Manuel Neuer:Ein Fehler, der im Büro beginnt

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Der Nationaltorhüter patzt beim 0:1. Das Tor sagt viel über Schwächen in der Münchner Abwehr und Versäumnisse in der Kaderplanung.

Von Christof Kneer, München

Die Pointe war zu verführerisch, um sie liegen zu lassen, natürlich wurde später dieser Witz gemacht. Ob der Bundestrainer, wo er doch schon mal in München sei, nicht gleich das nächste Fünf-Minuten-Gespräch führen wolle? Ob er nicht Manuel Neuer in der Kabine überrumpeln und sagen solle, du, Manu, Folgendes, danke noch mal für alles, aber ich stell' jetzt übrigens den ter Stegen ins Tor?

Die Schuldfrage ist sehr beliebt im deutschen Fußball. Gerne werden Gegentore vorwärts und rückwärts gespult, und am Ende des Spulvorgangs sprechen Reporter und Trainer gerne von "individuellen Fehlern". Bei Trainern gilt das als grobe Unsportlichkeit, weil sie damit im Grunde ja sagen: Was soll ich denn machen, wenn einer meiner Spieler mit einem saublöden Fehler meinen tollen Plan durchkreuzt?

Insofern sprach es sehr für Umgangsformen und Haltung von Niko Kovac, als er nach dem 1:3 gegen Liverpool eine Reporterfangfrage mit der Fürsorgepflicht eines tadellosen Vorgesetzten beantwortete. Er bewerte Manuel Neuers Herauslaufen vor dem 0:1 "als richtig", sagte Kovac und hängte ein kurzes Fachreferat an, in dem es um die Laufwege von Rafinha und Sadio Mané ging und darum, dass "ein Torhüter in diesem Moment rauskommen muss, um den durchlaufenden Stürmer aufzuhalten".

Was Kovac, Rafinha, Mané, Löw und auch Neuer wissen: Natürlich war das ein Torwartfehler. Natürlich gilt immer noch die Regel der Urväter, wonach ein Torwart, wenn er rauskommt, den Ball haben muss.

Und Neuer war wirklich weit rausgekommen in dieser 26. Minute, und man sah seinen Lauf- und Irrwegen geradezu die Gedankenkollisionen in seinem Torwartkopf an: Die Situation da draußen im Gelände sah ganz anders aus, als er sich das drinnen im Tor vorgestellt hatte, und, huch, da war schon die Strafraumlinie, er durfte auf keinen Fall mehr Hand spielen jetzt, und foulen durfte er auch nicht, und jetzt, huch ... und dann flog der Ball auch schon in höhnischer Flugkurve in das verlassene Tor.

Wer Neuer auf die Anklagebank setzt, wird aber auch mildernde Umstände anerkennen müssen. Das vorwärts und rückwärts gespulte Bild zeigt, dass Fußball ein Teamsport ist, in dem selten einer alleine verliert, und so ist auch dieses 0:1 eher ein Dokument allgemeiner Desorientierung. Der lange Pass von Liverpools van Dijk führt nicht nur Rafinha vor, der sich von Mané übersprinten und übertölpeln lässt. Im Bild sieht man auch Niklas Süle und Mats Hummels, die erst zurücktraben und dann, fast im gleichen Moment, die Gefahr erkennen und Tempo aufnehmen; zu spät, um rechtzeitig am Unfallort einzutreffen.

Im Grunde hat jene unterlassene Hilfeleistung ihren Anfang aber schon im vorigen Sommer. Da beschlossen die Bayern, dass sie bereit sind, mit einer markanten Kaderlücke zu leben. Die Bosse segneten im Büro einen Kader ab, in dem die Außenverteidiger Kimmich und Alaba nur von einem einzigen Spieler vertreten werden, von Rafinha, dem schon in der Vorsaison gegen Real Madrid ein prägnanter Fehler unterlaufen war. So musste nun also Rafinha den Posten des gesperrten Kimmich übernehmen, und womöglich war Neuers Irrweg ein intuitives Misstrauensvotum: Unterbewusst hat er Rafinha vielleicht nicht zugetraut, das Duell gegen Mané zu gewinnen, sein Helfersyndrom trieb ihn aus dem Tor. Und am Ende standen dann alle gemeinsam so windschief im Raum, wie dieser Kader an einer entscheidenden Stelle gebaut ist.

© SZ vom 15.03.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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