Süddeutsche Zeitung

Marcel Schmelzer in der DFB-Elf:"Man muss mich nicht anstacheln"

Noch kein Nationalspieler wurde von Bundestrainer Joachim Löw öffentlich so hart kritisiert und in Frage gestellt wie Marcel Schmelzer. Nun hat der Dortmunder beim 6:1 gegen Irland ein ordentliches Spiel gemacht. Die Frage bleibt dennoch, ob Löw dem Verteidiger langfristig vertraut.

Thomas Hummel, Dublin

Gut, dass es Menschen wie Thomas Müller gibt. Sie benötigen manchmal nur zwei humorige Sätze, um Luft aus einer Angelegenheit zu nehmen. Ob er denn Marcel Schmelzer im Spiel beobachtet habe, der nach der Kritik des Bundestrainers stark unter Druck stand? "Ja, ich hab ihn das ganze Spiel extrem beobachtet, das Fazit sieht sehr positiv aus. Ich wurde auch extra vom Präsidenten angesetzt, um Meldung nach oben zu erstatten", erklärte Müller.

Der Bayern-Profi zog den Sachverhalt mit seiner Übertreibung ins Lächerliche. Wieso sollte ausgerechnet er, der rechte Offensivmann, den linken Verteidiger beobachten? Und wieso sollte überhaupt ein Spieler den Kollegen Marcel Schmelzer während der 92 Minuten observieren?

Thomas Müller ist kein Typ, dem Kritik an die Seele geht. Er kann sogar - wie er selbst gerne betont - inmitten einer Partie vom ausgelachten Kreisligisten zum bewunderten Weltklasse-Spieler mutieren. Allerdings ist Thomas Müller auch noch nie von Bundestrainer Joachim Löw derart hart angegangen worden wie der Dortmunder Marcel Schmelzer.

Noch kein Spieler wurde von Löw je öffentlich so hart kritisiert und in Frage gestellt. Marcel Schmelzer ging kurz nach Müller von der Kabine des Aviva-Stadions in Dublin zum deutschen Mannschaftsbus. Er benötigte auch mehr Zeit, denn alle Medien des Fußballlandes wollten von ihm wissen, wie es ihm ergangen ist in den vergangenen Tagen und auf dem Platz. 6:1 hatte die DFB-Elf bei zunehmend schwachen Iren gewonnen, steht nun in der WM-Qualifikation mit neun Punkten an der Spitze der Gruppe C. Und das, obwohl der Bundestrainer einen Linksverteidiger aufstellen muss, den er gar nicht haben will.

Das zumindest war die Botschaft aus der Pressekonferenz, die Löw am Donnerstag gegeben hatte. Dort gab sich der Bundestrainer fast hoffnungslos wegen seines Linksverteidiger-Problems. Schmelzer habe zuletzt in Österreich schwach gespielt, aber viele Alternativen gebe es auch nicht, "also müssen wir mit Schmelzer die nächsten zwei, drei, vier, fünf Monate weiterarbeiten". Er könne sich ja niemanden schnitzen.

Noch am Donnerstagnachmittag provozierte das eine öffentliche Beschwerde des Dortmunder Geschäftsführers Hans-Joachim Watzke. "Ich fand die Kritik komplett kontraproduktiv. Ich habe mich darüber geärgert und habe diesem Ärger auch deutlich Ausdruck verliehen", sagte er.

Das Verhältnis zwischen den Dortmundern und dem DFB-Trainerstab ist ohnehin gestört, weil Löw bei der EM bis auf die Ausnahme Mats Hummels stets dem Bayern-Block den Vorzug gab. Wie spielt nun jemand, der vom Trainer öffentlich zu hören bekommt, dass er nicht viel mehr als eine ungeliebte Notlösung ist? Schmelzer hatte einen schwierigen Beginn, foulte gleich einen Gegenspieler und verursachte einen Eckball.

Doch dann war es auch seine Zweikampfführung, die den Gastgebern den Mut nahm. Dazu bereitete der Linksverteidiger mit einem Lauf hinter die dichte irische Abwehr das wichtige 1:0 vor, vor dem 2:0 eroberte er hinten links gegen drei Iren den Ball. In Anbetracht der Umstände zeigte Schmelzer eine sehr ordentliche Leistung.

Zwischen Kabine und Mannschaftsbus erklärte er mehrmals seine Stimmungslage. Es sei das erste Mal gewesen, dass er öffentlich so kritisiert worden sei, "aber ich habe viel Unterstützung von den Mitspielern und auch aus Dortmund bekommen. Das hat mir sehr geholfen", sagte er. "Ich musste das ausblenden und versuchen, mein Spiel durchzuziehen. Ich durfte mich nicht beeinflussen lassen." Da sprach ein schüchterner 24-jähriger Fußballprofi, er wog bisweilen jedes Wort ab und sah die Fragesteller selten an.

Die Karriere des gebürtigen Magdeburgers hatte in den vergangenen Jahren einen völlig unerwarteten Aufstieg genommen, Schmelzer war von Trainer Jürgen Klopp 2008 aus der Regionalliga-Mannschaft in den Profikader geholt worden und hatte sich seitdem rasant zu einer Spitzenkraft links hinten entwickelt. Bayern-Stürmer Arjen Robben sah in den direkten Duellen stets furchtbar schlecht auch und so verdankten die Borussen ach der Spezialkraft hinten links zwei Meistertitel plus Pokalsieg.

Doch der Wechsel aus der heimeligen Borussia in die Nationalmannschaft gelingt nur stotternd. In Dortmund würden sie sagen: Weil Joachim Löw diesem Schmelzer misstraut, ihn nicht fördert, sondern ihm ständig seine Schwächen vorhält. "Man muss mich nicht anstacheln. Ich gebe in jedem Spiel mein Bestes, manchmal klappt es halt nicht, aber oft klappt es gut", erklärte Schmelzer fast kleinlaut.

Und wie beurteilte Joachim Löw den Auftritt des Gescholtenen? "Er hat absolut seine Aufgabe erfüllt", sagte er. Und fügte an, dass die ganze Angelegenheit ohnehin ganz anders gelagert sei. "Wir vertrauen ihm, weil er gute Fähigkeiten hat. Ich bin da ein bisschen falsch verstanden worden."

Gegen Schweden am Dienstag in Berlin kehrt Kapitän und Außenverteidiger Philipp Lahm nach seiner Gelbsperre zurück in die Mannschaft. Mal sehen, ob Löws Vertrauen in Marcel Schmelzer so groß ist, dass er dann auch wieder von Beginn an spielen darf.

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