Mit großer Mehrheit von 96 Prozent der Stimmen (177 Ja-Stimmen, acht Nein-Stimmen, zwei Enthaltungen, eine nicht abgegebene Stimme) wurde Martin Richenhagen, 72, bei einer außerordentlichen Mitgliederversammlung in der Warendorfer Verbandszentrale zum neuen Präsidenten der Deutschen Reiterlichen Vereinigung (FN) gewählt. Der pensionierte frühere CEO des US-Landmaschinenherstellers AGCO war nach einer Vorauswahl der einzige Kandidat. Als neuer Finanzkurator wurde der Rechtsanwalt Peter Krause einstimmig gewählt.
Damit besteht bei allen Beteiligten die Hoffnung, dass die wirtschaftliche und personelle Krise der FN nun beendet werden kann. Mangelhaft kommunizierte finanzielle Lücken von rund einer Million Euro hatten im Frühjahr dazu geführt, dass FN-Präsident Hans-Joachim Erbel und Finanzkurator Gerhard Ziegler von den Mitgliedern nicht entlastet wurden und zurücktraten. Auch Generalsekretär Soenke Lauterbach wurde die Entlastung verweigert, er wird die FN spätestens nach Ablauf seines Vertrages im September 2025 verlassen. Bis dahin kann sich Richenhagen eine Zusammenarbeit mit Lauterbach vorstellen. Ein neuer Generalsekretär wird derzeit gesucht.
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In einem halben Jahr muss sich Richenhagen erneut zur Wahl stellen, er ist optimistisch, dass er bis dahin so viel bewirken kann, dass einer regulären Wiederwahl für vier Jahre nichts im Weg steht. Aber: „Wirklich verändern kann man die Dinge nur langfristig“, sagt er.
Damit will Martin Richenhagen allerdings sofort beginnen. Zunächst soll es eine Mitarbeiterversammlung geben, bei der er die Sorgen etlicher der 140 FN-Mitarbeiter, ihren Job zu verlieren, zerstreuen will. Am Personal zu sparen, sei die falsche Taktik, betonte Richenhagen.
Visionen gebe es bereits, Richenhagen spricht von neuen Geschäftsfeldern
Zeitnah soll außerdem die finanzielle Lage der FN unter die Lupe genommen werden. Zwar sind die Mitgliederzahlen in den Reitvereinen mit rund 700 000 wieder stabil, aber weniger Turniere und weniger Pferdeeintragungen drücken seit der Coronakrise die Einkünfte der FN. Eine Vorschau über die voraussichtlichen Umsätze in ein bis fünf Jahren soll Klarheit bringen, dann wisse man, wie das Finanzergebnis aussehen werde. Womöglich ergebe sich dann eine Lücke, sagt Richenhagen - „um diese Lücke zu schließen, muss man ein bisschen Hausaufgaben machen“. Visionen gebe es bereits, der neue Präsident spricht von neuen Geschäftsfeldern. Sobald Überschüsse generiert werden, sollen sie wieder dem Sport zufließen.
Hoffnungen setzt Richenhagen vor allem auf die schlummernde Reserve von etwa zwei Millionen Reitern, die ganz unorganisiert durch Wald und Feld galoppieren. Sie als zahlende FN-Mitglieder zu gewinnen, stehe ganz oben auf der To-do-Liste. Die Idee ist nicht neu, scheiterte in der Vergangenheit aber am Image der FN als reglementierungswütiges Bürokratiemonster. Dass die Regelwerke immer länger werden statt kürzer, stört den neuen Präsidenten genauso wie Otto Normalreiter.
Bürokratieabbau ist also auch hier gefragt. Zudem soll ein besseres Serviceangebot neue Mitglieder in die FN locken. Eine Initiative ist bereits auf dem Weg, dass „Schulpferdeprojekt 100“. Gerade vierbeinige Lehrmeister, für Reitanfänger aller Altersklassen unverzichtbar, sind Mangelware geworden. Viele Reitschulen mussten in der Coronakrise schließen und haben sich davon nicht erholt. In Großstädten einen Reitstall für Kinder und Jugendliche zu finden, deren Eltern sich kein eigenes Pferd leisten können, ist fast unmöglich. „Ja, Reiten ist ein teurer Sport“, sagt Richenhagen. „Aber wir können den Reitschulen helfen.“ Er selbst habe mit einer eigenen Reitschule sein Studium finanziert, bevor er in die Industrie wechselte. Jetzt hofft er, demnächst mit seinen Enkeln spazieren zu reiten. „Ich habe den Kontakt zum Pferdesport nie verloren“, sagt der ehemalige Dressurreiter mit Erfolgen bis zum Grand Prix.
Die Situation sei deutlich besser, als es die Gerüchteküche vermuten lasse
Richenhagen, der einst durch scharfe Kritik („Die FN ist ein Sanierungsfall“) die Krise des Verbandes zum Thema machte, schlug am Dienstag beim Amtsantritt deutlich sanftere Töne an. Es habe sich in vergangenen Monaten schon viel zum Guten gewendet, sagt er. „Die FN ist ein kerngesundes Unternehmen, hat keine Schulden und beachtlichen Immobilienbesitz.“ Die Situation sei deutlich besser, als es die Gerüchteküche vor allem in den sozialen Medien vermuten ließe.
Richenhagen appellierte an die Landesverbände, in denen es die größten Widerstände gegen seine Wahl gegeben hatte, mit der FN wieder an einem Strang zu ziehen. „Ich freue mich auf eine positive Neuausrichtung der Deutschen Reiterlichen Vereinigung.“