Omar Marmoush von Eintracht Frankfurt:Knackig vorbeigedribbelt, sogar an Kane und Okocha

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Auch beim 3:1 in Istanbul Torschütze für Eintracht Frankfurt: Omar Marmoush, 25. (Foto: Serkan Hacioglu/AP)

Omar Marmoush trifft und trifft und trifft – und führt vor dem Duell mit den Bayern sogar die Torschützenliste der Bundesliga an. Manch einer wähnt den Eintracht-Angreifer künftig „bei ganz anderen Vereinen“.

Von Thomas Hürner

Wie beeindruckend das vorliegende Videomaterial war, war eine Frage der Perspektive. Es zeigte einen jungen Angreifer, der sich 15 Meter hinter der Mittellinie den Ball schnappt, an einem Gegner vorbeitänzelt, dann am nächsten, und sich in Höchstgeschwindigkeit zum gegnerischen Tor aufmacht. Die Faszination dieser Szene, fand die befürwortende Fraktion, ergab sich aus einer Mischung aus Rasanz und instinktivem Geschick, wie man sie im Fußball nur äußerst selten zu sehen bekommt. Die Skeptiker räumten zwar ein, dass die Szene wirklich nett anzuschauen war. Sie zweifelten aber an ihrer Reproduzierbarkeit in Deutschland. Immerhin stand der junge Angreifer ja nur beim ägyptischen Klub Wadi-Degla unter Vertrag – und dann hatte dieses flotte Dribbling noch nicht mal zu einem Tor geführt.

Man braucht sich da aber keine falschen Vorstellungen zu machen. Die Debatte darüber, ob dieser junge Angreifer für den deutschen Profifußball taugt, wurde nicht allzu hitzig geführt. Sie war sogar eine ziemlich unfaire, weil einseitige Angelegenheit. Denn die befürwortende Fraktion bestand ausschließlich aus Pierre Littbarski, der damals als Scout beim VfL Wolfsburg angestellt war.

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Und wenn man dem früheren Nationalspieler heute am Telefon so zuhört, wird schnell klar: Die Skeptiker waren so ziemlich alle anderen. Durchsetzen konnte sich Littbarski trotzdem, indem er einen kleinen Trick anwandte. Er schleuste den jungen Stürmer über die zweite Mannschaft in den Klub, was Nachfragen verursachte, aber schnell vergessen war. Die Skeptiker wandten sich wieder vermeintlich wichtigeren Themen zu. 

Marmoush war „out of the box“, sagt sein Entdecker Pierre Littbarski

Sieben Jahre später ist Omar Marmoush, 25, bei Eintracht Frankfurt selbst zu einem Riesenthema geworden. Mit sechs Treffern in fünf Spielen führt der Ägypter die aktuelle Torschützenliste der Bundesliga an, dazu kommen drei Vorlagen – sowie ein Tor am Donnerstagabend in der Europa League beim Frankfurter 3:1-Sieg gegen Besiktas Istanbul. Das wäre für sich genommen bereits beachtlich genug. Doch diese Zwischenbilanz macht auch in Relation richtig was her. Denn Marmoush kann derzeit nicht nur einen Treffer mehr vorweisen als ein gewisser Harry Kane, der mit dem Tabellenführer FC Bayern an diesem Sonntag (17.30 Uhr) beim Zweitplatzierten Frankfurt vorbeischauen wird. Er hat auch öfter getroffen, als es der schlaue Bernd Hölzenbein, der artistische Jay-Jay Okocha oder der kräftige Anthony Yeboah zu diesem frühen Zeitpunkt einer Saison jemals geschafft hatten. Die Eintracht konnte sich stets etwas einbilden auf ihre Offensivkönner – aufgrund seiner imposanten Ahnenreihe hat der Klub aber auch den Anspruch entwickelt, selbst stilbildend zu sein. 

Einen extravaganten Spielstil hätte er jedenfalls schon mal, dieser Omar Marmoush. Und einer hat’s vor allen anderen gesehen.

Pierre Littbarski, 64, war mal Deutschlands anmutigster Hüftwackler, in den Achtzigerjahren dribbelte er seinen Gegnern für den 1. FC Köln zahlreiche Knoten in die Beine. „Ich erkenne das ja, ob einer außergewöhnlich ist“, sagt Littbarski mit glaubwürdigem Selbstbewusstsein: „Und der Junge war einfach out of the box“. Man darf den Sachverständigen Littbarski da übrigens gleich mal wörtlich nehmen: Marmoush sticht zwar zunehmend mit messerscharfen Abschlüssen und einer üppigen Erfolgsquote hervor – aber als Neuner, der sich am liebsten in der sogenannten Box aufhält, ist er nach wie vor nicht anzusehen. In dieser Saison hat ihn Eintracht-Coach Dino Toppmöller bereits auf der linken Offensivseite, als hängenden Dienstleister hinter einem Stürmer sowie als vollwertiges Mitglied einer Doppelspitze aufgeboten. Das breite Angriffsreservoir der Frankfurter mit Hugo Ekitiké und Igor Matanovic macht’s möglich.

