Golf:Herr Woods sucht seinen Ball

Tiger Woods takes off his hat after he hits out of a bunker on the second hole in the first round of the 2020 Masters g

„Manchmal mussten wir den Kameramann auf dem Platz fragen, wo der Schlag hinging": Tiger Woods in Augusta.

(Foto: Kevin Dietsch/Imago/UPI Photo)

Das stillste aller stillen Sportevents: Die geräuschlose Kulisse beim US Masters ohne Zuschauer beschäftigt die Profis - und beeinflusst ihr Spiel.

Von Gerald Kleffmann

Der Schlag war ganz wunderbar. Mit einem Eisen-Schläger beförderte Tiger Woods den Ball aufs Grün der neunten Bahn. Der Ball landete auf der Gegenwelle, Rückwärts-Spin setzte ein, er rollte zurück. Birdie-Chance auf der Par-4-Bahn. Normalerweise wäre da Jubel im Augusta National Golf Club aufgebrandet, so ekstatisch, dass man ihn wohl in Georgias Hauptstadt Atlanta gehört hätte. Aber diesmal? "Das ist seltsam", sagte Tiger Woods, wie US-Reporter vernahmen, in jenem Moment zu seinem Caddie Joe LaCava. Alles, was zu ihm drang, waren fünf, sechs Klatscher. Von Menschen, die auf der Anlage arbeiten. Ansonsten: Stille. Als wäre das 84. Masters auf "mute" gestellt worden und Augusta ein Yoga-Studio: Ton aus, konzentrieren, bitte - om!

Selbst Woods, der 1997 seine Ausnahmekarriere mit dem ersten seiner fünf Titel in Augusta begann, der 2019 unter "Tiger"-Rufen an selber Stelle seinen 15. Major-Pokal gewann, der alles erlebte und der am meisten beobachtete Profi der Golfhistorie ist, hat so etwas noch nie erfahren - schon gar nicht an diesem speziellen Ort seines Sports.

Beim Fußball, beim Basketball, beim Handball dröhnen ja auch ohne Fans immer noch die Emotionen und Ausrufe der Sportler in die Fernsehzimmer, man weiß jetzt zum Beispiel, dass Thomas Müller auf dem Rasen so viel redet, wie man es ahnte (aber er ist auch da sehr unterhaltsam dabei, klar). Aber Golfer reden nicht viel auf ihrer Runde. Vor allem brüllen sie nicht. Ob es ein stilleres Sportevent gerade irgendwo gibt? Sehr zu bezweifeln.

Dass der Sound im Hintergrund fehlt, hatte die Spieler schon vorab beschäftigt. Weil das Arbeitsumfeld das Empfinden und damit die Leistung beeinflusst. "Wir alle werden diese Energie der Menge vermissen", hatte Woods gemutmaßt. So ist es gekommen. Sie vermissen die "Roars", die Aufschreie, wenn irgendwo jemand einen grandiosen Schlag fabriziert hat und sich selbst erfahrene TV-Kommentatoren wundern: Was war da los?

Jetzt hat Woods Mühe, manchen Ball wiederzufinden, weil Tausende Fans fehlen, die auch Augenzeugen sind. "Manchmal mussten wir den Kameramann auf dem Platz fragen, wo der Schlag hinging, weil wir es nicht wussten", erzählte er. Eine ulkige Vorstellung: Wie Woods herumfragt: "'Tschuldigung, haben Sie meinen Ball gesehen?" So was machen sonst nur Hobbyspieler.

"Dankbar, hier zu sein"

Nun sind zwar die Profis seit Monaten ihre zuschauerlose Arbeit auf den Touren in den USA und Europa gewohnt, aufgrund der Pandemie wurde auch in diesem Sport diese Sicherheitsmaßnahme ergriffen. Gemeinhin vertreten die Spieler wie Webb Simpson die Meinung, "dass wir dankbar dafür sind, hier zu sein". Der Amerikaner, der glänzend ins Masters gestartet war, ist froh, überhaupt seinen Beruf ausüben zu können. Aber die Sensibleren wie Paul Casey gaben zu, trotzdem "wenig Freude" in den vergangenen Monaten verspürt zu haben.

Der Engländer, dem am Donnerstag mit 65 Schlägen die beste Runde gelang, vermisst das Feedback der Fans, das Vermitteln von Freude, die er in Augusta immerhin aus einem anderen Grund wiedergefunden hat. Die Energie, die er verspüre, wenn er die berühmten 18 Bahnen abschreitet, sei zwar nicht wie gewohnt - "aber etwas Besonderes hat dieser Platz. Ich bin aufgeregt, hier zu sein". Die Relevanz des Augusta National Golf Clubs kompensiert also wenigstens die für ein Major untypische Komplettstille.

Pragmatisch betrachtet ließ sich allerdings auch feststellen, dass mancher vielleicht ein wenig von der Nicht-Atmosphäre profitieren kann. Experten vertreten ja die Ansicht, dass Woods pro Runde ein, zwei Schläge nur dadurch einbüßt, weil ihm Horden von Menschen folgen und er sich wie in einem Bienenschwarm behaupten muss. Heißt: Er wird mehr abgelenkt als alle anderen. Die Aufgabe der Platzhelfer, vor seinen Schlägen "Quiet, please!" zu rufen, war stets ein Fulltime-Job. Am Donnerstag gelang Woods mit 68 Schlägen eine Runde ohne ein Bogey (eins über Par) - das war ihm seit 2009 nicht bei einem Major gelungen. Auffallend zudem, wie gelöst er wirkte. Er lachte viel.

Bis Sonntagnachmittag wird sich das Feld erfahrungsgemäß noch sortieren, ehe der nahende Sieger den Gang aufs 18. Grün antritt. Ein wenig Stimmung sollte dann dennoch herrschen. Wie die letzten Tour-Events gezeigt haben, versammeln sich Spieler und Arbeitskräfte eines Turniers mit gebotenem Abstand rund ums Schlussloch. Einen "Roar" dürfte es aber wohl kaum geben.

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