Marcell Jansen:"Der hat ja nichts gemacht! Note vier!"

Der Außenverteidiger, das unbekannte Wesen: Nationalspieler Marcell Jansen über seine unterschätzte Rolle, falsche Bewertungen und das Zusammenspiel mit Franck Ribéry.

Christof Kneer

SZ: Herr Jansen, darf man Ihnen schon gratulieren?

Jansen: Gratulieren wozu?

SZ: Sie sind neuerdings Stammspieler in den beiden wichtigsten deutschen Fußballmannschaften - in der Nationalelf und beim FC Bayern.

Jansen: Stammspieler ist ein schwieriger Begriff, das ist ja was Langfristiges. Wenn ich meine Laufbahn mal beendet habe, kann ich mich vielleicht zurück-lehnen und sagen: Ich war Stammspieler.

SZ: Bei der WM 2006 waren sie noch der sogenannte Back-Up von Philipp Lahm, mit anderen Worten: Sie waren der klassische Ersatzspieler, der als Zuckerl am Ende noch einen Einsatz im Spiel um Platz drei abgekriegt hat.

Jansen: Das war ein wichtiges Spiel! Wenn ich zurückschaue, werde ich später mal sagen können: Ich war dabei, als wir eine Medaille gewonnen haben!

SZ: Sie denken ja sehr langfristig.

Jansen: Im Gegenteil, ich denke kurzfristig, weil ich erlebt habe, wie schnell alles gehen kann. Vor kurzem war ich noch ein Jungspund in Gladbach, jetzt bin ich Nationalspieler. Ich habe gelernt, das Aktuelle nicht überzubewerten. Ich freue mich über den Stammspieler - aber ich leite keine Karriere daraus ab.

SZ: Eine Weile war es ja fast eine Karrieregarantie, Linksverteidiger zu sein. Es wurde jeder Nationalspieler, der diese Position halbwegs konnte: Heinrich, Bode, Tarnat, später Rahn oder Rau. Jetzt gibt es plötzlich eine große Auswahl hochqualifizierter junger Linksverteidiger: Marcell Jansen, Philipp Lahm, Christian Pander. Haben Sie dafür eine Erklärung?

Jansen: Ich glaube, dass in der Nachwuchsarbeit inzwischen viel mehr Wert auf die Außenverteidiger-Position gelegt wird. Die wird im internationalen Fußball immer wichtiger: Die Abwehrbollwerke sind so perfekt, da kommt man oft nur noch mit Flügelspiel durch. Dazu braucht man gute Außenverteidiger.

SZ: Haben Sie das Gefühl, dass diese Erkenntnis in der Öffentlichkeit schon angekommen ist?

Jansen: Wenn ich ehrlich bin: nein. Ich glaube, dass man sich in Deutschland bisher viel zu wenig mit dem rechten oder linken Verteidiger befasst hat. Ich behaupte, dass vielen Leute das Rollenprofil gar nicht klar ist.

SZ: Das müssen Sie erklären.

Jansen: Der Begriff sagt es doch schon: In erster Linie sind wir Verteidiger. Als ich in Gladbach anfing, haben die Leute gesagt: Guck mal, ein echter Gladbacher Jung, wie der marschiert! Wenn ich von fünf Flanken vier hinters Tor gehauen habe, war das auch egal. Dann kam einmal Altintop über meine Seite, der war damals in Kaiserslautern und Führender der Torjägerliste, und ich war so stolz, dass ich ihn ausgeschaltet habe. Am nächsten Tag schaue ich in die Zeitung, und was sehe ich? Note vier!

SZ: Und was sagt Ihnen das?

Jansen: Ein moderner Außenverteidiger muss auch Qualitäten nach vorne haben, aber es darf nicht so sein, wie es oft dargestellt wird: Spielt der Außenverteidiger normal, kriegt er die Note drei, und wenn er eine einzige Flanke reinhaut und der Stürmer hat zufällig einen guten Tag und trifft, kriegt der Außenverteidiger eine Zwei. Wenn du aber die gleiche gute Flanke fünfmal schlägst und der Stürmer semmelt den Ball fünfmal drüber, kriegst du wieder eine Drei. Weil's kein Assist war! Aber was hab ich denn mit der Leistung des Stürmers zu tun? Ich will, dass meine Arbeit bewertet wird, und nicht das, was andere draus machen.

SZ: So gesehen, müssen Sie darauf achten, dass Sie immer mit guten Stürmern in einer Mannschaft spielen...

Jansen: Ja, aber das ist doch eigentlich zum Lachen, oder? Wenn ich eine schlechte Flanke schlage und drei Abwehrspieler rutschen aus und mein Stürmer trifft nur deswegen - krieg' ich dann eine Zwei? Diese Zwei will ich gar nicht!

SZ: Kann es sein, dass der Außenverteidiger jene Position ist, von der die Öffentlichkeit - außer vom Torwartspiel - am wenigsten Ahnung hat?

Jansen: Das ist definitiv so. Auf dieser Position besteht die Kunst darin, richtig zu dosieren: Wie oft gehe ich vor, wann bleibe ich hinten? Das ist auch das, was ich jeden Tag immer weiter lerne.

"Der hat ja nichts gemacht! Note vier!"

SZ: Wie sehr hilft es Ihnen da, in einer funktionierenden Bayern-Elf zu spielen?

Jansen: Das hilft extrem. Wenn man einen Spieler wie Ribéry vor sich hat, dann weiß man, dass der Ball wahrscheinlich ankommt, wenn man mal marschiert. Und genauso weiß man, dass man auch mal hinten bleiben kann, weil denen da vorne schon was einfallen wird.

SZ: Beim FC Bayern spielen Sie defensiver als sonst. Liegt das daran, dass Sie auf der wilden Seite spielen, mit Ribéry, Schweinsteiger, manchmal Zé Roberto?

Jansen: Wenn ich da auch noch nach vorne rase, dann wird's ja vogelwild. Ich muss mehr absichern, klar, aber dann heißt es gleich wieder: Der Jansen, der hat ja nichts gemacht. Note vier!

SZ: Im Moment heißt es, Sie seien nicht besonders in Form.

Jansen: Das ist genau das, was ich meine. Aber wie viele Tore hat die Bayern-Abwehr denn bisher kassiert? Drei! Zur Abwehr gehören nicht nur Innenverteidiger, da gehören auch zwei Außenverteidiger dazu. Völlig außer Form kann ich schon mal nicht sein.

SZ: Fühlen Sie sich im Moment ein bisschen falsch bewertet?

Jansen: Zumindest wundere ich mich manchmal, wenn ich ,,Form-Checks'' oder Ähnliches in Zeitungen lese. Wenn einer wie Ribéry vor mir spielt und ich habe drei gefährliche Vorstöße pro Spiel und ansonsten meine Seite im Griff - was soll daran nicht okay sein? Und diese drei Vorstöße hatte ich bisher in jedem Spiel.

SZ: Ist diese Saison beim FC Bayern für Sie eine Art Ausbildungsjahr auf höchstem Niveau?

Jansen: Die erste Ausbildungszeit war Gladbach, mit Druck, Abstiegskampf und vollem Haus. In München kommt jetzt die nächste Ausbildungsphase, in der ich den Sprung auf die internationale Ebene schaffen will.

SZ: Aber Ihr wahres Karriereziel ist, dass künftig alle Menschen verstehen, was ein Außenverteidiger zu tun hat.

Jansen: Das wäre ein Traum.

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