Maxime Chabloz:Er springt hin und her zwischen zwei Sportarten

Maxime Chabloz: Hauptsache in der Luft: Maxime Chabloz liebt spektakuläre Sprünge, entweder beim Freeriden, wie jetzt am Wochenende in Verbier, oder beim Kitesurfen, wie hier auf Fuerteventura.

Hauptsache in der Luft: Maxime Chabloz liebt spektakuläre Sprünge, entweder beim Freeriden, wie jetzt am Wochenende in Verbier, oder beim Kitesurfen, wie hier auf Fuerteventura.

(Foto: Hans-Uwe Kellner/Imago)

Der Schweizer Maxime Chabloz zählt im Kitesurfen und im alpinen Freeriden zur absoluten Weltspitze - alles andere wäre ja langweilig.

Von Thomas Becker

Dass aus Maxime Chabloz ein passabler Skifahrer werden würde, ist nicht verwunderlich. In guten Wintern kann er vom Schweizer Skigebiet Klewenalp bis vor die Haustür fahren, bis zum nächsten Gletscher in Engelberg ist es nur eine halbe Autostunde Fahrt. Im Sommer ist es möglich, von der Wohnung in Beckenried mit dem Skateboard hinunter zum Vierwaldstättersee zu rollen, aufs Kiteboard zu steigen und durch die Luft zu segeln. Inzwischen gehört er in beiden Sportarten zu den Weltbesten.

Wenn am Samstag in Verbier das Saisonfinale der Freeride World Tour ansteht, geht der 20-Jährige als Führender der Gesamtwertung in den Wettbewerb - in seiner ersten Profi-Saison. Das ist erstaunlich, weil bei diesem Wettkampfformat Ortskenntnis und Erfahrung wichtig sind. Die Aufgabe: den Berg - oder das Face, wie die Fahrer sagen - bei freier Spurwahl möglichst spektakulär und flüssig zu bezwingen, Punktrichter übernehmen die Wertung. Für den jungen Schweizer waren in diesem Winter die Hänge in Spanien, Andorra, Kanada und Österreich Neuland, dennoch gelangen ihm zwei Siege und zwei Top-Ten-Plätze. "Bei den letzten drei Events hatte ich das Glück, dass die für alle neu waren", sagte er bescheiden. Auf einem Hang wie jenem in Fieberbrunn, der häufig im Wettkampfkalender steht, war er kürzlich weniger dominant: In der spärlich mit Schnee bedeckten Felslandschaft sprang er zwar einen sehr weiten Rückwärtssalto, konnte die Landung aber nicht kontrollieren. Resultat: Platz zehn.

Maxime Chabloz: Vertrauen in das eigene Können: Maxime Chabloz springt Salti im Gelände.

Vertrauen in das eigene Können: Maxime Chabloz springt Salti im Gelände.

(Foto: Jeremy Bernard /Freeride World Tour/OH)

Zwischen dem Wettkampf in Tirol und dem drei Wochen zuvor in Kicking Horse, British Columbia, hat er weder pausiert noch knüppelhart trainiert - sondern einen weiteren Wettkampf eingebaut: diesmal den Kitesurf-Weltcup in Salinas del Rey, Kolumbien. Davor war er kurz in Spanien zum Trainieren. Als Stress empfindet er das Reisepensum nicht. "Ist alles ziemlich spontan. Das gefällt mir", sagt er, es stört ihn ihn nicht, in letzter Minute irgendwo anzukommen. Noch weniger stört es Chabloz, mitten in der Saison einfach mal die Sportart zu wechseln. Das ist so ähnlich, als würde der Schweizer Riesenslalom-Olympiasieger Marco Odermatt, der übrigens im selben Ort wohnt, kurz vor den Winterspielen noch eben bei einem Grand-Slam-Turnier den Tennisschläger schwingen. "Die Freeride-Saison dauert ja nur drei Monate", sagt Chabloz, "wenn ich nur freeriden würde, würde es mir vielleicht langweilig."

