Matthias Sammer im Gespräch:"Der Star ist nicht die Mannschaft!"

Er war der "Feuerkopf", Europameister 1996 und einer der besten Schüler von Berti Vogts: Matthias Sammer. Im Gespräch mit der SZ erklärt der heutige DFB-Sportdirektor, was dem deutschen Fußball im Vergleich zu den Spaniern noch fehlt, weshalb Nationalspieler gefälligst die Hymne singen sollen - und warum er ein berühmtes Vogts-Zitat nicht mehr hören kann.

Klaus Hoeltzenbein und Christof Kneer

SZ: Herr Sammer, die deutsche A-Nationalelf hat von zehn EM-Qualifikationsspielen zehn gewonnen, und auch die U21, die U20, die U19 und die U17 haben einen Sieg nach dem anderen gelandet. Muss Spanien jetzt vor Deutschland zittern?

Matthias Sammer

Achtung, fliegender Führungsspieler! Matthias Sammer war sich nie zu schade, Bälle aus der Gefahrenzone zu köpfen - wie im Viertelfinale der EM 1996 gegen Kroatien. Die DFB-Elf gewann, auch dank seiner feurigen Präsenz, den Titel. Im Jahr 2000 musste Sammer nach langwieriger Knieverletzung seine Karriere beenden. Als junger Trainer führte er Dortmund 2002 zum Meistertitel, seit 2006 amtiert der 44-Jährige als DFB-Sportdirektor.

(Foto: picture-alliance / dpa)

Sammer: Die stetige Weiterentwicklung der A-Nationalmannschaft sehe ich mit großer Freude, und auch im Nachwuchsbereich läuft es. Aber die Spanier sind A-Weltmeister, U21-Europameister und U19-Europameister. Manche denken ja, Xavi und Co. werden älter, und es kommt dann nichts mehr nach. Diese Theorie können Sie aber vergessen.

SZ: Aber haben wir zum Ende der EM-Qualifikation nicht die ultimative Waffe gesehen? Mit den blitzschnellen Abwürfen und Abschlägen von Torwart Manuel Neuer müssten doch auch die Spanier zu überfallen sein.

Sammer: Auch da muss ich Sie enttäuschen: Viele denken, die größte Stärke der Spanier sei das Kurzpassspiel. Aber die Spanier haben erkannt, dass sie mit dieser Art des Fußballs irgendwann an Grenzen stoßen. Sie haben sich im Spiel gegen den Ball rasant entwickelt, sie greifen weit vorne an, sie sind insgesamt hervorragend organisiert. Sie lassen sich nicht so einfach überraschen.

SZ: Was kann der deutsche Fußball tun, wenn er 2012 die EM gewinnen will?

Sammer: Für meinen Verantwortungsbereich kann ich sagen: Im Nachwuchs müssen wir die sportlichen Inhalte für das A-Team im Detail noch besser vorbereiten. Die Spieler müssen noch komplexer sein, wenn sie oben ankommen.

SZ: Sie meinen bestimmt die Siegermentalität: Ihr Lieblingsthema.

Sammer: Ich weiß, dass ich gerne auf dieses Schlagwort reduziert werde, ich will mal so antworten: Im Nachwuchsbereich haben wir Marcel Lucassen verpflichtet, einen Individualtrainer für Technik und Taktik, einen Holländer. . .

SZ: . . . einen Holländer?

Sammer: Schauen Sie sich mal Xavi oder Iniesta an: Die sind nicht besonders schnell, aber sie haben eine besondere Technik, sich mit einer Auftaktbewegung vom Gegner abzusetzen. Ich sag' es mal im Trainerdeutsch: Sie bieten sich immer in einer offenen Stellung an, um nach der Ballweitergabe eine Folgeaktion einzuleiten, damit ihr Spiel nie statisch wird. An so etwas arbeitet Lucassen mit unseren Trainern und Spielern.

SZ: Ein Holländer soll den Deutschen helfen, Spanien zu besiegen?

Sammer: Es heißt ja immer: Der Sammer, der liebt die Tradition zu sehr. Trotzdem holt der Sammer einen Holländer, der topmodern arbeitet und unsere Spieler fußballerisch weiterentwickeln soll.

SZ: Wenn man sich die jüngsten Debatten vergegenwärtigt, muss man trotzdem zu dem Schluss kommen: Ihr Lebensthema bleibt die Mentalität.

Sammer: Sie kennen ja die fünf Leistungsvoraussetzungen, die in unserem DFB-Nachwuchs-Leitfaden stehen: Konstitution, Kondition . . .

SZ: . . . Technik, Taktik und Persönlichkeit.

Sammer: Genau. Das sind die fünf Säulen, und wir müssen jede einzelne auf Weltniveau entwickeln. Wir haben 2006 in unseren Leitfaden "Die Seele unseres Spiels" geschrieben: Wir wollen auch Titel gewinnen! Da hieß es: Ihr seid aber mutig, im Jugendbereich spielen Ergebnisse doch keine Rolle! Ich habe dann provokativ gesagt: Okay, dann bilden wir eben konstitutionell, konditionell, technisch-taktische Verlierer aus.

SZ: Ihr These lautet: Ohne fünfte Säule kann man die Spanier nicht bezwingen.

Sammer: Und wissen Sie warum? Die Spanier legen selbst großen Wert auf diese Säule, das wissen die meisten nicht. "Stabile Persönlichkeitsbildung" nennen sie das in Spanien, die haben schon Mitte der Neunziger begriffen, dass die ersten vier Säulen nichts bringen, wenn die fünfte fehlt. Schauen Sie nach Holland: Die haben einen einzigen großen Titel geholt, 1988 bei der EM - diese überragenden Fußballer! Da muss man sich doch fragen, woran das liegt. Aber die Franzosen machen mir Sorgen.

SZ: Warum das denn?

Sammer: Willy Sagnol wird da jetzt Sportdirektor. Wenn der das FC-Bayern-Gen in den französischen Verband bringt und die wieder erfolgsorientierter arbeiten, dann wird es gefährlich, weil sie in jeder Altersstufe über außergewöhnliche Spieler verfügen.

"Nur Mentalität reicht natürlich nicht"

SZ: Über das DFB-Gen müssen Sie sich eher keine Sorgen machen. Die deutschen Nationalspieler sagen alle: Wir wollen einen Titel gewinnen.

Sammer: Ich bin vor zwei, drei Jahren für solche Sätze noch heftig kritisiert worden, und jetzt sagen die Neuers, Özils, Khediras, Müllers und so weiter das mit völliger Selbstverständlichkeit. Da geht mir schon das Herz auf.

SZ: Zumal das "Ihre" Spieler sind, die 2009 unter Trainer Horst Hrubesch die U21-EM gewonnen haben. Sind Sie der Mentalitäts-Lieferant der A-Nationalelf?

Sammer: Es liegt mir fern, über eigene Verdienste zu sprechen. Mentalitätsentwicklung ist eben ein Prozess. Ich sehe das auch in meiner Biographie. Was, glauben Sie, war wohl mein wichtigster Titel?

SZ: Der EM-Titel 1996?

Sammer: Falsch.

SZ: Die Meisterschaft mit Dortmund 2002, mit dem Jungtrainer Sammer?

Sammer: Mein wichtigster Titel war die U18-Europameisterschaft 1986, das 3:1 der DDR gegen Italien. Da habe ich zum ersten Mal gespürt, wie sich großes Gewinnen anfühlt. Das löst etwas aus in dir, da sagt man sich: Das willst du wieder haben! Siehe Spanien: Ob Xavi, Iniesta, Puyol oder Torres, sie alle haben im Nachwuchsbereich Titel geholt.

SZ: Mit anderen Worten: Joachim Löw kann sich den Luxus leisten, mit Sammer-Mentalität versehene Jungprofis in seine funktionierende A-Elf einzubauen.

Sammer: Nur Mentalität reicht natürlich nicht. Ich glaube, dass beide Seiten zum Wohle des DFB voneinander profitieren. Die Spielidee, die wir gemeinsam erarbeitet haben, die wird in der A-Elf natürlich von Jogi Löw geprägt. Für den Nachwuchsbereich ist es extrem wichtig, eine A-Nationalmannschaft zu haben, die man sich zum Vorbild nehmen kann. Gleichzeitig versuchen wir, die Spieler so auszubilden, dass sie Jogi Löw weiterhelfen - mit der Unterstützung aller Nachwuchstrainer in Deutschland.

SZ: Wer Joachim Löw gegen die Türkei coachen sah, hat sich gewundert: Er war emotional wie in einem WM-Finale. Man könnte sagen: Das war Siegermentalität.

Sammer: Günter Netzer hat in einer Kolumne geschrieben, er sei beim ersten Tor aufgestanden und habe geklatscht. Ich applaudiere bei was anderem: Ich applaudiere, wenn ich einen Trainer so agieren sehe wie Jogi Löw gegen die Türkei. Er hatte eine gute Mischung zwischen offensivem und defensivem Coaching.

SZ: Man hat Sie noch nie von Joachim Löw schwärmen hören . . .

Sammer: . . . das stimmt nicht, wenn ich was Positives gesagt habe, dann hat das die Öffentlichkeit meistens nur nicht interessiert.

SZ: Gibt es die Bruchstelle Sammer-Löw nicht mehr?

Sammer: So wie sie dargestellt wurde, gab's diese Bruchstelle nie. Wir hatten natürlich auch mal Auseinandersetzungen. Aber ich nenne das Streitkultur - es ging immer um Inhalte, und daraus ist jetzt ein sehr gutes Verhältnis erwachsen. Joachim Löw ist in seiner Rolle auch sehr wichtig für mich.

SZ: Inwiefern?

Sammer: Weil die Art und Weise, wie er seinen Beruf lebt, nach unten ausstrahlt. Ein Beispiel: Wir haben im Nachwuchsbereich gerade ein Plakat entwickelt, mit sechs Schwerpunkten. Da steht oben drüber: Ich spiele für Deutschland! Dann kommen drei kleine Unterpunkte, unter anderem "emotional". Und genau in dem Moment, in dem wir dieses Plakat erstellen, kommt der oberste Trainer des Landes und lebt diese positive Emotionalität vor. Besser geht's doch gar nicht!

SZ: Wo kommen diese Plakate hin?

Sammer: Die hängen von der U15 bis hinauf zur U21 unter anderem in der Kabine oder auch im Massage- und Besprechungsraum.

SZ: Da werden viele sagen: Jetzt übertreibt er's aber, der Sammer.

Sammer: Hoffentlich sagen die Leute das, bei der guten Entwicklung im Moment dürfen die das sagen (lacht). Und die Nationalhymne ist ein weiteres Thema.

SZ: Jetzt übertreibt er's aber erst recht.

Sammer: Lassen Sie mich erklären, was ich damit meine. Ich möchte, dass die Trainer der U-Mannschaften vorgeben, dass die Nationalhymne gesungen werden soll. Wir wissen aber auch, dass wir sensibel sein müssen, weil wir viele Spieler mit Migrationshintergrund haben - falls die aus welchen Gründen auch immer ein Problem damit haben, dann sollen sie uns das erklären, damit auch wir lernen, sie zu verstehen.

SZ: Sie wollen die Spieler zur Selbständigkeit erziehen.

Sammer: Zum Subjekt des Prozesses, richtig, darum geht es. Wenn ein Spieler kommt und sagt: Ich habe ein Problem mit meiner Familie, dann können wir darüber reden. Solche Prozesse wollen wir in Gang bringen.

SZ: Hat ein Spieler künftig noch die Chance, ohne Singen U-Nationalspieler zu werden?

Sammer: Wenn er eine verständliche Begründung dafür hat, dann natürlich. Es ist letztlich schon wichtiger, ein guter Spieler als ein guter Sänger zu sein.

SZ: Glauben Sie, dass man mit Singen die Spanier beeindrucken kann?

Sammer: Bitte nicht falsch verstehen: Bei vielem, was wir tun, geht es nicht um messbare Auswirkungen aufs Spiel. Beim Thema Persönlichkeitsentwicklung ist die Hymne ein Punkt unter ganz vielen anderen - es geht einfach darum, zu reflektieren und stolz zu sein, für Deutschland zu spielen. Ich bin überzeugt davon, dass es Aufgabe des Nachwuchsbereiches ist, die fünfte Säule zu bearbeiten.

"Ohne Struktur und Hierarchie in einer Mannschaft ist alles nichts"

SZ: Die leidige Führungsspieler-Debatte. Macht die Ihnen wirklich noch Spaß?

Sammer: Meine Erfahrung ist einfach, dass nicht alle Menschen, nicht alle Spieler gleich sind. Eine komplett flache Hierarchie widerspricht jeglicher Realität, wir dürfen nicht alle Spieler über einen Kamm scheren. Auch deshalb arbeiten wir im DFB-Nachwuchsbereich seit 2008 mit festen Kategorisierungen. Wir unterscheiden in Führungsspieler, Teamspieler und Individualisten.

SZ: Führungsspieler wären Philipp Lahm und Bastian Schweinsteiger, Teamplayer wären Sami Khedira oder Sven Bender . . .

