Mario Gomez beim VfB:Wie jetzt? Kein Abseits?

Lesezeit: 3 min

Die Befreiung: Mario Gomez schießt ein Tor, das zählt. (Foto: dpa)
  • Mario Gomez führt den Zweitligisten VfB Stuttgart zu einem wichtigen Sieg gegen Nürnberg.
  • Beim verdienten 3:1 wirkt der Stürmer verblüffend verjüngt - auch, weil Trainer Walter ihm plötzlich vertraut.
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Von Christof Kneer

Mario Gomez lief hinaus zur Eckfahne, er jubelte testhalber mal ein bisschen, und dann gesellten sich ein paar Mitspieler dazu, die ebenfalls ein bisschen jubelten. Die Menschen auf der Tribüne warfen ihre Arme auch noch eher vorsichtig in die Höhe, aber der Stadionsprecher klang schon überzeugt. "Tor für den VfB .... " rief er, und aus einem Reflex heraus riefen die Leute: " ... Stuttgart!"

Aber konnte das stimmen? Wollte wirklich niemand dieses Tor aberkennen?

Die Anzeigetafel zögerte noch, aber als der Sprecher auch noch den Torschützen bebrüllen ließ ("unsere Nummer 27 heißt Mario ..."), begannen die Leute an das Wunder zu glauben. Sie werden es ihren Enkeln erzählen, sie werden T-Shirts von diesem Moment drucken lassen, sie waren dabei: Mario Gomez hatte ein Tor geschossen. Und was wirklich verrückt war: Es galt.

Wie ein ironischer Kommentar zum vorvergangenen Wochenende

"Haben wir das Spiel wirklich 3:1 gewonnen oder kommt gleich noch der nächste #VAR?", twitterte Thomas Hitzlsperger, der Vorstandschef des VfB Stuttgart, am späteren Abend, was aus Stuttgarter Sicht ein gutes Zeichen war. Das vorangegangene Fußballspiel hatte es den Verantwortlichen leicht gemacht, jenen Teil ihres Humors wiederzufinden, den sie vor einer Woche in den dunkleren Ecken eines Kölner Kellers verloren hatten. Der 3:1-Sieg gegen den 1. FC Nürnberg wirkte wie ein ironischer Kommentar zum vorvergangenen Wochenende, als der VfB in Sandhausen trotz dreier Gomez-Tore 1:2 verlor. Alle drei Tore waren wegen Abseits annulliert worden, zwei davon nach Eingriffen des Videoreferees (VAR) aus Köln.

Dieser irre Hattrick war mutmaßlich eine Art Weltrekord, der allerdings eine ernsthafte Debatte auslöste, die bis in höchste Kreise reichte. Uefa-Präsident Aleksander Ceferin regte zum Thema "Videobeweis/Abseits" eine neue Regelauslegung an: Er erwägt, eine Art 20-Zentimeter-Toleranz einführen zu lassen, die dem guten, alten Grundsatz "im Zweifel für den Angreifer" folgen soll.

Für Gomez, 34, endete mit dem Sieg gegen Nürnberg eine Woche, die seinen Wortschatz wohl für immer verkleinert hat. Die Adjektive "hauchzart" und "hauchdünn" wird Gomez vermutlich nie mehr verwenden, so sehr haben sie ihn zuletzt genervt. Hauchzart oder wahlweise hauchdünn sei Gomez in Sandhausen dreimal im Abseits gestanden, war überall nahezu wortgleich zu hören und zu lesen, und es war schon recht gemein, dass sich das schräge Schauspiel gegen Nürnberg fortzusetzen schien.

Nachdem die Stuttgarter gewohnheitsmäßig früh in Rückstand geraten waren (Frey/10.), wurden ihnen erneut zwei Tore durch den VAR entwendet: erst der vermeintliche Ausgleich durch den Japaner Endo, weil - wer sonst - Mario Gomez zuvor Nürnbergs Behrens regelwidrig geblockt hatte; anschließend ein Tor von - wem sonst - Mario Gomez, der bei einem Flugkopfball hauchzart oder vielleicht auch hauchdünn im Abseits gewesen war.

Stuttgarts Trainer Tim Walter ist später sehr stolz auf die Moral seiner Elf gewesen, die durch Tore von Silas Wamangituka (58./Elfmeter, selbstverständlich nach Videobeweis), Mario Gomez (59.) und Philipp Förster (72.) noch zu einem angemessenen Sieg kam und nun punktgleich mit dem HSV auf Rang drei liegt. Vor allem Gomez durfte sich angesprochen fühlen, von dem man zuletzt gar nicht mehr wusste, ob er noch Spieler ist oder nur noch ein cooler Onkel, der so nett von früher erzählt. "Mario verlernt es nicht. Er hat sich für seinen Aufwand belohnt und bringt jetzt das, was wir von ihm erwarten", sagte Tim Walter.

Tatsächlich wirkte Gomez verblüffend verjüngt, nachdem er zuletzt noch verblüffend gealtert gewirkt hatte. Gegen Nürnberg führte ihn sein Instinkt wieder in jene Räume, die ihm zuletzt verschlossen geblieben waren, er wirkte griffig und gierig, er zog die zuletzt kriselnde Elf von vorne.

Wer Gomez kennt und die Amplitude in seiner Karriere verfolgt hat, ahnt den Grund: Gomez ist ein sturmerprobter Haudegen, aber mitunter auch hauchzart oder hauchdünn besaitet, und es inspiriert ihn sehr, wenn ihm ein kritischer Trainer plötzlich wieder vertraut. Dreimal nacheinander stand Gomez jetzt in der Startelf, er hat dabei fünf Tore geschossen, auch wenn nur eines zählte. Sein Tor gegen Nürnberg hätte der VAR mit etwas Boshaftigkeit übrigens auch aberkennen können, weil Stuttgarts Endo zuvor einen harten Zweikampf mit Nürnbergs Geis bestritten hatte - aber wahrscheinlich hätte Gomez an diesem Abend einfach noch ein Tor geschossen.

© SZ vom 11.12.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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