Manuel Neuer vor dem Dänemark-Spiel:Glanztaten im Kahnschen Tunnel

Manuel Neuer will nicht nur ein guter Torwart sein, er will endlich Trophäen gewinnen. Bei der EM erreicht sein Ehrgeiz deshalb Kahnsche Dimensionen. Nichts überlässt der Torhüter dem Zufall, akribisch studiert er sich und seine Gegner. Denn er weiß: Zweite Plätze können schnell zum Stigma werden.

von Thomas Hummel

Manuel Neuer läuft immer als Erster hinaus zum Aufwärmen. Wenn sich seine Feldspieler-Kollegen noch die Schuhe binden, rauscht ihm draußen schon der Applaus entgegen. Der Erste bekommt immer am meisten Ovationen, weil die Fans darauf warten, dass sich endlich einer blicken lässt.

EURO 2012 - Deutschland ? Portugal

Manuel Neuer überlässt in seinem Torwartspiel nichts dem Zufall.

(Foto: dpa)

Normalerweise streckt Neuer auf dem Weg zu seinem Tor die Arme in die Luft, klatscht ausgiebig zurück und blickt dabei die Leute in der Kurve an. Er stand selbst einmal auf diesen Tribünen, damals als Fan des FC Schalke. In Lemberg (Lwiw) aber, da gab es keinen Blick für die Leute, da rang er sich nur zu ein, zwei Klatschandeutungen durch. Manuel Neuer wirkte, als ob er die Zuwendungen der Leute gar nicht wahrnahm, als ob er im Kahnschen Tunnel durch das Stadion rannte.

Für den Torwart des FC Bayern ist diese Europameisterschaft eine ernste Angelegenheit. Mit dem letzten Gruppenspiel am Sonntag gegen Dänemark geht nun praktisch die K.-o.-Runde los, eine Niederlage kann schon das Aus bedeuten. Er fühlt, dass für ihn nun viel auf dem Spiel steht, nach all den zweiten Plätzen, die er mit dem FC Bayern erreicht hat.

So etwas kann schnell zum Stigma werden, "ewiger Zweiter". Wer sollte das besser wissen als jemand, der 20 Jahre lang bei Schalke gespielt hat? Doch Zweiter, das ist nichts für Manuel Neuer. Auch wenn es viele diesem netten, jungen Mann nicht zutrauen - der unermesslich große Ehrgeiz ist vielleicht die einzige Wesensart, die ihn mit seinem großen Vorgänger Oliver Kahn verbindet. Deshalb war er ja nach München gewechselt: um nicht nur ein guter Torwart zu sein, sondern auch einer, der Pokale und Trophäen hebt.

Es ist sein erstes Turnier als etablierte Nummer eins im deutschen Tor, bei der WM in Südafrika war er nur wegen der Verletzung von René Adler reingerutscht. Diesmal sagte ihm der Bundestorwarttrainer Andreas Köpke schon im Februar, dass er seine Stammkraft ist. So stark der deutsche Torwartnachwuchs auch ist, Manuel Neuer kann in den kommenden Jahren nur eine Verletzung oder ein schlechter Lebenswandel wieder von seinem Platz vertreiben. Doch Letzteres ist kaum anzunehmen.

Neuer überlässt in seinem Torwartspiel nichts dem Zufall, akribisch studiert er sich und seine Gegner. Als er gegen Portugal am Ende den deutschen Erfolg rettete, konnte er das genau erklären. Cristiano Ronaldos Schuss baggerte er in Volleyball-Manier drüber: "Das Problem war: Der Schuss war relativ hart, der Ball ging als Aufsetzer runter, ich war aber schon mit dem Körper unten in der Ecke. Auf einmal nimmt der Ball eine andere Flugkurve. Deshalb musste ich ihn irgendwie mit beiden Händen über das Tor bekommen", sagte er in einem Interview mit der SZ (12. Juni, nur Print und auf dem Ipad), und fügte an: "Wenn Ronaldo schießt, dann ist es immer eigenartig."