Sammer: . . . ja, unter anderem, wobei beide in ihren U-Teams Führungsspieler waren.

SZ: Der Individualist wäre Mesut Özil.

Sammer: Und deshalb brauchen wir eine gesunde Mischung. Den Individualisten machen wir kaputt, wenn wir ihn mit einer Verantwortung für die Mannschaft belasten. Wir müssen Freigeister wie zum Beispiel Özil ihre Kreativität ausleben lassen, und sie müssen wissen, dass ihre Art zu spielen von der Mannschaft ausdrücklich gewollt ist. Der Teamgeist muss alle drei Kategorien von Spielern am Ende wieder zusammenführen.

SZ: Wie früher, als sich die Individualisten Littbarski oder Häßler auf den Teamplayer Buchwald oder den Führungsspieler Matthäus verlassen konnten.

Sammer: Und im Gegenzug haben Littbarski und Häßler auch Spiele für uns entschieden. Die waren unglaublich wichtig! Vor ein paar Jahren gab's solche Spieler gar nicht mehr im deutschen Fußball, wahrscheinlich hatten wir deshalb das Gefühl, dass alle irgendwie gleich sind. Aber jetzt wird Individualität wieder anerkannt! Dass es mit Özil und Khedira zwei grundverschiedene Typen bis zu Real Madrid geschafft haben, empfinde ich auch als Sieg für die Strukturen in unserem Nachwuchsfußball.

SZ: Die Legende besagt, dass der Führungsspieler Franz Beckenbauer bei der WM 1974 nach der Niederlage gegen die DDR den Individualisten Gerd Müller um Rat gefragt hat und dass der dann gesagt hat: Der und der Spieler muss raus, der und der Spieler muss rein. Beckenbauer soll dann zum Trainer Helmut Schön gegangen sein und gesagt haben: Der Gerd meint, dass . . . Wie passt das in Ihr Bild?

Sammer: Wenn die Legende stimmt, dann passt sie hervorragend. Die Botschaft wäre, dass der Führungsspieler Beckenbauer stark und souverän genug war, sich die Meinung von Gerd Müller und anderen Spielern anzuhören. Er hat erkannt, dass seine Mitspieler in diesem Moment vielleicht ein besseres Gespür für die Mannschaft hatten. Aber entscheiden muss dann natürlich der Trainer.

SZ: Bundestrainer Löw spricht inzwischen ganz selbstverständlich über Hierarchien und Führungsspieler, so hat man das von ihm früher nie gehört. Steckt da unbewusst ein Stück Sammer drin?

Sammer: Um Gottes Willen, das würde ich nie behaupten. Ich stelle nur fest, dass im Moment nur noch über die Art und Weise der Führung diskutiert wird, nicht mehr über ihre Existenz. Die wird anerkannt, auch in anderen Lebensbereichen wie zum Beispiel der Wirtschaft. Ich kann Ihnen aus meiner Erfahrung als Spieler, Trainer und Sportdirektor einfach nur sagen: Ohne Struktur und Hierarchie in einer Mannschaft ist alles nichts.

SZ: Vielleicht ist in der ganzen Debatte einfach der Begriff das Problem. "Führung" klingt unangenehm nach deutscher Geschichte, und bei "Führungsspieler" denkt man an Stefan Effenberg, der sich dafür rühmen lässt, David Beckham umgetreten zu haben. Oder an Lukas Podolski, der Michael Ballack ohrfeigt, weil er diese Art von Führung nicht mehr erträgt.

Sammer: Ich denke da eher an Fritz Walter, den ich leider nur mal kurz kennenlernen konnte. Der hat ja auch in dem 1954er-Film, den wir alle sehen durften, viel von dem verkörpert, was auch zur heutigen Spieler-Generation passt: enger Draht zum Trainer, Kritik intern geäußert, beim Spaziergang persönliche Gespräche geführt. Das verstehe ich auch unter "Führungsspieler". Aber vielleicht ist der Begriff tatsächlich missverständlich, darüber werden wir mal nachdenken.

SZ: Es wäre ein mutiger Schritt, den Begriff "Führungsspieler" abzuschaffen. Sie würden Ihr eigenes Denkmal abschaffen.

Sammer: Sehen Sie, das ist genau falsch. Ich habe nie öffentlich für mich in Anspruch genommen, dass ich ein Führungsspieler war. Meine Trainer haben das von mir eingefordert.

