Maradona Coach in Argentinien:Gott kommt nach Hause

  • Die Ankunft von Diego Maradona als Trainer von Gimnasia La Plata versetzt Argentinien in Begeisterung.
  • Doch die Frage ist, ob ausgerechnet er den Tabellenletzten der heimischen Liga retten kann?

Von Javier Cáceres

Niemand ist wie Diego Maradona, nichts wie Argentinien. Allenfalls Neapel noch, wie in der monumentalen Dokumentation von Asif Kapadia nachgezeichnet wird, die gerade in den deutschen Kinos angelaufen ist, unter dem Titel: "Diego Maradona".

Am Sonntag gab es etwas zu sehen, das wie ein Remake der irrwitzigen Bilder der 1980er-Jahre anmutete. Nur: diesmal nicht in grobkörnigen Bildern auf einer Leinwand. Sondern in HD. Als Diego Maradona in der Universitäts- und Arbeiterstadt La Plata, der Hauptstadt der Provinz Buenos Aires, als neuer Trainer von Gimnasia y Esgrima vorgestellt wurde, und das Stadion sich mit 25 000 Ergebenen füllte, die ihrem Gott huldigten. Proportionslos und erschaudernd.

"D10s" war auf Transparenten, auf T-Shirts und Tattoos zu lesen - das unnachahmliche Kompositum aus "Dios" (Gott) und Maradonas ewiger Rückennummer "10". Es war ein Akt der Ehrfürchtigkeit, und auch einer aufrichtigen und erdrückenden Liebe; die er in seinem fast 59 Jahre währenden, ihn selbst und andere verzehrenden Leben so oft ertragen hat: "Maradona: Du bist der Kuss meiner Mama", stand auf einem der unzähligen Laken, die in ein Stadion getragen wurden, das sich in Zeiten, die zur Resignation einladen, zu einem Hort verzweifelter Zuversicht verwandelte.

Tabellenletzter ist Gimnasia, dem Untergang geweiht. Das Problem ist nicht einmal, dass der Klub in dieser Saison nur einen von 15 möglichen Punkten geholt hat. Sondern, dass er dem Abstieg ohnehin kaum noch entrinnen kann. In Argentinien ist für den Klassenverbleib der Punktedurchschnitt der jeweils drei letzten Spielzeiten maßgeblich, und die waren desaströs gewesen: Gimnasia holte 57 Punkte aus 57 Spielen.

Dass Maradona ein guter Trainer wäre, muss er zwar nach bislang sechs Anläufen in Argentinien, Arabien und Mexiko noch beweisen. Aber hey! Wer sollte den Verein retten, wenn nicht er, der in Sachen Wiederauferstehung mitreden kann wie kaum ein Zweiter? Der so oft auf verfrüht veröffentlichte Todesmeldungen gespuckt hat wie er? "Seine Rüstung als Volksheld ist rostbeständig", schrieb die Zeitung La Nación am Montag; das zahlt sich aus.

Seit Ende der vergangenen Woche feststand, dass Maradona Trainer würde, begrüßte Gimnasia 3000 neue Mitglieder, im Fanshop waren die flugs fabrizierten Maradona-Devotionalien im Nu ausverkauft. Und in La Plata entlud sich ein Potpourri aus all dem, was Maradonas Leben ausmacht. Drama, Erinnerungen, Sehnsucht, Tränen, zum Bersten gespannte Brustkörbe. Auf den Rängen, auf dem Rasen.

"Als ich das Feld betrat, dachte ich, mein Herz würde platzen. Ich habe mich wie im Himmel gefühlt", sagte er, und das waren keine Floskeln. Sondern ein Hinweis darauf, dass er sich seiner eigenen Endlichkeit so nahe fühlt wie nie zuvor. "Ich brauchte das, die letzten Jahre meines Lebens in Argentinien zu verbringen", erklärte er. Und fügte fast im gleichen Atemzug an, dass er mit "der Tota" gesprochen habe, seiner Mutter, die er 2011 zu Grabe getragen hatte, und die ihm zu Lebzeiten gesagt hatte, dass er sich ja nicht "von dieser Scheiße umbringen lassen" solle, also von dem ganzen Koks, das er sich über die Jahre hinweg in die Nase geschaufelt hat. "Und hier stehe ich. Aufrecht", sagte Maradona.

