Marathon:Nur der Weltrekord versinkt im Berliner Regen

Athletics - Berlin Marathon

Kurzer Spurt, knapp vor dem Ziel: Eliud Kipchoge entscheidet den 44. Berlin-Marathon scheinbar mühelos.

(Foto: Michael Dalder/Reuters)
  • Der Kenianer Eliud Kipchoge trotzt den schwierigen Bedingungen beim Berlin-Marathon und gewinnt vor dem starken Debütanten Guye Adola.
  • Kipchoge festigt seine Stellung als Bester der Gegenwart - nur der Weltrekord will nicht fallen.
  • Seinen Erfolg verdankt er einem verblüffend einfachen Leben.

Von Johannes Knuth, Berlin

Eliud Kipchoge aus Eldoret in Kenia hatte sich gut gefühlt, den ganzen Sonntagvormittag schon.

Er hatte sich mutig mit der Spitzengruppe ins Rennen gestürzt; sie liefen die ersten Kilometer in 2:45 Minuten, Weltrekordtempo. Er ließ sich nicht die Laune davon verhageln, dass über Berlin dichte Wolken hingen und die Straßen von Pfützen gesäumt waren, so dass bei jedem Schritt Wasser an die Beine spritzte und die Wärme aus den Muskeln trieb. Er wusste nach wenigen Kilometern, dass es mit dem Weltrekord nichts werden würde, also widmete er alle Gedanken dem Sieg. Er hatte nach 30 Kilometern nur noch Guye Adola im Schlepptau, einen erfahrenen Halbmarathonläufer aus Äthiopien, der sich noch nie auf den Marathon gewagt hatte. Kipchoge verfiel auch nicht in Panik, als Adola sich nach 36 Kilometern davonstahl, ganz kurz. Er traf schließlich nach 2:03:34 Stunden im Ziel ein, Adola nach 2:03:47, so schnell war noch niemand seinen ersten Marathon gelaufen. Aber diesem 32 Jahre alten Topläufer war nicht beizukommen; die Organisatoren hätten die letzten Kilometer in die Spree verlegen können, Kipchoge hätte vermutlich auch im Freistilschwimmen gewonnen.

"Das war mein bislang härtester Marathon", sagte er später, "aber ich habe jede Minute davon genossen."

Gut, ein wenig war der 44. Berlin-Marathon schon vom Skript abgewichen. Die Organisatoren hatten einen Dreikampf um den Weltrekord ausgerufen, zwischen Kipchoge, Landsmann Wilson Kipsang und Äthiopiens Edelläufer Kenenisa Bekele. Aber Bekele verließen schon zur Halbzeit die Kräfte, er stieg aus, und Kipsang blieb nach 30 Kilometern einfach stehen. Den Weltrekord verpasste Kipchoge freilich auch, die 2:02:57 Stunden, die Dennis Kimetto vor drei Jahren in den Berliner Herbst gemalt hatte. "Ein bisschen schade", fand Renndirektor Mark Milde. Aber das war vielleicht gar kein schlechtes Zeichen für eine Szene, die nach diversen Dopingaffären unter chronischem Glaubwürdigkeitsmangel leidet. Ein Weltrekord lässt sich halt nicht so einfach verrücken, schon gar nicht auf nassen Straßen. Und während bei den Frauen die Kenianerin Gladys Cherono gewann (2:20:23), nutzte Kipchoge den Sonntag, um eine beeindruckende Botschaft zu unterstreichen: dass er die Vergangenheit und Gegenwart des Marathons ist, vermutlich auch noch ein bisschen die Zukunft.

Er selbst würde derartige Ansprüche freilich nie erheben, er redet wenig und sanft, Allüren sind ihm fremd. Seine Frau und Kinder wohnen in einer geräumigen Wohnung in Eldoret, Kipchoge aber, der mehrfache Millionär, trainiert die meiste Zeit in einem einfachen Camp im kenianischen Kaptagat, auf 2400 Metern. Er steht um fünf Uhr morgens auf, eine Dreiviertelstunde später schiebt er sich über die ruppigen, aschroten Pisten, bis zu zwölf Läufer im Schlepptau, Weltklassemänner wie Abel Kirui und Geoffrey Kamworor. Ein Dauerlauf dauert bis zu 30 Kilometer, 3:10 Minuten pro Kilometer. Später, nach der zweiten Einheit des Tages, kümmern sich die Läufer um das Camp, die einen sammeln Gemüse für das Abendessen, Kipchoge, der Millionär, holt derweil schon mal Wasser aus dem nächstgelegenen Brunnen oder putzt die Toiletten. Während seine Konkurrenten ihm mit wissenschaftlicher Hilfe beikommen wollen, sucht Kipchoge die Raffinesse in der Einfachheit.

Wer an der Spitze bleiben will, muss die Entbehrung suchen, so sieht er das.

Die Reputation von Kipchoges Manager ist angekratzt

Natürlich hat auch Kipchoge die Berichte über den Pharmabetrug in Afrikas Szene vernommen, die prominenten Fälle der Marathonläuferinnen Rita Jeptoo und Jemima Sumgong. Auch die Reputation von Kipchoges Manager ist mittlerweile angekratzt, der Niederländer Jos Hermens schickte seine Athleten laut ARD-Recherchen früher auch in die Freiburger Sportmedizin (was Hermens bestätigt), wo sie laut ARD auch von Lothar Heinrich beraten wurden, über Epo und Wachstumshormon (was Hermens abstreitet, sowohl den Kontakt als auch jegliches Doping). "Doping macht mich wütend", sagt Kipchoge, "die Athleten sollten hart arbeiten, anstatt nur an Geld zu denken. Es ist nur ein Bruchteil, der dopt." Er selbst werde auch ständig kontrolliert, oft zwei Mal im Monat, weil die Veranstalter der großen Stadtmarathons zusätzliche Kontrollen finanzieren. "Ich glaube an gutes Training, an gutes Laufen, und ich liebe den Sport", sagte Kipchoge noch in Berlin. "Das pusht mich immer wieder."

Der 32-Jährige kam im Alter von 18 auf die Bahn, gewann mit 19 WM-Gold in Paris über 5000 Meter, vor einem gewissen Kenenisa Bekele. Kipchoge reihte daran olympisches Silber und Bronze, verließ die Bahn mit großer Tempohärte über 5000 Meter (12:46 Minuten) und 10 000 (26:49). Seit 2013 herrscht er über den Marathon. Er hat acht seiner neun Auftritte gewonnen, in Berlin, Chicago und London, wo er seine Bestzeit auf 2:03:05 Stunden drückte, sicherte sich 2016 in Rio olympisches Gold. Nur dieser verflixte Weltrekord fehlt ihm noch im Lebenslauf. Im vergangenen Mai lief er in Monza 2:00:25 Stunden, aber das war eine Art Laborversuch seines Ausrüsters mit Dutzenden Tempomachern auf einem Rundkurs, das widersprach den Auflagen des Weltverbands. "Der Rekord ist noch immer ganz vorne in meinem Kopf", versicherte Kipchoge am Sonntag. Er fühlt sich gerade ziemlich gut, am Sonntag und überhaupt in seinem Läuferleben.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: