Matthias Ginter bei U-21-EM:Schweres Gepäck

Germany U21 - Training & Press Conference

Matthias Ginter: Geprägt von einer schwierigen Saison

(Foto: Bongarts/Getty Images)
  • Hinter Matthias Ginter liegt eine enttäuschende Saison mit Verletzungen und Degradierung.
  • Er lernte bei Dortmund erstmals die Schattenseiten einer Profikarriere kennen.
  • Bei der U-21-EM will er nun zeigen, dass er kein One-Hit-Wonder ist.
  • Das Auftaktspiel gegen Serbien gibt es ab 20.45 Uhr im Liveticker von SZ.de.

Von Matthias Schmid, Prag

Die Abendsonne taucht die Gegengerade des Prager Letna-Stadions in ein selten schön schimmerndes orangefarbenes Licht. Ein paar Strahlen illuminieren am Dienstagabend auch Matthias Ginters Gesicht, als er sich für das Abschlusstraining in der Arena von Sparta Prag mit lustigen Verrenkungen präpariert. Ginter hat viel Spaß beim Aufwärmprogramm, er kann sich sogar an den bei Kickern eher ungeliebten Dehnübungen erfreuen.

Ginter weiß: Für ihn könnten die nächsten Wochen endlich wieder schön werden, bei dieser U-21-EM in Tschechien. Und Ginter hat ein wenig Seelenheil dringend nötig.

Beim Auftaktspiel der Deutschen gegen Serbien an diesem Mittwoch (20.45 Uhr im SZ-Liveticker) wird er recht wahrscheinlich in der Innenverteidigung neben dem Wolfsburger Robin Knoche beginnen und die Nationalhymne auf dem Rasen erleben. "Ich brenne auf das Spiel", sagt Ginter. Es ist fast ein ganz neues Gefühl für ihn nach einer bleiernen Zeit mit Verletzungen, Degradierung und Enttäuschungen bei Borussia Dortmund. Die U-21-EM ist ein Neuanfang für den 21-Jährigen. Hier könnte er eine Saison vergessen machen, die für ihn zum Vergessen war.

Matthias Ginter hat innerhalb von einem Jahr erleben müssen, wie schnelllebig der Profifußball sein kann, wie schmerzvoll und brutal. Vor einem Jahr stand Ginter in Salvador nach einer auffälligen Bundesligarunde mit Freiburg vor dem ersten WM-Spiel der deutschen Mannschaft gegen Portugal abseits des Rasens und sang die Nationalhymne mit. Ein paar Wochen später durfte er in Rio de Janeiro sogar den WM-Pokal in den Nachthimmel wuchten, er durfte sich als jüngstes Mitglied als Weltmeister feiern lassen, auch wenn er nicht eine Minute gespielt hat.

Was danach geschah? Ist nur schwer zu rekapitulieren. Ein Versuch: Er begann nach seinem Wechsel zu Dortmund früher mit dem Training als alle anderen Nationalspieler, freiwillig. Er stand gleich im ersten Saisonspiel gegen Leverkusen in der Startelf, doch schon nach neun Sekunden schoss ihm Karim Bellarabi den Ball durch die Beine und Augenblicke später ins Tor - der schnellste Treffer der Bundesligageschichte, ermöglicht durch einen Ginter-Patzer. Sein persönlicher Horrorfilm hatte damit erst begonnen: ein Eigentor gegen Mainz, eine Slap-Stick-Nummer mit Torhüter Roman Weidenfeller gegen Frankfurt, die zum Gegentor führte. Dann stürzte der BVB ab.

Hrubesch hilft

Als sich die Dortmunder in der Rückrunde wieder mühsam aus ihrem Schlamassel befreiten, saß Ginter auf der Bank, war verletzt oder spielte in der zweiten Mannschaft, weil er an Mats Hummels, Neven Subotic oder Sokratis nicht vorbeikam. Nur neunmal stand er in der Startformation. Mal als Innenverteidiger, mal als zentraler, defensiver Mittelfeldspieler. Die zehn Millionen Euro, die Dortmund für ihn nach Freiburg überwiesen hatte, schienen eine Bürde für den zurückhaltenden, fast schüchternen Jungen zu sein, ein unsichtbarer Rucksack, prall gefüllt, der ihn bei jedem Schritt noch ein wenig weiter nach unten zog.

In Prag hat er ihn abgelegt, vielleicht auch mit der Hilfe von Horst Hrubesch. Der Cheftrainer der U 21 sieht in seinen hochbegabten Jünglingen nicht nur die glänzenden Fußballer, sondern vor allem die Menschen. "Bei uns geht es darum, dass wir ehrlich miteinander umgehen und miteinander leben", sagt der frühere Weltklassespieler. Er fühlt sich wohl in der Rolle des großen Bruders und Verständnisvollen. Vor allem für die Problemgeschwister. Er verlasse sich auf seine Spieler und sie könnten sich auf ihn verlasen, bekennt Hrubesch. "Ich bin da noch nie enttäuscht worden."

Seine Fürsorge geht so weit, dass er sogar zu ihnen reist, um sich ihre Sorgen anzuhören. So hatte er sich beispielweise aufgemacht nach Stuttgart, um Moritz Leitner moralisch wieder aufzubauen, weil dieser beim VfB seinen Stammplatz auf der Tribüne hatte. "Ich habe überhaupt kein Problem damit, weiter zu ihm zu stehen", sagt Hrubesch über den Mittelfeldspieler.

Das gleiche hätte er auch über Ginter sagen können. Intern hat er das wohl gemacht. Denn wer Ginter in den Tagen von Prag erlebt, begegnet wieder einem jungen, selbstbewussten Mann, der sich zur prägenden Figur aufschwingen will bei dem Turnier. Er möchte seinen Mitspielern helfen, "ich will versuchen, mit meiner Erfahrung voranzugehen und Verantwortung zu übernehmen," sagt der gebürtige Freiburger. Aus seinem Mund klingt diese Ansage so forsch und ungewohnt, als ob er einen Rhetorikkurs bei Lothar Matthäus belegt hätte.

Nur über eines möchte Ginter nicht sprechen. Über ein angebliches Angebot von Borussia Mönchengladbach. Er verstehe ja die Frage, entgegnet er, "aber von meiner Seite gibt es zu keinem Verein etwas zu sagen." Er will sich ausschließlich der EM widmen. Es ist sein Schaufenster. Um zu zeigen, dass er zu recht in Brasilien dabei war. Er will beweisen, dass er kein One-Hit-Wonder ist, bei denen man sich später ständig fragt, was wohl aus ihnen geworden ist.

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