Javi Martínez bei Bayern:Mit jeder Schlenzerflanke etwas billiger

Beim 3:1 des FC Bayern gegen Mainz 05 wird der 40-Millionen-Mann Javier Martínez erneut erst spät eingewechselt. Der Spanier unterstreicht dennoch den ersten Eindruck: Er ist ein präzise agierender Profi, der die Fußballersprache beherrscht.

Klaus Hoeltzenbein

Baskisch, auch das war im Rahmen des spektakulären Ankaufs von Javier Martínez Aginaga zu erfahren, ist eine Sprache, deren Wurzeln nahezu unbekannt sind. Beim Bairischen hingegen ist die Wurzelforschung längst viel weiter fortgeschritten. Niemand würde jetzt aber mirnixdirnix behaupten, dass das Bairische leichter als das Baskische zu erlernen wäre.

FC Bayern München - FSV Mainz 05

Erfolg verbindet: Manuel Neuer (re.) und Javier Martínez umarmen sich.

(Foto: dpa)

Und dieser Javier Martínez, 24, wurde zwar zum Stamm der Basken gezählt - deshalb nur durfte er für Athletic Bilbao spielen, einen aufs lokale Personal fixierten Verein -, aber er sprach auch beim Abschied kaum die Sprache. Mit dem Bairisch dürfte es kaum besser werden, "Oachkatzlschwoaf" (Eichhörnchenschwanz) ist eine hohe Hürde. Und da muss er bald schon rüber. Wie all die bayerischen Brasilianer früher auch, die sich daran bei superlustigen Fernsehclips die Zunge zerbrachen.

Martínez wäre also eigentlich aufgeschmissen, denn fließend Spanisch spricht nur Jupp Heynckes, sein neuer Trainer. Doch es gibt ja noch diesen dritten Weg: eine Kommunikation irgendwo zwischen Baskisch und Bairisch. "Die man immer so schön die Fußballersprache nennt", wie es Toni Kroos beschreibt, der aus Rostock kommt und deshalb auch nicht viel mehr als ein "Na servus" rausbringt. Bei dieser wunderbaren Fußballersprache allerdings sei es glücklicherweise so, behauptet zumindest Kroos, "dass das ganze Drumherum ganz schnell völlig egal ist".

Nur "ein Augenzwinkern", so Kroos, habe genügt, dann habe Martínez ihn verstanden. Das war wohl geflunkert, denn zwischen Martínez, dem Servierer einer butterweichen Flanke, und Kroos, dem kunstvollen Vollstrecker zum 3:1-Endstand im dritten Ligaspiel des FC Bayern gegen Mainz 05, hatte der Ball eine Wegstrecke von gut und gerne dreißig Metern zu überbrücken. Aber eine Eigenheit der Fußballersprache ist es ja, dass man es mit der Wahrheit nicht so genau nehmen muss.

Die Fußballersprache besteht bekanntlich aus zwei Teilen: Der eine Teil ist das, was auf dem Platz passiert, eine Art non-verbale Kommunikation, man versteht sich: praktisch blind. Was Teil zwei, die Interpretation, betrifft, da darf Javier Martínez ("Ich muss weiter an mir arbeiten. Ich bin hier, um zu helfen") ruhig noch ein bisschen zulegen. Das klang sehr reserviert, gerade in einem Land, in dem diese Sprache praktisch erfunden wurde, von einem gewissen Franz Beckenbauer, mit grollenden Sätzen wie: "Da gibt es immer wieder Szenen, da könntest du, um in der Fußballersprache zu bleiben, zum Mörder werden."

Wenn überhaupt, dann gab es eine solche Aggression im Beckenbauer'schen Sinne am Samstag allenfalls, bevor Martínez den Platz betreten durfte. Zwei Wochen zuvor, beim 6:1 gegen Stuttgart, hatte Heynckes bis zur 77. Minute gezögert, nun wartete er bis zur 76. Minute, ehe er den 40-Millionen-Mann, wie er in der Fußballersprache ja auch heißt, ins Spiel ließ.

Sofort mittendrin

Fortan aber wirkte das Geschehen, das spätestens mit dem Mainzer Elfmeter zum 1:2 (56.) aus den Fugen geraten war, aus Bayern- Perspektive wieder ruhiger, souveräner, geordneter. Es ist nur ein erster Eindruck, nicht mehr, aber auch nicht weniger, doch dieser Mittelfeldakteur scheint über eine gesunde Sozialkompetenz zu verfügen: präsent, ohne sich aufzudrängen, helfend, wo Hilfe gefordert war - er kam von außen, war aber sofort mittendrin.

Es ist ja nicht leicht, wenn einem das Publikum bei jedem Schritt auf die Füße schaut, verbunden mit der Frage: Kann der das viele Geld wert sein, das da aus Bayern zu den Basken floss? Und dies nur, weil die Bayern so stur waren wie die Basken, mindestens, die ihn trotz der 40 Millionen erst unter dem Zwang der Vertragsklauseln freigeben mussten. Das Publikum hat Martínez gegen Mainz bei keinem Fehltritt erwischt; im Gegenteil, mit jeder gelungenen Szene, mit jeder präzisen Schlenzerflanke dürfte er nun im öffentlichen Empfinden ein bisschen billiger werden.

Ein Schnäppchen wird er niemals mehr, aber schon bevor Martínez jetzt am Mittwoch vermutlich zu einer längeren Champions-League-Erprobung kommt, da er den Auftaktgegner Valencia aus der spanischen Liga kennt, steht er stellvertretend für den Gesamteindruck, den Manuel Neuer von seiner Torwartposition aus gewonnen hat: "Egal, welcher Spieler reinkommt: Wir gewinnen fast immer an Qualität."

Anfangs war es beispielsweise kaum aufgefallen, dass sich Franck Ribéry und Arjen Robben, die etablierten Showmaster, wegen muskulärer Probleme kurzfristig abgemeldet hatten. Mario Mandzukic per Abstauber (2.) und Bastian Schweinsteiger per Kopfball (13.) hatten früh für dramaturgische Beruhigung gesorgt. Die Bayern spielten fortan nach Fahrplan, während sich Xherdan Shaqiri und Thomas Müller auf den Flügeln noch ein wenig fürs Außerplanmäßige zuständig fühlten. Hätten diese beiden unorthodoxen Darsteller nicht mitgewirkt, es wäre recht öde geworden, weil nur eine Frage den Verlauf des Nachmittags diktierte: Wann kommt Martínez?

Dieser war dann auch mittendrin in jener Jubelreihe aus alten (Schweinsteiger), neuen (Mandzukic) und zurückgekehrten (Pizarro) Münchnern. Doch einer fehlte. In jenem Moment, in dem am Spielfeldrand die Klappe hochging, die die Profis in den Tunnel entlässt, war Holger Badstuber verschwunden. Zur Fußballersprache gehört es ja gerade, die Körpersprache zu deuten, und die signalisiert bei ihm seit Wochen eines: Leute, ich bin mies drauf!

Zwar wirkt der Nationalspieler weiter in Vollzeit mit, nur verteidigt er nicht mehr - und das ist für ihn gravierend - links innen, sondern links außen. Rausgespült von der neuen Binnenkonkurrenz. Links innen darf jetzt der Brasilianer Dante ran. Der wird wohl auch nach jener rustikalen Sense, die den Mainzern zu ihrem Elfmetertor verhalf, seine Position nicht verlieren, weshalb dem nöligen Badstuber nun, ganz im Geiste Beckenbauers, empfohlen sei: Situationen gibt's, da sollte man die verletzte Seele nicht zur Mördergrube werden lassen.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: