Süddeutsche Zeitung

Mayer und Kohlschreiber in Wimbledon:Deutsches Männertennis ist noch am Leben

Philipp Kohlschreiber verliert in Wimbledon gegen Jo-Wilfried Tsonga, weil ihm in seinem ersten Grand-Slam-Viertelfinale die Coolness abhanden kommt. Florian Mayer hat gegen den Weltranglistenersten Novak Djokovic keine Chance. Trotzdem spielten die beiden Deutschen so, als hätten sie sich in den Londoner Rasen verliebt.

Michael Neudecker, London

Florian Mayer hat eine besondere Art, mit der Vorhand zu spielen, er schwingt seinen Schläger immer durch die Luft, als hielte er keinen Schläger, sondern eine Keule, wie ein Krieger, nicht wie ein Tennisspieler. Krieger sind gefährlich, und Florian Mayer hatte ja auch einige Gegner besiegt in diesen eineinhalb Wimbledon-Wochen; bis er auf Novak Djokovic traf.

Novak Djokovic aus Serbien ist die Nummer eins der Tenniswelt, er ist der Titelverteidiger in Wimbledon, und Mayer kämpfte zwar auf Court No. 1 in Wimbledon, er tat, was er konnte, am Ende aber war er machtlos. Djokovic gewann 6:4, 6:1, 6:4.

Mayer hatte seine Chance im ersten Satz, und dass er sie nicht nutzte, das passte am Ende zu diesem Mittwoch, aus Sicht der deutschen Männer jedenfalls: Auch Philipp Kohlschreiber verlor ja, 6:7, 6:4, 6:7, 2:6 gegen Jo-Wilfried Tsonga, auch er hatte seine Chance, sogar eine weitaus größere als Mayer.

Mayer und Kohlschreiber hätten die ersten beiden Deutschen im Halbfinale von Wimbledon seit 1991 werden können; dass es ihnen nicht gelang, kam jedoch kaum überraschend, sie waren Außenseiter. Gerade in Mayers Match war der Unterschied, den 30 Plätze in der Weltrangliste definieren, doch klar zu sehen. Zunächst zwar hielt Mayer mit, "es war sehr ausgeglichen am Anfang", findet Djokovic. Mayer war gut im ersten Satz, "ich hab' gemerkt, dass er mit meinem Spiel nicht zurecht kommt", sagt Mayer. Er war ein Break vorne, und im Tennis ein Break vorne sein, das ist wie ein 1:0 im Fußball, er hätte den Satz gewinnen können, "ich hätte ihn gewinnen müssen", sagt Mayer.

Aber stattdessen gewann Djokovic den ersten Satz, "und im zweiten und dritten hat er mir keine Chance gelassen", sagt Mayer, "da hat er unglaublich gespielt".

In den wichtigen Momenten hatte ich meine Nerven im Griff", sagt Djokovic, so einfach ist das. Novak Djokovic ist einer der drei besten Tennisspieler der Welt, er schrieb zahlreiche Autogramme, als er den Court verließ, Florian Mayer ging einfach in die Kabine, kaum beachtet. Novak Djokovic ist ein Weltstar, Florian Mayer ist Florian Mayer.

Philipp Kohlschreiber ist nicht Florian Mayer, auch deshalb war seine Chance, das Halbfinale zu erreichen, etwas größer. Mayer kämpfte sich mit zwei Fünf-Satz-Matches ins Viertelfinale, aber Kohlschreiber war nach dem knappen Sieg gegen Tommy Haas zum Turnierauftakt souverän, vor dem Match gegen den Weltranglisten-Fünften Tsonga führte er sogar eine wichtige Statistik an: Er hatte in diesen eineinhalb Wochen 88 Asse geschlagen, mehr als alle anderen Spieler in Wimbledon in diesem Jahr.

Und Tsonga? Er war der Favorit, er ist gut, oft herausragend - aber Tsonga ist nicht Djokovic. Den ersten Satz gewann Tsonga erst im Tie-Break, den zweiten gewann Kohlschreiber 6:4, da waren eine Stunde und 25 Minuten gespielt. Der dritte Satz ist oft der wichtigste in einem Tennismatch, denn es ist ein Unterschied, ob man mit einer Führung in den vierten Satz geht oder einem Rückstand hinterherlaufen muss. Der dritte Satz war so ausgeglichen wie das Match davor, beide droschen den Ball mit wuchtigen Aufschlägen über das Netz, und dann ging es wieder in den Tie-Break.

Jo-Wilfried Tsonga ist immer voller Emotion in so einem Match, manchmal platzen die Emotionen aus ihm heraus, dann schreit er, springt, er spielt Tennis mit jeder Faser seines Körpers, so sieht das aus. Philipp Kohlschreiber sieht manchmal aus, als ginge ihn das Match nichts an, er hadert selten; seine Coolness ist seine schärfste Waffe. Tsonga schimpfte, Kohlschreiber war cool, so gingen sie in den Tie-Break, und es schien, als sei Kohlschreiber im Vorteil.

Tsonga allerdings hat solche Situationen schon oft erlebt. Für Kohlschreiber war dieses Viertelfinale der größte Erfolg seiner Karriere, Tsonga aber war auch im vergangenen Jahr im Halbfinale in Wimbledon, bei den Australian Open war er einmal im Finale. Tsonga zog sein Spiel durch, Kohlschreiber machte Fehler, "er hat mir schwere Aufgaben gegeben", sagt Kohlschreiber, "ich hab' ein paar Punkte zu leicht hergegeben". Tsonga gewann den Tie-Break 7:3, "Tennis ist manchmal ein bisschen blöd", sagt Kohlschreiber. Tsonga wirkte gestärkt, Kohlschreiber wirkte gebrochen, nach dem dritten Satz war das Match entschieden.

Kohlschreiber und Mayer werden sich in den kommenden Tagen vielleicht ein paar mal fragen, wieso sie ihre Chancen verstreichen ließen, Kohlschreiber mehr als Mayer, aber nicht allzu oft. "Wenn alles abfällt", sagt Kohlschreiber, "dann werde ich auf dieses Turnier zurückblicken und sagen: Es war eine schöne Zeit." Philipp Kohlschreiber und Florian Mayer spielten zeitweise, als hätten sie sich in den Rasen von Wimbledon verliebt, sie haben bewiesen, dass das deutsche Männertennis noch am Leben ist.

Während sie in Wimbledon nun den Sieger 2012 suchen - Djokovic trifft im Halbfinale auf Roger Federer, Tsonga auf Andy Murray -, bereiten Mayer und Kohlschreiber sich auf ihre nächsten Einsätze vor, zuhause in Oberhaching. Sie spielen in Hamburg und Kitzbühel, danach fliegt Mayer in die USA, Kohlschreiber fliegt zurück nach London: Er spielt bei Olympia, wieder auf dem Rasen von Wimbledon. "Das wird sicher toll", sagt Kohlschreiber.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.1402110
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 05.07.2012/mane
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.