Süddeutsche Zeitung

Druck im Sport:"Ein Profifußballer wird oft mit vielen Ungerechtigkeiten konfrontiert"

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Der Sportpsychologe Martin Meichelbeck von Greuther Fürth sieht die Aussagen von Per Mertesacker als warnendes Beispiel und glaubt, dass ständige psychologische Betreuung für Profi-Fußballer dringend nötig ist.

Interview von Max Ferstl

Per Mertesacker hat kürzlich mit dem Spiegel ein vielbeachtetes Gespräch über Druck im Profifußball geführt. Mertesacker berichtete etwa, vor jedem Spiel habe er Brechreiz und Durchfall gehabt. "Der Druck hat mich aufgefressen", sagte er dem Nachrichtenmagazin. Martin Meichelbeck, der selbst in der Zweiten Liga spielte und nach der Fußball-Karriere Psychologie studierte, ist beim Zweitligisten Greuther Fürth zuständig für die Bereiche Sportpsychologie, Medizin, Sportwissenschaft und Innovation. Im Interview spricht er über seine Erfahrungen.

SZ: Herr Meichelbeck, Per Mertesacker hat in ungewohnter Deutlichkeit darüber gesprochen, wie sich sehr sich der Druck körperlich bei ihm ausgewirkt hat. Halten Sie seinen Fall für extrem?

Martin Meichelbeck: Nein. Aus meiner Erfahrung als Spieler und als Sportpsychologe weiß ich, dass solche psychosomatischen Reaktionen immer wieder vorkommen. Viele wundern sich vielleicht, dass einer wie Mertesacker - ein sehr erfahrener Profi, der sogar Weltmeister ist - das anspricht. Ich finde das sehr gut. Es sollte für viele im Profifußball Anstoß sein, einige Dinge zu überdenken.

Was meinen Sie?

Im Profifußball werden Schwächen nicht gerne gesehen, als wären das alles Gladiatoren. Wir haben es aber mit Menschen zu tun, die alle ihre Schwächen haben. Und die - gerade wenn sie lernen, richtig mit ihren eigenen Ängsten oder Defiziten umzugehen - sehr gute Leistungen bringen können. Sportpsychologie sollte Bestandteil des Trainings sein wie Physiotherapie, Technik- oder Taktiktraining. Bisher sind viele Spieler, Trainer und Funktionäre leider in der psychologischen Arbeit nicht umfassend aufgeklärt und erkennen nicht den Mehrwert.

Wie macht sich das bemerkbar?

Psychologen werden manchmal eingesetzt wie Feuerwehrmänner. Wenn es schlecht läuft, wenn man fünf Heimspiele am Stück verliert, dann suchen Vereine kurzfristige Hilfe. Einige beschäftigen Psychologen nur auf freiberuflicher Basis. Dabei sollte es so sein wie beispielsweise in der Bundesliga bei Leipzig, Hoffenheim oder Stuttgart. Dort sind Sportpsychologen fest in die Trainerteams integriert. Schließlich gibt es im körperlichen Bereich Spezialisten für alles: Athletik-Trainer, Ernährungsberater, Yoga-Lehrer. Doch der Spezialist für den Kopf, der alles steuert, fehlt häufig. Das ist vielleicht die Botschaft hinter der Diskussion um Mertesackers Äußerungen: zu lernen, wie man aktiv mit Druck im Fußball umgeht. Der Fußball in seiner extremen Dynamik orientiert sich meist an Ergebnissen, was manchmal ein Widerspruch zur prozessorientierten psychologischen Arbeit ist.

Per Mertesacker sagt, es gebe in seinem Verein zwar Psychologen, die aber keiner in Anspruch nehme.

Auch viele Fußballer erkennen häufig noch nicht den Mehrwert psychologischer Arbeit. Sie haben gelernt, dass es ihnen nachteilig ausgelegt wird, wenn sie scheinbar Schwäche zeigen. Außerdem - das wird gerne vergessen - haben viele Profifußballer eine narzisstische Persönlichkeit. Das hat Vorteile: Sie sind sehr ehrgeizig und zielorientiert. Sie tun sich aber auch schwerer damit, sich zu öffnen und über ihre Probleme zu reden.

Sie waren selbst Spieler und sind seit neun Jahren für die psychologische Betreuung bei Greuther Fürth verantwortlich. Sprechen Sie die Spieler gezielt an?

Einige Vereine beschäftigen Psychologen, die der Spieler bei Bedarf nutzen kann. Ich habe in den ersten Jahren meiner Tätigkeit auch so gearbeitet und gewartet, dass ich angesprochen werde. Seit einigen Jahren gehe ich aktiv auf die Spieler zu, schaue mir fast jedes Training an, bin bei jedem Spiel dabei. Alles, was mir auffällt, versuche ich im offenen und vertrauensvollen Dialog mit den Spielern zu bearbeiten - sei es in Einzelgesprächen, sei es in Gruppen. Das natürlich oft in Absprache mit dem Trainerteam. Ich versuche, ein Teil des Teams zu sein.

Wie versuchen Sie einem Spieler zu helfen, der Probleme mit dem Druck hat?

Ich versuche herausfinden, wie sich das bei ihm äußert, welche Druckfaktoren ihn belasten und wie er das Problem bisher bewältigt hat. Daraus lassen sich neue Strategien entwickeln. Wenn ein Fußballer vor Spielen über Schlafstörungen klagt, kann man ihn medizinisch untersuchen. Sind etwa die Neurotransmitter in der Balance? Man kann Entspannungstechniken einüben, die eigenen Gedanken in neue Bahnen lenken, Emotionen regulieren, versuchen, das komplette Nervensystem und den Körper zu beruhigen, damit der Spieler ausgeruht ins Spiel geht. Die Behandlung ist sehr individuell, da jeder Mensch seine eigenen Themen hat. Es ist ein Prozess, bei dem der Spieler sich selbst besser kennenlernt.

Hilft es Ihnen bei Ihrer täglichen Arbeit, dass Sie selbst aktiv gespielt haben?

Es fällt mir sicher leichter, einen Zugang zu den Spielern zu bekommen. Der Profi-Fußball ist ein ganz eigenes System. Es ist hilfreich, wenn man diese Welt kennt.

Druck ist in dieser Branche, die sehr in der Öffentlichkeit steht, allgegenwärtig. Ist das der Preis, den man als Profifußballer zahlen muss?

Ich weiß nicht, ob man wirklich muss. Sicher ist, dass ein Profifußballer oft mit vielen Ungerechtigkeiten konfrontiert wird - die Öffentlichkeit bewertet dich manchmal falsch, die Zuschauer pfeifen dich aus. Damit muss er lernen, klar zu kommen, denn er hat sich für diesen Job entschieden. Ich bin übrigens überzeugt, dass auch Per Mertesacker diese Wege gefunden hat. Ansonsten hätte er nicht so lange Profi sein, bei Topvereinen spielen und Weltmeister werden können.

Glauben Sie, dass sich durch die Offenheit von Per Mertesacker etwas im Denken der Vereine ändert?

Es wäre schön, aber ich bezweifle es. Die Vergangenheit hat das Gegenteil gezeigt. Nach den bekannten Fällen - den Suizid von Robert Enke, die Depression von Babak Rafati und den Berichten anderer, die sich ein bisschen geöffnet haben - gab es jeweils kurze Diskussionen. Doch die Maßnahmen sind ziemlich begrenzt geblieben. In der Fläche machen die Vereine im Profibereich auf psychologischer Ebene noch immer zu wenig.

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