Manchester United:Der seltsame Fall des Marcus Rashford

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Sprechen eher aneinander vorbei als miteinander: Stürmer Marcus Rashford (links) und United-Trainer Rúben Amorim.
Sprechen eher aneinander vorbei als miteinander: Stürmer Marcus Rashford (links) und United-Trainer Rúben Amorim. (Foto: Justin Setterfield/Getty Images)

Von Englands Darling zum Spekulationsobjekt: Der einstige Fan-Liebling Marcus Rashford ist bei Manchester United und Trainer Rúben Amorim in Ungnade gefallen und forciert einen Wechsel.

Von Sven Haist, London

Obwohl Marcus Rashford gerade nicht mehr im Spieltagskader von Manchester United steht, dominiert er die Schlagzeilen im Klub. Auch nach der Pleite am zweiten Weihnachtsfeiertag gegen Wolverhampton (0:2) wurde United-Trainer Rúben Amorim zur Situation des Stürmers befragt. Wenn der Spieler nicht hier sei, könne man sich die Gründe selbst zusammenreimen, sagte Amorim. Dann ergänzte er, diese seien immer noch dieselben wie kürzlich. Als der Trainer erstmals auf eine Berufung des 27-Jährigen vor dem Manchester-Derby vor zwei Wochen verzichtet hatte, begründete er die Entscheidung ausführlich: Er beachte bei seiner Wahl alle Kriterien, die Trainings- und Spielleistung eines Profis, das Verhalten in der Mannschaft, die Professionalität, das Erscheinungsbild, sagte der Portugiese. Seinerzeit stellte Amorim Rashford eine kurzfristige Rückkehr in Aussicht.

Allerdings schien Rashford die Nichtberücksichtigung nicht zu akzeptieren. Zwei Tage später konterte er im Rahmen eines Interviews bei einem Schulbesuch, dass er „für eine neue Herausforderung bereit“ sei. Damit meinte er unzweifelhaft einen Wechsel zu einem anderen Verein. Die Reaktion missfiel Amorim, er kanzelte daraufhin den Spieler ab: Er hätte in einer solchen Situation erst mal „mit dem Trainer“ gesprochen, sagte er. Seitdem wirkt das Verhältnis belastet, Spekulationen um einen Abschied von Rashford in der am 1. Januar beginnenden Wintertransferperiode halten sich hartnäckig wie Weihnachtsspeck.

Eine Trennung könnte tatsächlich beiden Seiten dienen – zuletzt sah es so aus, als würden sich Rashford und United gegenseitig herunterziehen. Nach dem Rücktritt des allmächtigen Trainers Alex Ferguson 2013 avancierte Rashford zum neuen Liebling der Fans. Schon mit neun Jahren schloss sich der gebürtige Mancunian dem Verein an. Sein Profidebüt für United gab er im Februar 2016, seitdem kommt er auf 201 Torbeteiligungen in 426 Pflichtspielen für den Klub. Nur ganz wenige Spieler können wie er Geschmeidigkeit, Ballgewandtheit und Furcht einflößende Geschwindigkeit mit der Fähigkeit kombinieren, mit beiden Füßen hart und präzise zu schießen. Nicht mal Erling Haaland kann das.

Für viele Jahre ging Rashfords Karriere nur in eine Richtung: immer weiter nach oben. Er wurde durch sein soziales Engagement in der Corona-Zeit zu einem nationalen Idol in England, alle Kinder schauten zu ihm auf, obwohl er so früh in seiner Laufbahn in gewisser Weise selbst noch eins war. Bei der Heim-EM 2021 bot sich ihm sogar die historische Chance, das englische Nationalteam erstmals seit Menschengedenken zu einem Titel zu schießen. Die Three Lions lagen im Elfmeterschießen gegen Italien in Führung, Kane und Maguire hatten getroffen – als Rashford die Nerven versagten. Weil England letztlich wegen zweier weiterer Fehlversuche verlor, wurde Rashford zum Sündenbock und zur Zielscheibe von rassistischen Anfeindungen. Rashfords Wurzeln liegen im Karibikstaat St. Kitts and Nevis.

Bei seiner Rückkehr zum Klub aus dem Sommerurlaub wartete nach der EM die nächste unerfreuliche Nachricht: Es hieß bei United auf einmal nicht mehr wie in all den Jahren immer „R wie Rashford“ – sondern jetzt „R wie Ronaldo“. Der Verein hatte überraschend Weltstar Cristiano Ronaldo zurückgeholt. Alles drehte sich fortan um den egozentrischen Portugiesen. Rashford kam in der ganzen Saison auch deshalb nur auf fünf Tore, weil die Spielweise ganz auf den alternden Star zugeschnitten war. Ein Jahr später schoss Rashford United zurück in die Champions League und unterschrieb einen neuen fürstlichen Vertrag bis 2028.

Allerdings schienen die enormen Höhen und Tiefen seine Persönlichkeit verändert zu haben. Rashfords Auftreten hinterließ einen zunehmend selbstgefälligen Eindruck, vielleicht aus Selbstschutz und gekränktem Stolz. Am offensichtlichsten wurde das stets, wenn er im Match nach Ballverlusten einfach stehenblieb und jegliche defensive Mitarbeit verweigerte. Dazu fiel er mehrmals unrühmlich auf, er ging nach Pleiten seiner Mannschaft feiern oder meldete sich nach Partynächten vom Training ab. Sein Auftreten auf und neben dem Platz kostete ihn letztlich die Teilnahme mit England an der EM 2024.

Englands neuer Nationaltrainer Thomas Tuchel hält viel von Rashford

Trotz allem hielt United stets zu seinem Eigengewächs. Rashford war für die umstrittene US-Besi­t­z­e­rfamilie Glazer so etwas wie der letzte Draht zu den Fans. Und der Spieler war sich dieser Stellung im Klub offenbar bewusst. Doch jetzt deutet sich unter dem für den Sport zuständigen Minderheitseigner Jim Ratcliffe eine Abkehr von dieser Politik an. Die ersten Amorim-Wochen zeigen, dass Ratcliffe den Trainer so sehr wie niemand sonst stärkt – und mutmaßlich dazu bereit ist, dafür mit Rashford gegebenenfalls das Tafelsilber zu verkaufen.

Ein solcher Transfer könnte United zur dringend benötigten Aufbruchsstimmung verhelfen und dem Rest des Kaders als Warnung dienen. Derzeit lassen die Rochaden des Trainers vermuten, dass er jeden Spieler austestet. Auch die Karriere von Rashford könnte bei einem anderen Klub in einem unbelasteten Umfeld wieder Schwung aufnehmen und ihn wieder näher an die Nationalelf bringen. Angeblich schätzt Englands Nationaltrainer Thomas Tuchel seine Qualitäten, von den Anlagen her ist Rashford fraglos der talentierteste englische Linksaußen. Um sich wirklich für einen Transfer zu empfehlen, müsste Rashford bei United aber endlich wieder zum Einsatz kommen.

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