Mannschafts-Flüchtlinge im Fußball:Mit der S-Bahn nach Hause

Jens Lehmann schont die Umwelt, Sepp Maier bremst mit der Hand und Diego verlässt vor dem wichtigsten Spiel wortlos die Mannschaftssitzung: Von Helmut Rahn bis Kevin Kuranyi - die schönsten Flüchtlingsgeschichten des Fußballs.

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VfL Wolfsburg - Diego

Quelle: dpa

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Jens Lehmann schont die Umwelt, Sepp Maier bremst mit der Hand und Diego verlässt wortlos die Mannschaftssitzung: Von Rahn bis Kuranyi - die schönsten Flüchtlingsgeschichten des Fußballs. In Bildern.

Gewiss, Diego ist ein Mann mit dem Gespür für den Augenblick: Er kann gescheite Pässe spielen, die eine Sekunde vorher oder nachher wirkungslos wären. Besondere Augenblicke erleben Fußballer jedoch auch, wenn sie in einem Abstiegsfinale stehen: Wenn die Existenz auf dem Spiel steht, wenn das Wohl des Klubs die Bedürfnisse eines einzelnen Spielers überragt. Tatsächlich? Diego entschied sich für einen anderen Weg. Als er vor dem entscheidenden Saisonspiel seines VfL Wolfsburg erfuhr, dass er nur auf der Bank Platz nehmen soll, verließ Diego augenblicklich die Mannschaftssitzung, verweigerte die Fahrt zum Stadion, ließ seinen Klub im wichtigsten Spiel überhaupt im Stich. Sein Glück war nur, dass Wolfsburg ohne ihn nicht abstieg. Tags darauf erschien Diego zum Training, lief und dribbelte, als sei nichts gewesen. Er kann sich jedoch sicher sein: Trainer Felix Magath ist definitiv nachtragend.

Text: Carsten Eberts und Thomas Hummel

Werder Bremen's coach Schaaf huggs Diego after their German soccer cup final against Bayer 04 Leverkusen in Berlin

Quelle: REUTERS

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Schon 2008 leistete sich Diego eine ähnliche Aktion, damals noch in Diensten von Werder Bremen. Sicher, der Traum von Olympia mag bei anderen Sportlern ausgeprägter sein als bei Fußballprofis - nicht so bei Diego. Der Bremer Spielmacher sollte 2008 für die brasilianische Olympiaauswahl nominiert werden: Diego fand das super, Werder Bremen nicht. Geschäftsführer Klaus Allofs untersagte seinem Profi die Reise, Diego flog trotzdem. "Diego ist ohne unser Einverständnis nach Paris geflogen", sagte Allofs: "Wir haben keine Einigung erzielt und rufen jetzt den Internationalen Sportgerichtshof Cas an, um die Sachlage zu klären." Gleiches erlebte Schalke 04 zeitgleich übrigens mit Rafinha. Der Cas ließ beide spielen - von den Klubs bekamen Diego und Rafinha hingegen Geldstrafen auferlegt. Es wird ihnen egal gewesen sein.

Helmut Rahn, 1959

Quelle: AP

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Der "Boss" hatte die Tendenz, Grenzen auszuloten. Das Arbeiterkind aus Essen gehörte immer zu den schwer Erziehbaren einer Mannschaft. Sepp Herberger und Zimmerkollege Fritz Walter bogen Helmut Rahn bei der WM 1954 jedoch bekanntermaßen hin - zumindest in der Hauptrunde. Noch nach der Vorrunde zog Rahn los: Nachdem er nur beim 3:8 gegen Ungarn spielen durfte, büxte Rahn vermutlich mit einigen Kollegen aus dem Teamquartier im Hotel Belvedere in Spiez aus. In einer Kneipe irgendwo am Thuner See suchten sie Aufheiterung mittels ein paar Gläsern Bier. Wer außer Rahn bei der Fluchtaktion dabei war, kam nie heraus. Weder Walter noch Herberger gingen damit an die Öffentlichkeit - sondern ließen Rahn fortan mitspielen. Für das Viertelfinale gegen Jugoslawien zwei Tage später versprach Rahn vollmundig ein Tor. Er hielt sein Versprechen, Deutschland gewann 2:0.

Torwart Sepp Maier, FIFA Weltpokal

Quelle: imago sportfotodienst gmbh

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Auch bei der WM 1974 wurde desertiert - sogar mit körperlichen Schmerzen. Nach dem 0:1 gegen die DDR flohen Sepp Maier und Uli Hoeneß nachts aus dem Quartier in Malente zu ihren Frauen nach Hamburg. Ein Sicherheitsbeamter fuhr, Maier und Hoeneß waren betrunken. Auf der Rückfahrt streikte jedoch die Bremse, weshalb Maier mit der Handbremse im Anschlag zurück nach Malente fuhr. Um 10 Uhr standen beide tatsächlich wieder auf dem Trainingsplatz. Maier konnte jedoch kaum einen Ball fangen: Vom Ziehen der Bremse hatte er mächtige Blasen in der Handfläche.

Fußball - DFB-Pressekonferenz - Kevin Kuranyi

Quelle: dpa

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Sein letztes Länderspiel im Kreise der deutschen Nationalmannschaft erlebte Kevin Kuranyi am 11. Oktober 2008. Die Elf von Jachim Löw musste sich gegen Russland bewähren, Deutschland siegte 2:1, es war ein schöner Abend. Nicht so für Kevin Kuranyi, der nicht nominiert wurde und das Spiel auf der Zuschauertribüne verbrachte, zumindest in der ersten Halbzeit. Irgendwas muss dem damaligen Schalker Stürmer missfallen haben: War es die zu fette Stadionwurst? Oder der unbeheizte Sitz? Oder doch die Fans im Dortmunder Westfalenstadion, die Kuranyi als Schalker beschimpften? Zur Pause verließ Kuranyi das Stadion, machte sich auf den Heimweg, wurde bei seiner Flucht sogar fotografiert. Das Urteil über den Stürmer sprach schließlich Bundestrainer Löw: "Wir sind alle überrascht gewesen von der vorzeitigen Abreise von Kevin Kuranyi. So, wie er reagiert hat, kann ich das nicht akzeptieren und werde ihn deshalb in Zukunft nicht mehr für die Nationalmannschaft nominieren. Wer mich kennt, der weiß, dass meine Entscheidungen endgültig sind. Es gibt für Kevin kein Zurück mehr, das ist definitiv!"

Bayern Muenchen II v SSV Jahn Regensburg - 3.Liga

Quelle: Bongarts/Getty Images

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Luca Toni und Louis van Gaal - die Verbindung zwischen italienischem Lebemann und holländischem General endete Anfang November in einer Stadionflucht. Als van Gaal den Stürmer im Heimspiel gegen den FC Schalke zur Halbzeit auswechselte, fuhr dieser mit seinem Dienstwagen nach Hause. Toni schrieb auf seiner Internetseite: Er möchte sich entschuldigen, doch dies sei "bedingt durch die Zermürbung von vier langen Monaten voller Entbehrungen und Unverständnis mit dem aktuellen Trainer". Im Winter ging Toni nach Italien zurück, zum AS Rom. Kevin Kuranyi übrigens bemerkte kurz nach Tonis Flucht: "Ich wünsche ihm, dass er noch viele Tore für Bayern München schießt - aber nicht gegen uns." So von Stadion-Flüchtling zu Stadion-Flüchtling.

LEHMANN

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1993 war Jens Lehmann noch ein junger Torwart. Jedoch keiner ohne Prinzipien: Mit dem FC Schalke 04 hatte er bereits im Jahr zuvor sechs Gegentore bei Bayer Leverkusen kassiert. Nun sah es wieder schlecht aus: Zur Halbzeit hatte sich Lehmann erneut drei Tore gefangen, Trainer Jörg Berger sah keinen anderen Ausweg, als Lehmann zur Pause auszuwechseln. Lehmann nahm es gelassen: Er duschte, verließ das Stadion noch vor dem Abpfiff, fuhr mit der S-Bahn nach Hause. Von Leverkusen nach Schalke ist es zum Glück nicht so weit.

Fernandez Dortmund

Quelle: SZ

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Kaum einem Bundesliga-Flüchtling hat sein Verhalten je Vorteile verschafft - schon gar nicht Juan Ramon Fernandez. Der galt in der Saison 2002/03 tatsächlich einmal als Mann der Zukunft, bis der damals 23-Jährige unangemeldet nach Südamerika desertierte. "Eine Entschuldigung ist das Mindeste. Die Lippenbekenntnisse sind das eine, jetzt müssen Taten folgen. Er spielt vorerst auf Bewährung. Wenn er sich wieder integriert, wird er seine zweite Chance erhalten", erklärte der damalige BVB-Coach Matthias Sammer. Das war nett gemeint, brachte Fernandez aber wenig: Fernandez' Karriere war mehr oder weniger beendet; selbst treueste-BVB-Panini-Sammelbildchen-Sammler haben seinen Namen längst vergessen.

REAL MADRID VS VALENCIA

Quelle: AP

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Von Nicolas Anelka ist nicht nur die wunderbare Geschichte bekannt, wie er mit Schimpftiraden gegen Nationaltrainer Reymond Demenech bei der WM 2010 die größte französische Fußballkrise aller Zeiten auslöste. Schon Jahre zuvor, als 21-jähriger Jungspund von Real Madrid, erwarb er sich große Verdienste: Anelka lieferte die mitunter schönste Fluchtgeschichte aller Zeiten. Wegen eines Trainingsstreik war der Franzose zwar für 45 Tage suspendiert - von seinen Anwesenheitspflichten entband ihn der Klub jedoch keineswegs: Anelka wollte nach Paris, versteckte sich im Kofferraum seines Wagens und ließ sich von Bruder und Manager Didier Anelka zum Flughafen bringen. Aus Angst vor wartenden Reportern, wie er später angab. Anelka entschuldigte sich, wurde wegen einer anhaltenden Real-Sturmmisere im Sommer 2000 gar begnadigt - und schoss in den Halbfinalspielen der Champions League gegen den FC Bayern zwei Tore. Real holte den Titel - mit Anelka.

Savio Nsereko

Quelle: dpa

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Savio Nsereko darf sich zu Gute halten, dass er nicht nur desertiert, sondern seinen Klub 1860 München auch kräftig genarrt hat. Als Nsereko im Oktober 2010 nicht zum Training des Zweitligisten erschien, machte sich der Klub große Sorgen. Der damalige Geschäftsführer Robert Niemann richtete gar einen Appell an die Öffentlichkeit: "Wir wissen bis heute nicht, wo sich unser Spieler aufhält. Wir machen uns Sorgen. Ich bitte Sie, die Suche und die Kontaktaufnahme positiv zu unterstützen." Angeblich war Nsereko wegen des Todes seines Halbbruders nach Uganda aufgebrochen, was sich jedoch als Ente erwies. Nsereko hatte stattdessen offenbar Geldprobleme, versteckte sich bei einem Verwandten, wurde bald darauf in einer Disko gesichtet. Bei 1860 München waren die Sorgen daraufhin verschwunden - Nsereko wurde fristlos gekündigt.

© sueddeutsche.de/ebc/hum
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