Die gute alte Pferdesalbe hat zu Unrecht schon lange keine Erwähnung mehr gefunden, wenn es ums Lindern von Schmerzen bei Fußballspielern geht. Das Zeug wärmt das Gewebe und umschmeichelt malade Muskeln. Neben dem Eisspray hat es im Fußball eine steile Karriere hingelegt, und wahrscheinlich haben sich auch Mats Hummels und Jérôme Boateng in Madrid eine Ladung der Creme gegönnt. Oder haben sie einen Wunderheiler konsultiert? Einen Druiden mit weißem Rauschebart?
Überliefert ist nur: Beide absolvierten das 2:4 im Estadio Santiago Bernabéu stehend auf zwei Haxen und mussten nicht etwa in den Mannschaftsbus getragen werden. Dass sie nach ihren diversen Verletzungen zuvor überhaupt mitspielten - und vor allem, wie sie mitspielten -, verlangte selbst den Hartgesottensten Respekt ab. Vielleicht haben beim FC Bayern, wo ein gewisser Oliver Kahn einst das Credo "Eier, wir brauchen Eier" predigte, in dieser Schmerzensnacht tatsächlich zwei seiner Nachfolger ihr Titanen-Diplom abgelegt.
Hummels etwa konnte mit seinem zuvor umgeknickten Fuß bis einen Tag vor dem Rückspiel in Madrid kaum seriös sprinten - als es gegen Ronaldo, Benzema und den Rest der königlichen Raser ging, war er aber da. Hummels verteidigte. Und wie. Obwohl er sichtlich humpelte und rumpelte, flickte und stopfte der Innenverteidiger Löcher, wo es ging. Er grätschte an der Mittellinie, er flog in einen Kanonenschuss von Toni Kroos, der seinen Weg ins Tor gefunden hätte. Er fischte Gegnern Bälle vom Fuß, einmal sogar Reals Mittelfeldspieler Luka Modric, der so gut wie noch nie in seinem Leben einen Ball verloren hat.
"Jérôme und ich sind weit über die Schmerzgrenze gegangen"
"Wir haben alles auf den Platz geworfen, was wir zur Verfügung hatten", sagte Hummels hinterher. Dass dazu konstante Selbstüberwindung nötig war, bekamen alle Beobachter mit. Hummels' Zuspielen wohnte jenes Flattern inne, das verriet: Hier spielt einer, der gegen Mainz, Ingolstadt oder beim Paulaner Cup sicher nicht dabei wäre. "Jérôme und ich haben das ausgeblendet und sind weit über die Schmerzgrenze gegangen", erzählte Hummels noch, er habe sich selbst gewundert, wie das funktionierte. Wohl eine Mischung aus Pferdesalbe, erlaubten Schmerzmitteln und Wille, mindestens.
Ebenso deutlich trat in diesem Rückspiel die körperliche Versehrtheit bei Boateng zum Vorschein. Beim sonst so dynamischen, vor Wucht strotzenden Innenverteidiger schwanden ab dem Seitenwechsel die Kräfte. In der zweiten Halbzeit beugte er sich bald im Minutentakt nach vorne, fasste sich an die Muskulatur, trabte nur mehr. Und trotzdem blockte auch er ein Kroos-Geschoss. Trotzdem rannte er Bälle vor Ronaldo ab. Trotzdem stand er immer wieder auf, wenn doch Liegenbleiben aus medizinischer Sicht wohl die vernünftigste Variante gewesen wäre. Es waren Bilder, die bleiben - Momente, von denen man sich noch lange erzählen wird.
"Es ist schon brutal, wenn man sieht, was wir alles reingehauen haben", fand Thomas Müller, der spät ins Spiel gekommen war. Nicht etwa für Hummels oder Boateng, die sich die vollen 120 Minuten durchtankten, wie es so schön heißt. Sondern für Mittelfeldspieler Xabi Alonso, dessen Auswechslung den Münchnern leider erneut ihre Stabilität raubte. "Männerfußball" sei das gewesen, ereiferte sich der emotional aufgeladene Müller. Auch Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge ließ neben seinem Ärger auf den Schiedsrichter ("Wir wurden beschissen, ich fühle große Wut!") salbungsvolle Worte verlauten: "Ich ziehe meinen nicht vorhandenen Hut vor diesen Spielern."
Dass auch Stürmer Robert Lewandowski seine lädierte Schulter kompromisslos in jedes Duell mit Sergio Ramos keilte und Nationaltorhüter Manuel Neuer die Schlussminuten mit gebrochenem Fuß (er fällt acht Wochen aus) durchstand, verdeutlichte den Eindruck: Es gab in dieser Nacht der Niederlage einiges, auf das die Bayern stolz sein können. Die Ahnengalerie der Schmerzensmänner, aus der verwundete Durchhalter wie Schweinsteiger (Veilchen, Platzwunde, Knöchel), Beckenbauer (Schlinge um den Arm) oder Dieter Hoeneß (Turban) grüßen, ist nun um einige Bayern-Spieler reicher.