Das stimmt, auch wenn die Beine immer wackliger werden, wie die Zuschauer von zwölf TV-Sendern sehen konnten, so viele übertrugen live. Zum Mittelkreis musste Maradona in einem Golfwagen kutschiert werden - ein Tribut an die Exzesse, die ihn zu einer Art faszinierend fehlbarem Gott voller Widersprüche werden ließen. Und der genau deshalb faszinierend blieb.

Nie spülte er den Schlamm seiner ärmlichen Herkunft ab, wie der Schriftsteller Eduardo Galeano einmal sagte; seine Dribbelkunst wusste er nur auf dem Rasen zu zelebrieren, nie aber, wenn er irdischen Versuchungen jedweder Art ausgesetzt war, seien es Sex & Drugs & Crime & Politics. Auch letztere war allgegenwärtig: Die Schwester der früheren Präsidentin Cristina Fernández de Kirchner, gerade im Wahlkampf befindlich, überreichte ihm eine Kette samt Anhänger von der Mutter, einst eine glühende Gimnasia-Anhängerin, und fiel ihm, dem erklärten Cristina-Fan, weinend um den Hals.

Maradona ledert gegen alle

Und wer weiß, ob die anstehenden Wahlen auch eine Rolle spielten, als der rechte TV-Moderator Jorge Lanata behauptete, Maradonas Verpflichtung sei das Werk eines Spielerberaters, der Drogengeld wasche und Maradona schon nach Sinaola vermittelt habe, der Heimat von El Chapo, dem mexikanischen Drogenbaron. Denn Maradona ist ein politischer Faktor, immer schon gewesen.

So wie er einst gegen jedwedes Establishment anwetterte, vom Fußballweltverband Fifa bis zum Vatikan, ledert er gegen den derzeitigen Staatspräsidenten Mauricio Macri, wirft ihm vor, dass unter ihm die Zahl der Hungernden gestiegen ist im Lande des Korns und Rindfleischs. Aber der Fußball, er bleibt unbefleckt. Sagt jedenfalls Maradona, mit anderen Worten: "Hier wird weder mit Maschinengewehren noch mit Revolvern gespielt. Hier wird eine Flanke von hinten geschlagen und der Kamerad gepusht, damit wir alle zusammen feiern können", rief er den Fans im Stadion zu, die voller Gläubigkeit und Inbrunst johlten. Obwohl auch sie es besser wissen müssten.

Denn es trifft sich wohl nicht so schlecht, dass Maradona einen Assistenten zur Seite gestellt bekommen hat, der übrigens ein Fan von Jürgen Klopp (FC Liverpool) ist: Sebastián Méndez. Die Ideen, die Maradona vor den Journalisten aneinanderreihte, waren irrlichternd und zusammenhangslos. Obwohl er vor allem durch die eigene Biografie galoppierte, die ihm vertraut sein sollte, verlor er immer wieder den Faden. "Wo waren wir gerade?", fragte er, erstaunlich oft.

Wo er gerade war? Beim 0:4 gegen Deutschland im WM-Viertelfinale von 2010 zum Beispiel, das sein Ende als argentinischer Nationaltrainer bedeutete, oder beim Freistoßtraining mit seinem Nachfolger Leo Messi, der damals so viel Pech gehabt habe, dass er alle gegnerischen Torhüter zu Topspielern machte. Von der Dopingsperre bei der WM 1994 redete er auch, und davon, dass der Weltverband Fifa, wie er sagte, Argentinien erst dabeihaben wollte, um durch Maradona, den schon damals legendären Weltmeister von 1986, Tickets zu verkaufen, und ihn "säuberte", als die Stadien in den USA voll waren.

Die eine oder andere Verwechslung gab es auch: Am Wochenende spielt Gimnasia gegen Racing, nicht gegen River; und der Stürmer, der Gimnasia im Jahr 1995 mit einem Tor um einen Meistertitel brachte "und hinterher nicht mal mehr bei seiner Frau traf", wie Maradona behauptete, hieß Mazzoni. Nicht Cozzoni. Doch wer würde ihm das in Argentinien nicht verzeihen? "Ich möchte dieses Land lächelnd sehen. Und ich sehe es nicht lächelnd", sagte Maradona.

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