Marc-André ter Stegen in Barcelona:Torwart made in Germany

Marc-André ter Stegen FC Barcelona Borussia Mönchengladbach

Exportschlager? Vielleicht. Marc-André ter Stegen in Barcelona.

(Foto: Bongarts/Getty Images)

Torhüter aus Deutschland wurden weltweit immer bewundert, aber ein Exportschlager waren sie erstaunlicherweise nie. Mit seinem Wechsel zum FC Barcelona könnte Marc-André ter Stegen den deutschen Keeper im Ausland jetzt salonfähig machen.

Von Christof Kneer

Die Bilder von Manuel Neuer mit Armschlinge hat Marc-André ter Stegen natürlich gesehen, aber zurzeit geht er nicht davon aus, dass die Bilder seinen Sommer verändern werden. Sein Sommer wird ja aufregend genug, auch ohne eine WM in einem Land namens Brasilien, in dem sie den Wert von Torhütern sowieso nicht verstehen. Ter Stegen steht nicht auf der vorläufigen Kaderliste von Joachim Löw, er ist der Torwart, den man sich in Klammern dazudenken muss.

Beim Polen-Länderspiel ist er kürzlich dabei gewesen, womit sein Status quasi aktenkundig ist: Er ist der Mann, der ins Tor darf, wenn Manuel Neuer und Roman Weidenfeller wegen eines Pokalfinales fehlen und Ron-Robert Zieler nur eine Halbzeit spielen soll. Zieler ist nicht so spektakulär begabt wie ter Stegen, aber er verfügt in seltener Vollständigkeit über die Tugenden "Qualität", "Unauffälligkeit" und "Diskretion" - Muster-Eigenschaften eines dritten Torwarts, dessen Jobprofil es ist, gut zu trainieren, unfallfrei die Ersatzbank anzusteuern und keine Interviews zu geben.

Marc-André ter Stegen ist viel zu außergewöhnlich für diese Rolle. Einer, der so viel Temperament besitzt und im Spiel täuschend echte Kahn-Grimassen schneiden kann, muss erster Torwart sein. Sollte sich Manuel Neuers Schulter wider Erwarten doch nicht als turniertauglich erweisen, würde ter Stegen als Nachrücker doch noch in Löws WM-Kader rutschen, aber um seinem Sommer einen Sinn zu geben, braucht er die WM nicht unbedingt.

Marc-André ter Stegen muss sich im Sommer vorbereiten. Er muss sich hineindenken in das, was kommen wird. Ter Stegen, 22, wechselt im Sommer von Mönchengladbach zum FC Barcelona.

Es war nicht viel mehr als eine Vollzugsmeldung, die der FC Barcelona jetzt herausgegeben hat, die Branche weiß seit geraumer Zeit Bescheid. Der Abschied von Torwart Victor Valdes, 32, steht lange fest, der Abschied seines Stellvertreters José Manuel Pinto, 38, ebenfalls, auch ter Stegens Wechsel gilt seit Monaten als verabredet. Aber in Barcelona haben sie erst das Ende des Titelkampfes abgewartet, bevor sie mit Verkündungen aller Art an die Öffentlichkeit gegangen sind.

Ob die Öffentlichkeit aber mitbekommen hat, dass bald ein spektakulärer Keeper mit einem Fünfjahres-Vertrag und dem Talent zur Kahn- Grimasse in die Stadt kommt? Seitenweise berichten die Zeitungen über die Rückkehr des früheren Spielers Luis Enrique, der jetzt Trainer bei Barça wird. Gründlich berichten sie über den 20-jährigen Stürmer Gerard Deulofeu, der nach einem Auslandssemester in Everton heimkehrt.

Über Marc-André ter Stegen berichten die Zeitungen, als sei er Ron-Robert Zieler. Er kommt in den Geschichten nur am Rande vor, auch auf der Homepage des FC Barcelona steht er im Kleingedruckten.

Torhüter sind nicht sexy

Marc-André ter Stegen ist der vielleicht modernste Torwart, den das gute, alte Torwartland Deutschland je hervorgebracht hat, aber in einem Punkt ist er ganz nah bei den großen Alten. Im eigenen Land ist die "Eins" eine große Nummer, aber sobald die große Nummer das Land verlässt, rangiert sie nur noch "unter ferner hielten".

Seit Menschen begonnen haben, Handel zu treiben, zählt der Torwart made in Germany zu den herausragenden Produkten am Markt, und doch war er eines erstaunlicherweise nie: ein Exportartikel. Abgesehen von der Rumpel-Ära der Nullerjahre haben sich ausländische Ligen immer gerne mit deutschen Profis eingedeckt, begehrt waren nicht nur Stürmer wie Völler oder Klinsmann und Mittelfeldspieler wie Netzer oder Matthäus, sondern auch Abwehrspieler wie Briegel oder Kohler.

Aber Torhüter?

Es gibt deutsche Torhüter, die im Ausland Karriere gemacht haben, der legendäre Bert Trautmann bei Manchester City, der ein bisschen legendäre Jens Lehmann beim FC Arsenal, der nur minimal legendäre Bodo Illgner bei Real Madrid. Es gibt auch welche, die eine gute Zeit da draußen hatten, der laute Toni Schumacher auf seine alten Tage bei Fenerbahçe Istanbul oder der leise Stefan Klos bei den Glasgow Rangers. Aber wirklich eine Ära geprägt hat keiner von ihnen. Kein deutscher Torwart bildet ein Wortpaar mit einem ausländischen Spitzenklub - so wie Netzer/Real Madrid, Breitner/Real Madrid oder Matthäus/Brehme/Klinsmann/Inter Mailand. Im Ausland haben sie deutsche Torhüter zwar immer bewundert, aber sie kamen selten auf die Idee, sie auch zu kaufen. Ihre Millionen haben die Klubs lieber in Spieler gesteckt, mit denen man bei den Fankurven angeben kann.

Stürmer sind Abenteurer, Mittelfeldspieler sind Künstler, Abwehrspieler sind Krieger. Aber ein Tormann ist bloß ein Tormann. Torhüter sind nicht sexy. Marc-André ter Stegen kann Grimassen schneiden wie Olli Kahn, aber abseits des Rasens ist er von beachtlicher Nüchternheit. Er kennt die Gefahren, die deutschen Keepern in der Welt drohen, er weiß, dass viele da draußen nicht glücklich geworden sind. Lehmann flüchtete beim AC Mailand bald, Andreas Köpke landete nach einigen Turbulenzen in Marseille statt in Barcelona, Robert Enke geriet in Barcelona an van Gaals grenzwertigen Torwarttrainer Frans Hoek. Und Timo Hildebrand scheiterte in Valencia auch deshalb, weil der Trainer, der ihn wollte, bald nicht mehr da war.

Ter Stegen hat nun die schöne Aufgabe, die neue deutsche Torwartgeneration im Ausland salonfähig zu machen, aber auch er begegnet jetzt einem Trainer, der mit seiner Verpflichtung nichts zu tun hatte. Luis Enrique wolle drei gleichwertige Torhüter haben, raunen die Zeitungen schon, es fallen bekannte Namen wie José Reina, Willy Caballero und sogar Thibaut Courtois. Das klingt fast wie der Anfang einer dieser unglückseligen deutschen Torwartgeschichten, aber ter Stegen hat einen entscheidenden Vorteil. Sein Förderer bei Barça, Sportdirektor Andoni Zubizarreta, ist vom Fach. Er war mal spanischer Nationaltorwart.

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