"Es ist ein sehr schneller Ball"

Bei der Chance von Silvestre Varela war das Problem, dass er den Schützen nicht kannte. "Für einen Torhüter ist es einfach wichtig, dass du weißt: In welchem Moment schießt der Stürmer?", erklärte Neuer. Da er das nicht wusste, war es eine übliche "Eins-gegen-eins-Situation, da blieb mir keine andere Option. Ich musste mich breit machen und lange stehen bleiben. Wenn ich zu früh auf den Boden gehe, dann hebt er ihn drüber." Spielstarke Profis wie Nani oder Ronaldo zögen den Ball gerne auf die andere Seite herüber, statt gleich zu schießen "und man rutscht dann ins Nichts. Deswegen darf man als Torwart nicht so hastig draufgehen. Man muss Ruhe bewahren - obwohl alles ganz schnell gehen muss." Ganz schnell musste auch gegen die Niederländer gehen, als Robin van Persie bei einer Chance den Ball gegen seine Laufrichtung schob.

Manuel Neuer hat der deutschen Mannschaft zweimal den Sieg zumindest mitgerettet, dabei ist es Fußball-Deutschland fast nicht mehr gewohnt, dass dieser famose Torwart ein Spiel entscheidet. Gut, da waren für den FC Bayern die Elfmeterschießen gegen Gladbach im Pokal, gegen Madrid im Champions-League-Halbfinale und im Finale wäre er ja beinahe der doppelte Held geworden, als er sogar selbst einen Elfmeter traumwandlerisch sicher einschob. Doch Elfmeterschießen ist eine Spezialdisziplin. Ansonsten blieben aus seiner ersten Bayern-Saison vor allem Fehler in Erinnerung, gerade die zwei gegen Gladbach. Und die Probleme mit einigen Fans, die ihm nicht verzeihen können, früher einmal für den FC Schalke geschrien zu haben.

Dabei verdeutlichte diese Debatte, dass Manuel Neuer ein höflicher Mensch ist, der am liebsten mit allen in ruhiger Harmonie lebt. Er stellte sich zu Geheimtreffen mit den Münchner Ultras zur Verfügung und hörte sich deren Argumente an. Die sind dennoch weiterhin sauer, weil Inhalte der Treffen an die Öffentlichkeit drangen, wofür aber Manuel Neuer nichts konnte.

Sonst genießt Neuer in München die neue Abgeschiedenheit im Schatten der anderen Nationalspieler. "Da kann man auch mal untertauchen, das finde ich angenehm. Ich stehe eh nicht so gern im Mittelpunkt", sagt er. Nur in der Ukraine, da würde er am Ende schon gerne mit dem Pokal im Fußball-Mittelpunkt Europas stehen. Erst einer dieser großen internationalen Titel vollendet große Karrieren. Und so wirkt er in der Ukraine angespannter als sonst in und um die Stadien, noch konzentrierter, noch fixierter auf sich und das Spiel. Wenngleich er auch hier nicht über Feindbilder und Aggressionen zum Erfolg kommen will - sondern über freundschaftliche Beziehungen.

Und Neuer fängt mit diesen Beziehungen schon beim Spielgerät an. Die Uefa hat zu diesem Turnier wieder einen neuen Ball entwickeln lassen. Der "Tango 12" hat im Vergleich zu "Jabulani" von der WM 2010 kaum für Aufregung unter den Torhütern gesorgt, obwohl auch er anders fliege, wie Neuer erklärt: "Es ist ein sehr schneller Ball. Aber absolut in Ordnung für uns Torhüter." Ohnehin halte er sich mit Klagen zu Bällen lieber zurück: "Du musst ja nun mal mit diesem Ball spielen, und wenn du als Torwart eine negative Einstellung zu dem Ball hast, dann hast du auch im Spiel ein schlechtes Gefühl. Ein schlechtes Gefühl hilft dir nicht im Spiel. Deswegen gehe ich mit solchen Sachen positiv um und rede mir innerlich immer ein, dass der Ball mein Freund ist."

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