Maurizio Gaudino im SZ-Interview:"Es ist eine nationale Tragödie"

Fußball ran Jahrhundertspiel OST WEST Sonntag 11 10 2015 Stadion Dresden Maurizio Gaudino

Immer noch eins mit dem Ball: der frühere deutsche Nationalspieler Maurizio Gaudino.

(Foto: imago/Robert Michael)

Maurizio Gaudino, Sohn italienischer Einwanderer, trauert mit dem Land seiner Eltern, das nun die WM verpasst. Im Interview erklärt der frühere Bundesligaprofi, wie der italienische Fußball so tief fallen konnte.

Interview von Matthias Schmid

Maurizio Gaudino ist das Kind italienischer Einwanderer. Obwohl der frühere Bundesligaprofi und deutsche Nationalspieler nie in der Heimat seiner Eltern Fußball gespielt hat, leidet er mit dem Land. "Es ist eigentlich unvorstellbar, dass Italien nicht bei der Weltmeisterschaft dabei sein wird", klagt der 50-Jährige nach dem WM-Aus. Im SZ-Interview spricht Maurizio Gaudino über die Gründe für die Misere und erklärt, was der Verband nun ändern muss.

SZ: Herr Gaudino, ist das WM-Aus der Italiener für das Land schlimmer als jede Regierungskrise?

Maurizio Gaudino: Auf jeden Fall. Das ganze Land weint jetzt. Für viele Menschen ist es eine nationale Tragödie. Das Traurigste aber ist, dass alles abzusehen war in den vergangenen Monaten. Dass sich die Mannschaft allerdings erstmals nach 60 Jahren nicht für die WM qualifiziert, hätte niemand geglaubt. Bisher hat sie es ja immer geschafft, sich irgendwie durchzumogeln.

Manche in Italien behaupten, dieser Misserfolg könnte eine heilsame Wirkung haben.

Es muss jetzt dringend Konsequenzen und Reformen geben. Aber ob es wirklich heilsam ist, kann man erst in ein paar Jahren sagen. In den vergangenen Jahren war es ja so, dass sich die Mannschaft mit ihren erfahrenen und ausgebufften Profis trotzdem ganz gut präsentiert hat, wenn sie bei einem großen Turnier dabei war. Das wäre jetzt wohl nicht anders gewesen und die ganzen Probleme wären wieder alle unter den Teppich gekehrt worden.

Aber eine WM ohne Italien ...

... ist ganz bitter, eigentlich unvorstellbar. Dass eine solche Macht im Fußball nicht dabei sein wird, werden die Konkurrenten auch betrauern, wenn die WM losgegangen ist. Das ist wirklich Wahnsinn. Da fehlt ein großes Stück. Bei einer Weltmeisterschaft müssen die besten Nationen antreten - und da gehört neben Italien auch Holland dazu.

Wo liegen die größten Versäumnisse im italienischen Fußball?

In den mangelnden Strukturen und im mangelnden Reformeifer im Nachwuchsfußball. Es gibt zwar auch Internate wie in Deutschland, aber da fehlt es an Geld, um neben dem Fußball auch die schulische Karriere voranzutreiben. Da sind manchmal fünf Kinder in einem Hotelzimmer untergebracht. Und es fehlt auch am Mut, die jungen Spieler einzusetzen. In Deutschland bist du mit 22 Jahren schon ein gestandener Fußballprofi, während du in Italien gerade mal in der Serie A reinschnuppern darfst.

Erlebt das gerade auch Ihr Sohn Gianluca, der für den Serie-A-Ligisten Chievo Verona spielt?

Als Ausländer ist das eine etwas andere Situation, er hatte eine gute Vorbereitung bei Chievo Verona gespielt, bevor er sich eine Lungenentzündung holte und vier Wochen ausfiel. Jetzt ist er wieder fit und steht auch im Kader, nur gespielt hat er noch nicht.

Da ergeht es ihm doch wie den einheimischen Talenten.

Sie bekommen kaum eine Chance, die italienischen Vereine werden von Investoren dominiert, die lieber auf ältere Spieler setzen, um auch in der Champions League mitspielen zu können. Deshalb setzt auch die Nationalmannschaft auf die alten Recken und hat somit den Zeitpunkt der Verjüngung verpasst, weil sie lange auf Blöcke setzte, auf Spieler von Juventus Turin zum Beispiel.

Buffon? "Ein tragisches Ende einer großen Karriere"

Nationalheld Gianluigi Buffon hat wie andere auch nun seinen Rücktritt erklärt.

Ein tragisches Ende einer großen Karriere. Er ist in diesem Jahr noch mal Welttorhüter geworden und hätte gerne die WM mitgenommen. Aber er ist gesund und darf noch mit 39 Jahren Fußball spielen. Das ist doch auch etwas.

In der Kritik steht vor allem Nationaltrainer Gian Piero Ventura. Muss jetzt mal ein ausländischer Trainer kommen?

Nein, Italien hat genügend jüngere Trainer, die den Job übernehmen könnten. Die Frage ist nur: Wollen sie ihn überhaupt? Nach dem Abschied von Antonio Conte zum FC Chelsea hatte der Verband ja keinen Besseren gefunden. Ich hoffe, dass sie nun einen finden, der Lust hat, etwas Neues aufzubauen.

In der Bedeutungslosigkeit wird der italienische Fußball aber nicht versinken?

Es gibt genügend begabte, junge Spieler. Die müssen aber halt auch spielen. Man muss mehr Fingerspitzengefühl im Umgang mit ihnen zeigen. Junge Spieler haben Höhen und Tiefen, man muss sie behutsam aufbauen, Geduld mit ihnen haben und auch mal die schützende Hand über sie halten, bevor man sie ins Haifischbecken schmeißt. In Italien gibt es die Tendenz, dass man sie sehr schnell niederschreibt.

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