Ohnehin, findet Littbarski, dürfe man einem Intuitionskicker wie Marmoush keinen umfangreichen Auflagenkatalog mitgeben. Der sei keiner dieser stromlinienförmigen „Konzeptfußballer“, wie man sie in den vergangenen Jahren am Fließband produziert habe. Marmoushs Unkenntnis über die an deutschen Nachwuchsleistungszentren gelehrten „Schemata“ sei bis heute dessen größte Stärke, findet Littbarski. Deswegen war er auch so begeistert von dem Videomaterial, das er über einen Insidertipp zugesteckt bekommen hatte. Der damals 17-jährige Marmoush habe ihn, sagt Littbarski, sofort an sein „17-jähriges Ich“ erinnert – und so war er gerne bereit, den „steinigen Weg“ zu durchschreiten, um den Angreifer nach Wolfsburg zu holen.

Marmoush hat sich in Frankfurt mannschaftstaktisch weiterentwickelt – er durfte aber auch er selbst bleiben

Littbarski hatten vor allem Szenen von einer Junioren-WM überzeugt, bei der Marmoush, geboren in Kairo, mit verblüffender Selbstverständlichkeit für Ägypten wirbelte. Angekommen in der Autostadt, sah er sich aber sogleich deutscher Fußball-Technokratie gegenübergestellt: Training ohne Ball. Training gegen den Ball. Aber nur selten mit Ball. Wohl auch deshalb konnten die Wolfsburger, die sich als rigorose Pressingmannschaft definieren, dem Angreifer keine echte Perspektive aufzeigen. Der Entdecker Littbarski kann sich darüber noch heute ärgern. An anderen Bundesligastandorten dürfte man für diesen Sachverhalt dagegen vor allem Verwunderung übrig haben.

Nach einer produktiven Zeit bei Wolfsburg II wurde Marmoush für die Rückrunde der Saison 2020/21 zum damaligen Zweitligisten FC St. Pauli ausgeliehen, und es brauchte nur wenige Ballberührungen, bis im Millerntorstadion reihenweise Augenbrauen nach oben zuckten: Wie aus dem Nirgendwo war da auf einmal ein Kreativgeist, der fantasievolle Pässe schlug, knackig dribbelte und überall auf dem Rasen unterwegs war – und das auf einem Niveau, das ihn auf Anhieb zum vielleicht besten Spieler im Unterhaus machte. Klingt steil, aber so war das damals. Und die Wolfsburger? Liehen Marmoush erneut aus, diesmal zum VfB Stuttgart, aber zweckmäßig war das nicht. Nach seiner Rückkehr fremdelte der Angreifer weiterhin mit dem VfL-System.

Marmoushs Werdegang erzählt somit auch eine Menge darüber, was erfolgreiche Klubs von weniger erfolgreichen Klubs unterscheidet. Denn während die Wolfsburger noch ihre eigene Zögerlichkeit überwinden mussten, hatten die Frankfurter dem ablösefreien Marmoush 2023 ein Vertragsangebot unterbreitet, das in doppelter Hinsicht in die Zukunft wies: Mit einem Gehalt, das Marmoush noch nicht wert war, aber bei prognostizierter Entwicklung schon bald wert sein würde. Und mit einem sportlichen Aufbauprogramm, durch das sich der Spieler mannschaftstaktisch weiterentwickeln kann – und zugleich er selbst bleiben darf. Unter Coach Toppmöller schließt Marmoush jetzt hinten auch mal Räume, er nervt seine Gegner mit Läufen zwischen den Ketten und hat in dieser Saison bereits 146 Sprints zurückgelegt – ohne diese Intensität ist in Frankfurt auf Dauer eben kein Fußball zu machen. Doch mit dem Ball kann sich der Ägypter weiterhin ausleben. „Dass der mal so regelmäßig trifft“, sagt Littbarski, sei „sogar für seine Befürworter“ eine Überraschung.

Eine Frage der Perspektive ist Omar Marmoush heute jedenfalls nicht mehr. Auf Instagram folgen ihm 1,2 Millionen Menschen, darunter sein Landsmann und Vorbild, Mohamed Salah vom FC Liverpool. Die Eintracht hat im Sommer hoch dotierte Kaufangebote aus der Premier League abgelehnt und durchblicken lassen, selbiges im Wintertransferfenster wieder tun zu wollen. Dennoch rutschte Marcel Rapp, dem Trainer von Holstein Kiel, zuletzt eine hübsche Prognose heraus. „Er spielt bei Eintracht Frankfurt“, stellte Rapp nach zwei Marmoush-Treffern gegen Kiel zutreffend fest: „Aber er wird wahrscheinlich mal bei ganz anderen Vereinen spielen.“

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