne Betrugsmethoden auf ihre Machbarkeit hin überprüften. Zwar enthält der McLaren-Report keine explizite Empfehlung für einen Ausschluss des russischen Teams von den Sommerspielen in Rio de Janeiro. Das erübrigt sich jedoch: Zu erdrückend bieten sich Indiziensammlung und Beleglage dar, die der Untersuchungsstab binnen nur 57 Tagen kompiliert hat.

Einzigartiges Vertuschungsverfahren durch Sportministerium, Geheimdienst und Moskauer Labor

Demnach fand der Betrug "jenseits jeden vernünftigen Zweifels" unter staatlicher Regie statt und war ziemlich allumfassend: "Russische Athleten aus den meisten Sommer- und Wintersportarten" hätten von den Manipulationspraktiken - geplant und ausgeübt von "mindestens Ende 2011 bis August 2015" - massiv profitiert; darunter erklärtermaßen olympische Medaillengewinner.

Im Kern bestätigte McLaren in einem Hotel im kanadischen Toronto die Enthüllungen des russischen Kronzeugen Grigori Rodschenkow. Der in die USA geflüchtete Wissenschaftler war viele Jahre lang der Kopf des russischen Anti-Doping-Systems und Chef der Testlabore in Moskau und Sotschi. Rodschenkow hatte schon im Mai in US-Medien dargelegt, dass zahlreiche Athleten der Gastgebernation bei den Sotschi-Winterspielen 2014 gedopt gewesen seien, darunter mindestens 15 Medaillengewinner - und dass positive Proben unter Mithilfe staatlicher Behörden in negative umgewandelt worden seien.

Nun legt McLaren detailliert dar, wie dieses "einzigartige Vertuschungsverfahren" von Sportministerium, dem russischen Geheimdienst FSB und dem Moskauer Labor für Sotschi ausgeheckt und durchgezogen worden sei. Demnach wurde eine sorgsam selektierte Auswahl einheimischer Athleten, die bei den Winterspielen starteten, durch das Vertauschen positiver in negative Urinproben abgeschützt.

McLaren stellte klar, dass es keine Zeugen gebe abseits des Whistleblowers Rodschenkow, der dieses Prozedere genau beschrieben hat. Jedoch sei die Machbarkeit dann in präzisen eigenen Versuchen überprüft und nachgestellt worden: Es habe funktioniert. Auch seien an damaligen Probenfläschchen Manipulationen festgestellt geworden: Die Deckel waren entfernt und später wieder angebracht worden. Anhand nur unterm Mikroskop erkennbarer Kratzer habe man diese Spuren dann nachträglich auch bei elf (von elf ausgewählten) russischen Proben nachweisen können, die im Kausanner Labor eingelagert waren. Auch das wirft Fragen auf: Diese Probenbehälter sind seit den Sydney-Spielen 2000 in Gebrauch. Bisher galten sie als nicht manipulierbar.

Zu den im Report benannten Offiziellen, die an der Verschwörung beteiligt gewesen seien, zählt neben dem stellvertretenden Sportminister Juri Nagorny auch Irina Rodionowa. Sie war unter anderem Mitarbeiterin des russischen Nationalen Olympischen Komitees. Das ist pikant, weil das Internationale Olympische Komitee den Russen bisher just über ihr NOK ein Hintertürchen für Rio offenhielt - das Gremium, betonte IOC-Chef Thomas Bach unlängst, sei ja nicht in die Machenschaften verwickelt. Auch der Wissensstand ist nun überholt. Abgesehen davon, dass auch andere Funktionäre aus Verbänden, die von staatlich gelenkter Dopingvertuschung profitiert haben sollen, im russischen NOK sitzen. Und generell erscheint die Annahme recht abenteuerlich, dass just das wichtigste Sportgremium exklusiv nie etwas von den Umtrieben mitgekriegt haben soll.

Da ist von Bedeutung, dass McLaren erklärte, auf die Schnelle sei "keine aktive Rolle des NOK in der Organisation des Dopingprogramms" festgestellt worden. Trotzdem ist es just diese Aussage, mit der russische Sportmedien ihre Berichterstattung zum McLaren-Report am Montag einleiteten.

Bachs IOC ist unter Druck wie nie, seit der Korruptionsaffäre um Salt Lake City vor fast 20 Jahren. Der Report zeige "einen erschreckenden und beispiellosen Angriff auf die Integrität des Sports und der Spiele", ließ sich Bach in einer ersten Stellungnahme zitieren, das IOC wolle "härteste Sanktionen gegen jede beteiligte Person oder Organisation treffen."

Russland kündigt Widerstand gegen eine Komplettsperre an

Aber das genau ist es, was ein massiv wachsender Kreis an Skeptikern in der gesamten Sportwelt nicht wirklich glaubt. Die Befürchtung, dass der deutsche Machtpolitiker und Putin-Freund an der IOC-Spitze auch weiter nach Auswegen für den russischen Sport suchen könnte, hatte schon am Wochenende dazu geführt, dass sich die renommiertesten Anti-Doping-Agenturen der Welt, darunter die amerikanische, kanadische und die deutsche, sowie zwei Dutzend Athleten-Gruppierungen auf ein Forderungsschreiben an Bach verständigt hatten: Das IOC solle die Russen komplett von Rio ausschließen.

Andrea Gotzmann, Vorstandschefin der deutschen Nada, nannte den McLaren-Report "erschütternd" und forderte das IOC auf, "dafür zu sorgen, dass russische Sportlerinnen und Sportler nicht zu den Spielen in Rio zugelassen werden". Es ginge nun um "fundamentale Werte und die Glaubwürdigkeit des Sports insgesamt". Ins gleiche Horn stieß Wada-Sprecher Ben Nichols: "Die Wada ruft die Sportbewegung auf, den russischen Sportlern die Teilnahme an internationalen Sportereignissen inklusive Rio zu verwehren, bis sich ein Kulturwandel vollzogen hat."

Das IOC steht unter größtem Zugzwang. Bach, der bis zuletzt versucht hatte, den Sotschi-Skandal von den Rio-Spielen fernzuhalten, indem er die Wintersportverbände für zuständig erklärte, beraumte für Dienstagvormittag eine Telefonkonferenz seiner Vorstände an. Einige von denen hatten sich gerade noch über die flotte Reaktion aus dem Anti-Doping-Bereich ereifert und sie als Vorverurteilung gerügt.

Russland hatte schon vor der Publikation Widerstand gegen eine Komplettsperre angekündigt. "Es gibt ein Arsenal an legalen Mitteln für die Verteidigung der Interessen der Sportler. Russland wird es bis zum Letzten ausschöpfen", sagte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow.

Putin indes kündigte Montagabend erste Schritte an: Funktionäre, die in dem Bericht "als direkt Beteiligte" auftauchen, "sollen bis Ende der Untersuchungen suspendiert werden", teilte er mit. Er meint wohl die russischen Untersuchungen.

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