Surfer aus der Zentralschweiz: Sein Vater fragte ihn, ob er nicht glaube, dass er für das Kitesurfen im falschen Land geboren sei

Die Langeweile vertrieb ihn damals auch vom alpinen Ski-Rennlauf. Wie viele in der Region fuhr er von klein auf Rennen, besuchte eine Sportschule für alpine Skifahrer, wusste aber schon, dass er nach dem Abschluss mit dem Skifahren aufhören würde - wegen des Kitesurfens. Jahrelang war die Familie an die Atlantikküste gefahren, und während der Vater durch die Wellen pflügte, übte der Sohn am Strand mit dem Lenkdrachen. Im Alter von 13 Jahren bestritt er die ersten Kitesurf-Wettkämpfe, mit 15 das letzte Skirennen: "Ich hatte schon lange keine Lust mehr", erzählt er: "War schwer für meine Eltern. Papa meinte: Ich weiß nicht, ob du im richtigen Land geboren bist, um professioneller Kite-Surfer zu werden. Ich hab's trotzdem geschafft!" Maxime Chabloz' drei Jahre älterer Bruder Yannick ist gerade seine erste Saison im Ski-Weltcup gefahren, bei der Abfahrt von Gröden kam er auf Platz 13.

Nach der Schule, als Fünfzehnjähriger, ging Chabloz für drei Monate nach Brasilien, um die Trainingszeit mit dem Kite aufzuholen, die er als Kind versäumt hatte. Er schaffte es auf die Qualifier-Tour, kam gleich beim ersten Wettkampf unter die besten Drei und wurde dreimal Juniorenweltmeister: als Surfer aus der Zentralschweiz. Doch nach zwei Jahren auf dem Kite wurde es ihm erneut langweilig - also schnallte er wieder die Ski an, entdeckt die Freeride World Tour als Wettkampfformat und wurde auch hier Juniorenweltmeister. Schließlich wurde er Profi, und führt als Neuling nun die Rangliste an. Diesen verblüffend rasanten Aufstieg erklärt er so: "Wenn ich mir meine Freeride-Ergebnisse und mein Ski-Level anschaue, merke ich schon, dass ich auf Skiern aufgewachsen bin. Das Geheimnis meines Erfolges ist, dass ich in beiden Sportarten in der Weltspitze bin. Das stärkt mein Selbstvertrauen."

Maxime Chabloz: Die Welt von oben: Maxime Chabloz beim Wettkampf in Kicking Horse, British Columbia.

Die Welt von oben: Maxime Chabloz beim Wettkampf in Kicking Horse, British Columbia.

(Foto: Brian Coles/Freeride World Tour/OH)

Und für das, was Chabloz in unzugänglichem Gelände auf Skiern bewerkstelligt, braucht es reichlich Vertrauen in das eigene Können. Seine Spezialität ist der doppelte Rückwärtssalto. "Den springe ich, seit ich zehn bin, früher auf dem Trampolin, mit 14 oder 15 dann im Backcountry, im Pulverschnee: Da ist es weich genug." Vor ein paar Jahren noch galt ein solcher Backflip im Gelände als vogelwild. Mittlerweile gehört das zum Standard bei der Freeride World Tour. Auch Chabloz fällt die Rasanz der Entwicklung auf. "Aber ich finde es cool, dass der Sport so eine Richtung nimmt: nicht Slopestyle, aber mehr Tricks." Er ist kein Fan von steilen Riesen-Cliffs, "von denen man praktisch nur runterfällt", wie er sagt: Aber wenn er in der Luft nur geradeaus springe, fehle ihm ebenfalls etwas. Riskante Sprünge zeigt er jedoch nur, wenn es um Punkte geht. Und in der Freizeit? Da geht er ohnehin "lieber mit Papa skifahren als mit anderen crazy riders. Mit ihm fühle ich mich sicherer", sagt er. "Der macht nicht so viel Quatsch."

Auf dem Bec des Rosses hoch über Verbier wird der Vater nicht dabei sein. Der Bec, auch Little Swiss Everest genannt, gilt als Kathedrale des Freeridens, ein Berg, der gestandene Männer die Tränen in die Augen treibt, mit 55 bis 60 Grad Gefälle. Die Fahrer nennen das ellbogensteil: Steht man im Hang, kann man sich mit dem Ellbogen anlehnen. "Wer hier stürzt, kann tot sein", sagt Nicolas Hale-Woods, der Veranstalter der Freeride-World-Tour, "wenn du auf den ersten Metern ausrutschst, bist du unten, 800 Meter tiefer. Für jeden ist es eine Erlösung, wenn er heil unten angekommen ist." Kein Wunder, dass sich Chabloz, der Novize, Gedanken macht: "Ich hab echt Angst vor Verbier", sagte er. Das ist kein Face, das ich persönlich fahren würde." Aber da es ein Wettkampf ist und Maxime Chabloz an diesem Tag Weltmeister werden kann, wird er sich wohl auf den Weg machen. Immerhin: Langweilig wird ihm nicht werden.

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