"Der Berti wird schimpfen, wenn er das liest"

SZ: 1996 hat die Mannschaft aber auch dank Ihnen die Europameisterschaft gewonnen. War dieser bisher letzte deutsche Turniersieg ein Sieg der fünften Säule?

Sammer: Es ist kein Geheimnis, dass die 1994er-Mannschaft individuell vielleicht besser war, aber 1996 hatten wir unglaubliche Persönlichkeitsprofile in unserem Kader. Das war sicher mit entscheidend. Andy Köpke: ein souveräner Vertreter im Tor. Hinten: Verletzt sich Kohler nach elf Minuten, es kommt Babbel und spielt, als wäre nix gewesen. Daneben Helmer mit seinen zwei Kniebandagen, die Bayern-Linie, klare Führung. Daneben ich, ich habe mich auch bemüht, ein bisschen mitzuhelfen.

SZ: Herr Sammer, nicht so bescheiden! Sie waren der beste Mann!

Sammer: Also, ich habe auch mitgeholfen. Dann Reuter, Ziege, wieder klare Orientierung, Häßler, Möller, Eilts, Scholl, und so ging das bis nach vorne, bis zu Klinsmann, Bierhoff, Kuntz. Jeder Einzelne hat auf seine Art zum Team beigetragen. Und Trainer Berti Vogts hat das auch hervorragend gemacht: Er hat ins Team reingehorcht, er hat uns Verantwortung übertragen, mit ausgewählten Spielern Gespräche geführt . . .

SZ: . . . also mit Ihnen . . .

Sammer: . . . ja, aber auch mit Jürgen Klinsmann, Thomas Helmer und anderen.

SZ: Der Star ist die Mannschaft?

Sammer: Eben nicht! Das war ja das Fatale an diesem Turniersieg: Dass Berti Vogts diesen Slogan geprägt hat und dass dieser Slogan sich dann verselbständigt hat. "Der Star ist die Mannschaft" war die völlig falsche Botschaft für den deutschen Fußball und für alle Nachwuchstrainer, weil dieser Spruch eben nahelegt, dass alle gleich sind.

SZ: Kennt Berti Vogts Ihre Meinung?

Sammer: Ja klar, der Berti wird schimpfen, wenn er das jetzt wieder liest. Er wollte damals nur an den Teamgeist appellieren, weil im Finale so viele Gesperrte und Verletzte fehlten, das war in der Situation auch in Ordnung. Der Star ist aber nicht die Mannschaft! Wenn wir im Nachwuchsbereich nicht die Individualität des Einzelnen anerkennen würden, hätten wir heute keine Özils und keine Götzes.

SZ: Was fehlt denn jetzt noch, um die Spanier zu besiegen?

Sammer: Unabhängig von Spanien: Ich glaube, dass wir uns noch detaillierter Zeit für die Basiselemente nehmen müssen. Wir haben zwei WM-Halbfinals durch Ecken verloren, die A-Elf gegen Spanien, die U17 zweimal gegen Mexiko. Wenn unsere Nachwuchsteams in wichtigen Spielen Elfmeter bekommen, dann fang' ich an zu zittern (schmunzelt).

SZ: Das Argument, auch in der Liga, ist ja immer: Wir müssen so viel Taktik trainieren, da bleibt für Banales keine Zeit.

Sammer: Ich habe bei unserer Trainertagung gerade gesagt, dass ich im Training unserer U-Mannschaften künftig wieder Eckbälle, Freistöße und Elfmeter sehen möchte. Dann hängt man halt noch eine Viertelstunde hinten dran.

SZ: Können Sie sich an zwingende Standards der A-Nationalelf erinnern?

Sammer: Die A-Elf beurteile ich nicht, ich bin da auch im Training und bei Sitzungen nicht dabei. Ich kann nur für den Nachwuchs sprechen, und da muss ich selbstkritisch sagen: In diesem Bereich haben wir nicht zusätzlich gearbeitet.

SZ: Fassen wir also zusammen: Die fünfte Säule stimmt inzwischen, die ersten vier funktionieren sowieso, jetzt noch ein bisschen Standard-Training, und dann ist Spanien fällig. Oder?

Sammer: Wissen Sie was? Ich finde, wir sollten allmählich aufhören, über Spanien zu sprechen. Als Orientierung auch für unsere Nachwuchsarbeit war Spanien wichtig, aber jetzt müssen wir unsere eigene Qualität in den Vordergrund stellen und unsere eigene Identität finden.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: