Cunha verlässt Hertha BSC:Weit weg von Big City

Lesezeit: 4 min

Nach seinem Auftritt in Köln bezeichnete Trainer Dardai Cunha als "Spaziergänger". (Foto: Revierfoto/imago)

Seine Tore halfen Hertha BSC zweimal beim Klassenerhalt, nun wechselt Matheus Cunha für mutmaßlich 30 Millionen Euro zu Atlético Madrid. Der Klub muss sich im Sturm neu aufstellen - und hat einen Spieler vom FC Basel im Blick.

Von Javier Cáceres, Berlin

Am Dienstag schien die Sonne über Berlin, am Exerzierplatz der Hertha auf dem Olympiagelände herrschte feinstes Fußballwetter. Doch als der dort beheimatete Bundesligist die Vorbereitungen auf die kommende Aufgabe in Angriff nahm - das am Samstag anstehende Auswärtsspiel beim FC Bayern München -, bei dem die ersten Punkte der Saison erzielt werden sollen, fehlte ein Mann, der gemeinhin als der talentierteste Profi der Berliner angesehen wird: der Brasilianer Matheus Cunha, 22, Olympiasieger und Stürmer der Seleção.

Cunha, 22, war auf dem Weg in die spanische Hauptstadt, um sich Atlético Madrid anzuschließen. Nach seiner Landung am frühen Nachmittag sollte er den obligatorischen Medizincheck absolvieren und danach beim spanischen Meister einen neuen Arbeitsvertrag unterzeichnen. Dem Vernehmen nach wurde eine Ablösesumme von rund 30 Millionen Euro vereinbart. Eine offizielle Bestätigung beider Vereine stand am Dienstagnachmittag noch aus. Doch daran, dass die einst ambitioniert gestartete, zuletzt von schrillen Misstönen begleitete Liaison zwischen Cunha und Hertha ein Ende gefunden hatte, bestand schon vor der Abreise des Brasilianers kein Zweifel mehr.

Als sich Cunha der Hertha anschloss, investierte der Klub in teure Spieler

Cunha war im Winter 2020 aus Leipzig nach Berlin gekommen. Dort hatte er sich zwar nicht etablieren können; es reichte aber bei spärlichen Einsätzen für ein brillantes "Tor des Jahres" und zur Nominierung für die von der Fifa ausgelobte Trophäe für schöne Tore, die den Namen eines Ungarn trägt: Ferenc Puskas. In jenem Winter war Cunha einer der Namen, die für die neue Hertha-Epoche standen: Als er ankam, war er Torjäger der Südamerika-Qualifikationsgruppe für die Olympischen Spiele geworden, eine Berufung ins A-Team durch Nationaltrainer Tite folgte. Parallel dazu investierte Hertha einen guten Teil der mittlerweile 375 Millionen Euro, die Investor Lars Windhorst in den Klub gesteckt hat, in Spieler wie Lucas Tousart, Santiago Ascacíbar und den derzeit verletzten Krzysztof Piatek.

MeinungHertha BSC
:Reich zu sein, ist auch nicht leicht

Hertha BSC hat schon viele, viele Millionen seines Investors geopfert - und gleicht dabei einem neureichen Provinz-Millionär, der beim unbedarften Einkaufen überall ausgenommen wird.

Kommentar von Philipp Selldorf

Der Brasilianer soll seinerzeit mit 18 Millionen Euro zu Buche geschlagen haben und erweist sich nun zumindest als lohnende Investition, denn Hertha hat offenkundig einen Mehrerlös erzielt. "Ich bin supermotiviert, für Atletico zu spielen", sagte Cunha am Dienstag, "es tut mir sehr leid um die Hertha-Fans. Sie waren phänomenal." Deren Traum von der Hertha als "Big City Club" - ein Aphorismus des Investors - ließ sich bislang nicht erfüllen. So wenig Aussagekraft die aktuelle Tabelle noch hat - so ist Hertha doch die einzige Mannschaft der Liga ohne Punkt und damit Tabellen-18.

In den beiden Spielzeiten, in denen Cunha zum Einsatz kam, war Hertha bereits unter wechselnden Trainern nur knapp am Abstieg vorbeigeschrammt. Für den Verbleib sorgten unter anderem die Tore des Brasilianers - und nicht unwesentlich die Treffer eines weiteren Spielers, der von Hertha gewinnbringend verkauft wurde: Jhon Córdoba, der in Russland in fünf Spielen für FK Krasnodar vier Tore erzielt hat (und in der vergangenen Spielzeit in 21 Spielen auf sieben Tore kam). Er schaffte es mit einer Ablöse von 20 Millionen Euro hinter Cunha und Valentino Lazaro (22 Millionen/Inter Mailand) in die Top drei der einträglichsten Verkäufe Herthas.

Immerhin ein guter Schnitt: Mit dem Wechsel von Cunha (Mitte) zu Atlé (Foto: imago/ActionPictures)

Dass Cunha gehen würde (und nun bei Trainer Diego Simeone an der Seite von Luis Suárez als zweite Spitze von Atlético agieren soll), zeichnete sich schon länger ab. Nun kam Tempo in die Angelegenheit. Denn nach seiner Rückkehr von den Spielen in Tokio - wo er im Finale gegen Spanien mit dem Führungstor den Grundstein für den Gewinn der Goldmedaille legte - eskalierte die nicht immer reibungsfreie Lage bei Hertha vollends.

Nach der 1:3-Auftaktpleite in Köln warf Trainer Pal Dardai, 45, dem Brasilianer vor, am Rhein "spazieren" gegangen zu sein und damit die Niederlage wesentlich heraufbeschworen zu haben. Das war eine neue Qualität in den schon immer vorherrschenden Debatten um die angebliche taktische Disziplinlosigkeit Cunhas. Gegen Wolfsburg strich Dardai den Brasilianer aus dem Kader, die Partie ging verloren. Derweil wurde intensiv am Transfer nach Madrid gearbeitet, der im Gesamtbild wie eine Rückabwicklung der Big-City-Pläne wirkt.

Später folgten fast nur gestandene Profis - einige kämpfen mit Verschleißerscheinungen

Mit Ausnahme von U21-Nationalspieler Marco Richter (FC Augsburg) holte die Hertha fast ausnahmslos gestandene Profis, die den Berlinern im letzten Jahr fehlten; einige aber müssen möglicherweise mit Verschleißerscheinungen kämpfen. Das gilt für den feinfüßigen Stevan Jovetic, 31, der eine Reihe von Verletzungen hinter sich hat, und erst recht für den verlorenen Sohn Kevin-Prince Boateng, der nun als 34-Jähriger an die Stätte seines Profidebüts zurückgekehrt ist.

Der Topeinkauf war bislang Suat Serdar (FC Schalke 04), am Montag wurde nun die Verpflichtung von Stürmer Ishak Belfodil verkündet. Der Algerier gilt an guten Tagen als Kopie des französischen Nationalspielers Karim Benzema, doch Beständigkeit war bislang nicht so die Sache von Belfodil, 29. Sein bislang letzter Klub, die TSG Hoffenheim, war bereits die dreizehnte Station seit seinem ersten Berufsfußballereinsatz in Frankreich, im letzten Jahr kam er auf nur einen Startelfeinsatz. Im Gespräch ist auch der Brasilianer Arthur Cabral vom FC Basel, ein klassischer Neuner, der gerade einen außergewöhnlichen Lauf hat. Der 23-Jährige hat in neun Spielen bereits vierzehn Tore und sechs Assists geliefert - nach SZ-Informationen taxieren die Schweizer den Wert des Spielers auf 15 Millionen Euro.

Talentiert, aber etwas unbeständig: Zugang Ishak Belfodil, 29. (Foto: Philippe Ruiz/imago)

Gleichzeitig hat sich Hertha von einer Reihe von begabten Absolventen der eigenen, renommierten Akademie getrennt oder trennen müssen. Arne Maier, 22, der in der deutschen U21-Auswahl teilweise überragende Leistungen geboten hat, versucht sich beim FC Augsburg; Linksverteidiger Luca Netz, 18, der im vergangenen Jahr zu Herthas jüngstem Bundesligadebütanten überhaupt wurde, wechselte nach Mönchengladbach; es halten sich Gerüchte über ein Interesse von englischen Klubs und Atalanta Bergamo an Innenverteidiger Jordan Torunarigha, 24. Er konnte am Dienstag in der Stuttgarter Zeitung lesen, dass Hertha gerne Marc-Oliver Kempf holen würde. Im Gegensatz zu Cunha war Torunarigha am Dienstag auf dem Trainingsplatz, an dem ein Banner mit dem Klubmotto aufgehängt ist: "Die Zukunft gehört Berlin."

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

FC Bayern verlängert mit Kimmich
:Auf dem Häuschen

Während der FC Bayern die Vertragsverlängerung mit Joshua Kimmich stolz als Beweis seiner internationalen Wettbewerbsfähigkeit interpretiert, registriert der Klub leicht pikiert die Pfiffe gegen Leroy Sané.

Von Sebastian Fischer

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: