Süddeutsche Zeitung

Markus Rehm:Die einsame Spitze

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Der Para-Weitspringer dominiert seine Szene. Doch sein Traum, die Aufnahme in die Wettkämpfe der Weitspringer ohne Handicap, wird ihm wohl nicht erfüllt werden.

Von Fabian Dilger, Berlin

Markus Rehm hat mehr als nur seine Pflicht getan, so kann man es wohl ausdrücken. Der 30-Jährige von Bayer 04 Leverkusen hat die Weitsprung-Goldmedaille bei der Para Leichtathletik-EM gewonnen, er hat dem Publikum im Stadion einen deutschen Erfolg am Samstagnachmittag beschert und gleich noch einen Weltrekord aufgestellt. Im Berliner Jahn-Sportpark hat er seinen eigenen Weltrekord in seiner Wettkampfklasse mit 8,48 Metern minimal nach oben geschraubt, im Juli sprang er 8,47 Meter in Japan. "Hätte nicht besser laufen können", sagte Rehm nach dem Wettkampf und das stimmt auf mehreren Ebenen.

Denn mit dem Weltrekord hat Rehm hat mal wieder Werbung für sein größtes Anliegen gemacht. Es ist wie ein Mantra, das er immer wieder verkündet, mühsames Wassertreten, weil er bisher noch keinen wirklichen Erfolg damit hatte: Markus Rehm, der als Jugendlicher bei einem Wakeboard-Unfall ein Bein verloren hat und mit einer Prothese läuft und springt, will nicht nur bei Wettkämpfen für Para-Athleten antreten. Die Paralympics, bei denen er bereits drei Goldmedaillen gewonnen hat, sind für ihn nicht das Ende.

Hat Rehm mit seiner Prothese einen Vorteil? Die Frage ist seit Jahren nicht geklärt

Rehm dominiert den Weitsprung der Para-Athleten nach Belieben, richtige Gegner hat er dort nicht. Bei der EM im Berliner Jahnstadion gewann er mit fast einem halben Meter Vorsprung auf seinen Leverkusener Vereinskollegen Felix Streng. Der hatte den unangreifbaren Rehm zumindest am Anfang ein wenig herausgefordert. Er sprang mit 7,71 Metern persönliche Bestleistung und lag kurzzeitig nur vier Zentimeter hinter Rehm. "Ich rechne mit ihm in den nächsten Jahren", sagte Rehm, "irgendwann wird er mir dicht auf den Fersen sein und mich vielleicht schlagen." Noch lässt der Dominator aber keine Zweifel aufkommen, dass der junge Kollege noch ein bisschen warten muss. Rehm steigerte sich von Versuch zu Versuch, jeder neue Sprung ging weiter als der vorherige. Ein bisschen hatte er auf den Wind spekuliert, das Brett richtig getroffen, dann fiel der Weltrekord in seinem sechsten und letzten Versuch. "Das ist natürlich ein Traum hier vor der Heimkulisse", sagte er.

Aber der vierte EM-Titel in Serie bei den Para-Athleten reicht Rehm nicht mehr. Er will bei EM, WM, Olympia zusammen mit Athleten ohne Handicap springen, er mit einer Prothese und die anderen Athleten ohne Beeinträchtigungen. Rehm hat sein großes Anliegen nach dem Wettkampf abermals deutlich vorgetragen. Er hoffe, dass irgendwann nicht mehr in "Wir" und "Die" unterschieden werde, sondern dass alle Athleten, ob mit oder ohne Handicap, gemeinsam bei Wettkämpfen vertreten seien. Zum Vergleich: Bei der Leichtathletik-EM der Sportler ohne Behinderung, zwei Wochen vorher im Berliner Olympiastadion, sprang der Weitsprung-Europameister 8,25 Meter. Er habe die Marke vor dem Wettkampf schon im Blick gehabt, sagte Rehm.

Ein Para-Athlet hat das, was Rehm fordert, schon geschafft, der Südafrikaner Oscar Pistorius startete 2012 bei Olympia in London mit der 400-Meter-Staffel. Bei Rehm ist das Ganze komplizierter. 2014 trat er sogar schon einmal bei den Deutschen Meisterschaften an, sprang weiter als alle Athleten ohne Handicap und holte den Meistertitel. Doch danach begann ein Hin und Her um die Frage: Hat Rehm mit seiner Prothese sogar einen Vorteil beim Weitsprung? Eine Untersuchung ergab kein klares Ergebnis, da Rehm zwar beim Absprung mehr Schwung habe, aber beim Anlauf weniger Geschwindigkeit.

Seine Forderung hat Rehm bei den paralympischen Athleten und Funktionären nicht nur Applaus eingebracht. Heinrich Popow, der bekannte Sprinter und Weitspringer, der bei der EM seine Karriere beendete, hat sich stets gegen eine solche Verschränkung ausgesprochen: Beide Bereiche seien einfach zu unterschiedlich, das ist Popows Meinung im Kern. Jörg Frischmann, Geschäftsführer von Rehms Abteilung bei Bayer Leverkusen und Teammanager der deutschen Mannschaft bei der EM, findet, die Debatte decke die Unsicherheit auf. Früher hätten auf niedriger Ebene, bei kleineren Wettbewerben, die Inklusion von Para-Sportlern schon stattgefunden. Heute seien sich die Ausrichter dagegen nicht mehr sicher, wie sie das alles anpacken sollten, das Erstellen von Sonderwertungen bei Wettkämpfen etwa sei ein großer Aufwand. Vieles sei durch die Diskussion kaputt gegangen, was Jahrzehnte lang funktioniert habe, sagt Frischmann.

Zurzeit hängt alles in der Schwebe. Rehm kritisiert, dass kein Verband den Mut habe, das Thema wirklich anzupacken. Er habe das Gefühl, die Verbände wollten das Thema aussitzen. Ein Kompromiss, den Rehm anbietet, um möglichen "Ängsten" anderer Weitspringer aus dem Weg zu gehen: Er würde seine Wettkämpfe außerhalb der Wertung springen. "Es geht um das Zeichen, gemeinsam Sport zu machen." Seine Medaillen wolle er sowieso bei den Para-Athleten gewinnen.

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Quelle:
SZ vom 27.08.2018
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