Leichtathletik-WM:Nachts Marathon in der Sauna laufen

Leichtathletik-WM: Athleten testen vor WM-Beginn schon einmal die Strecke an Dohas Strandpromenade.

Athleten testen vor WM-Beginn schon einmal die Strecke an Dohas Strandpromenade.

(Foto: AP)
  • Der Marathon bei der WM in Doha wird zur Belastungsprobe.
  • Er startet in der Nacht auf Samstag, mit quälend hoher Luftfeuchtigkeit.
  • Die drängendste Frage lautet diesmal nicht, wer das Rennen von den 70 Läuferinnen gewinnt. Sondern nur: Wie viele kommen an?
  • Hier geht's zum Zeitplan der Leichtathletik-WM.

Von Saskia Aleythe, Doha

Zur Not muss man es machen wie Fred Lorz: Der Amerikaner ließ sich bei einem Marathon in St. Louis zwischendurch einfach mal 18 Kilometer lang in einem Auto mitnehmen. Es war heiß dieser Tage, von 32 Startern kamen nur 14 Läufer ins Ziel, etliche kollabierten. Lorz wollte nicht dazu gehören, ein paar Kilometer vor dem Ende stieg er wieder aus und rannte schließlich als Erster ins Ziel. Und so dachte man, in diesem Olympischen Marathon von 1904 den chaotischsten aller Zeiten erlebt zu haben. Was die Wetterverhältnisse angeht, kann einer jetzt auf jeden Fall mithalten: Der Marathon bei der WM 2019 in Doha, mitten in der Nacht rennen an diesem Freitag die Frauen los, es ist die erste Entscheidung dieser Weltmeisterschaft.

Angepriesen wird das Rennen spektakulär, der Leichtathletik-Weltverband wirbt auf seiner Veranstaltungsseite mit "einzigartigen Umständen" auf einer unter Flutlicht beleuchteten Strecke, "entlang der Küste von Dohas berühmter Strandpromenade, (...) vor der riesigen Skyline der Hauptstadt." Einzigartige Umstände sehen dann so aus: 33 Grad und eine Luftfeuchtigkeit von 74 Prozent sagen die Wetterprognosen voraus, wenn der Marathon der Frauen um 23.59 Uhr gestartet wird. Und die drängendste Frage lautet diesmal nicht, wer das Rennen von den 70 Läuferinnen gewinnt. Sondern nur: Wie viele kommen an?

"Das ist wie in einer Sauna, aber komplett angezogen"

Tagsüber sind es auch Ende September in Doha noch fast 40 Grad, deswegen haben die Organisatoren das Rennen mitten in die Nacht verlegt. Durch die erhöhte Luftfeuchtigkeit zur Geisterstunde wird die Belastung aber wieder größer, die gefühlte Temperatur soll um 1 Uhr bei 40 Grad liegen. "Jeder, der schon mal gerannt ist, weiß, dass man mit Hitze klarkommen kann, aber Luftfeuchtigkeit ist ein großes Problem", sagte Sebastian Coe, ehemaliger Mittelstrecken-Läufer und gerade erst wieder gewählter Präsident des Leichtathletik-Weltverbandes. Man habe das medizinische Personal an der Strecke aufgestockt. Und: "Wir stellen mehr Wasser zur Verfügung." Na dann.

Die Belastung, die 42,195 Kilometern durchzustehen, ist schon bei optimalen Temperaturen enorm. Ab etwa 30 Grad lässt die Leistungsfähigkeit schon nach, die Muskeln erhitzen sich durch die Anstrengung zusätzlich. "Bei allen Strecken ab 10 000 Metern ist Hitze- und Flüssigkeitsmanagement immens wichtig, weil wir medizinisch sehr sehr große Probleme bis zum Kollaps haben können", sagt Andrew Lichtenthal, der deutsche Leichtathletik-Verband (DLV) hat den Teamarzt vorsorglich am Donnerstag zur Pressekonferenz gebeten. Hitze ist ja das große Thema in Doha. "Wenn die Körperkern-Temperatur zum Teil über 40 Grad Celsius steigt, das kann kurzfristig toleriert werden", sagt Lichtenthal, "wenn die aber immens weiter steigt, kriegen wir Herz-Kreislauf-Probleme." Und zu viel Wasser trinken, kann dann auch zum Problem werden, wenn die Elektrolyte fehlen.

Ein bisweilen gefährliches Austesten, was der Körper leisten kann

Wer in Doha vor die Tür geht, hat schon ohne Bewegung nicht übermäßig viel Freude am Leben, jeder Atemzug strengt an. "Das ist wie in einer Sauna, aber komplett angezogen", stellte DLV-Präsident Jürgen Kessing fest, "das macht keinen Spaß". Tatsächlich kann man sich an das Laufen bei hohen Temperaturen auch gewöhnen, im Idealfall sollten Sportler zwei Wochen vor dem Wettkampf schon unter gleichen Bedingungen trainieren. "Das ist nur in den meisten Fällen nicht möglich", sagt Lichtenthal, deswegen kann auch mit anderen Methoden nachgeholfen werden: heiße Bäder nach dem Training oder Sauna-Gänge. Direkt vor dem Wettkampf werden sie "Pre-Cooling" betreiben: Kühlwesten tragen, gekühlte Mützen und Trikots. Und doch wird sich erst in der Nacht auf Samstag zeigen, wie gut der Körper die Umstände wirklich verträgt: Einen ganzen Marathon rennt in der Vorbereitung niemand. Es wird ein extrem taktisches Rennen, ein bisweilen gefährliches Austesten, was der Körper leisten kann.

Eine Hilfe soll die neu angebotene Hitzepille sein, mit der die Athleten Informationen über die Temperatur des Körperinneren bekommen können. "Ich bin eindeutig ein Befürworter dieser Kapsel", sagt Teamarzt Lichtenthal, die deutschen Geher werden am zweiten Tag der WM über 50 Kilometer die Pille schlucken, beim Marathon starten keine Deutsche. Über ein Gerät, das von außen gesteuert wird, soll die Temperatur ablesbar sein. Lichtenthal erhofft sich darüber auch Rückschlüsse über Darmaktivitäten, die bei zu großer Hitze zu Leistungseinbrüchen führen können.

Wie viele Zuschauer sich zwischen 0 und drei Uhr einfinden werden?

Und so begreifen viele den Marathon in Doha auch als Test für Tokio in einem Jahr. Die Luftfeuchtigkeit soll bei den Olympischen Spielen noch höher sein. "Meine Meinung ist, dass Sportveranstaltungen in einer angenehmen Umgebung stattfinden müssen", sagte Kimiyuki Nagashima, Vorstandsmitglied des japanischen Mediziner-Verbandes, der Nachrichtenagentur AFP, der heiße Sommer in Tokio sei "nicht für Outdoor-Sportarten geeignet, auch nicht für deren Zuschauer". Wie viele Zuschauer sich wohl in Doha zwischen 0 und drei Uhr nachts an der "berühmten Strandpromenade" einfinden werden?

Für den Amerikaner Fred Lorz war die Freude 1904 übrigens nur von kurzer Dauer: Sein Schwindel flog auf, der Zweitplatzierte Thomas Hicks bekam Gold. Bei 33 Grad und einer Luftfeuchtigkeit von fast 90 Prozent kollabierte er zwischenzeitlich, sein Trainer brachte ihn wieder auf die Beine: Mit einem fast lebensgefährlichen Cocktail aus Strychnin, Brandy und rohen Eiern.

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