Manuel Neuer:Kapitän ohne Dienstwagen und Chauffeur

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Bleibt auch als Kapitän wohlerzogen: Manuel Neuer

(Foto: Patrik Stollarz/AFP)

Manuel Neuer orientiert sich in seinem neuen Amt eher am politischen Lahm als am Gemütsmenschen Schweinsteiger. Vor den WM-Qualifikationsspielen hält der Torwart als Erstes eine Lobrede auf Bundestrainer Löw.

Von Philipp Selldorf, Hamburg

Vom heißen Herbst, der laut Manager Oliver Bierhoff der Nationalmannschaft bevorsteht, ist in Hamburg nicht viel zu spüren. Im deutschen Norden ist der Herbst recht kalt, die Nationalspieler sehen aus ihrem an der Alster gelegenen Hotel auf ein bewegtes Gewässer und auf Weiden, die ordentlich vom Wind gezaust werden. Den Fußballern ist das wahrscheinlich ziemlich einerlei. Weder pflegen sie auf Reisen wie diesen Stadtrundgänge zu unternehmen, noch sieht man sie üblicherweise beim Sonnenbad im Straßencafé sitzen. Worauf es auch bei diesem Treffen der DFB-Auswahl ankommt, das hat Manuel Neuer am Donnerstag verkündet: "Wir haben zwei wichtige Spiele vor der Brust und wollen sechs Punkte holen."

Gemeint sind damit die Begegnungen mit den mutmaßlich stärksten Widersachern um die WM-Qualifikation. Oliver Bierhoff nimmt die Partien gegen Tschechien am Samstag in Hamburg und gegen Nordirland am Dienstag in Hannover zum Anlass, Metaphern zu bilden ("heißer Herbst"), für Manuel Neuer sind die Spiele lediglich Mittel zum üblichen Zweck. "Wir haben das klare Ziel, Gruppenerster zu werden", sagt der 30 Jahre alte Torwart.

Neuer ist bekanntlich nicht mehr bloß der beste Torwart der Welt, sondern als hauptamtlicher Kapitän des Nationalteams auch Nachfahre historischer Persönlichkeiten wie Franz Beckenbauer, Lothar Matthäus, Oliver Kahn und Philipp Lahm. Seine relative Bedeutung für die Zeitgeschichte steht ihm aber weiterhin nicht im Gesicht geschrieben. Immer noch sitzt dort, wo ihn am Donnerstag der DFB zur Unterrichtung der Öffentlichkeit hingesetzt hat, ein junger, wohlerzogener Mann, bei dessen Anblick man nicht weiß, ob er erst ins zweite oder schon ins dritte Semester seines Maschinenbau-Studiums eingetreten ist. Immer noch werden seine Ausführungen von einem schelmischen Lächeln begleitet, das Verlegenheit oder Gewitztheit anzeigt, wahrscheinlich beides.

Einen Zehn-Punkte-Plan braucht Neuer nicht

Allzu viel Neues hat Neuer zurzeit nicht mitzuteilen. Es ist ja nicht so, als ob er seit seiner Bestimmung zum Teamkapitän in einem schwarzen Dienstwagen mit Chauffeur befördert wird und neuerdings Briefe versendet, in deren Kopf er sein hohes Amt anzeigt. Insofern war es auch nicht verwunderlich, dass er weder einen Zehn-Punkte-Plan für seine Amtszeit noch ein grobes Thesenpapier für die Presse vorgelegt hat. Auch die Mitspieler haben keine programmatische Ansprache zu befürchten: "Eine Grundsatzrede von mir gab's nicht und wird es auch nicht geben", versprach Neuer, und seine Beisitzer am Pressekonferenz-Tisch, Ilkay Gündogan und Shkodran Mustafi, vernahmen es mit unbewegter Miene. Sie hatten nichts anderes erwartet.

Dass der Kapitän ein Befehlshaber wäre, das ist ja eine Legende aus Zeiten, in denen der Fußball reaktionär war. Heutzutage, sagt Neuer, mache man das auf die kooperative Art, "man muss die Leute mitnehmen". Zumal in einem Nationalteam, in dem es eine Reihe von erfolgreichen Profis mit selbstbewusstem Anspruch gibt. Neuer verweist auf Philipp Lahm und Bastian Schweinsteiger, "ihre Linie war sehr erfolgreich". Geräusche drangen selten nach außen. Nicht mal Prämienverhandlungen mit dem DFB-Präsidenten sind noch ein Anlass zum Konflikt oder zur Profilierung, "bis jetzt", sagt Neuer, "verstehen wir uns noch ganz gut mit Herrn Grindel".

Neuer orientiert sich eher an Lahm als an Schweinsteiger

Das Amt des DFB-Skippers braucht man wirklich nicht zu überschätzen, andererseits sollte man Neuers Bedeutung im Zentrum der Mannschaft keineswegs unterschätzen. Sein Ehrgeiz sowie sein Erfolgswille sind größer, als es seine friedfertige Erscheinung vermuten lässt, und auch sein Einfluss auf die Mitspieler wird als umfassend angesehen. Wenn er seine Vorgänger zum Vorbild nimmt, dann wird seine Linie schon eher die von Lahm sein als die von Schweinsteiger, vielleicht nicht ganz so viel Politik wie Lahm, aber auch nicht nur Gemüt wie Schweinsteiger.

Mut zur Meinung hat Neuer allemal. Am Donnerstag hat er schon mal den Prolog für die nächste Vertragsrunde zwischen Bundestrainer und Verband gesprochen. Zwar gilt Joachim Löws Vertrag noch bis zur WM 2018, doch die Frage nach der Zeit danach stellt vor allem DFB-Chef Reinhard Grindel seit einigen Monaten. Er möchte die Zusammenarbeit fortsetzen, und womöglich reift bei Löw gerade die Überlegung, diesem Wunsch stattzugeben.

Neuer würde Löws Verbleib begrüßen

Dieser Tage hat er erklärt, dass er eine Lehrtätigkeit in der Bundesliga von der Liste möglicher künftiger Beschäftigungen gestrichen habe. Im Alter von 56 Jahren stellt sich Löw offenbar die Frage, ob er noch mal ein neues Engagement annehmen oder sein Lebenswerk beim DFB beschließen solle. Seit 2004 arbeitet er beim Verband, es komme ihm aber so vor, als sei er gerade fünf Jahre im Amt, sagte er jetzt.

Neuer würde Löws Verbleib begrüßen. Aus dem Stegreif hielt er in Hamburg eine druckreife Lobrede, die allen möglichen Vorbehalten gegen den vermeintlich ewigen Jogi entgegentrat: "Uns allen gefällt es sehr gut, wie er mit uns arbeitet", sagte Neuer also, "er hat viel Erfahrung und ist immer mit der Moderne gegangen. Andere Trainer bleiben in so einer langen Zeit stehen - er hat die Nationalmannschaft weitergebracht." Shkodran Mustafi mochte dazu, auch in Ilkay Gündogans Namen, nur eines anmerken: "Da können wir uns unserem Kapitän nur anschließen." Ob aus Überzeugung oder aus Respekt vor Neuers hohem Amt, blieb offen.

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